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Wirtschaftsrecht
14.10.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: AGB-Kontrolle einer Patienteninformation

BGH, Urteil vom 2.9.2021 – III ZR 63/20

ECLI:DE:BGH:2021:020921UIIIZR63.20.0

Volltext:BB-ONLINE BBL2021-2434-2

Leitsatz

Formulare, die eine ärztliche Aufklärung und die Entscheidung des Patienten, ob er eine angeratene Untersuchung vornehmen lassen will, dokumentieren sollen, unterliegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich nicht einer Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB, da für die ärztliche Aufklärung durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte eigenständige Regeln gelten, die auch das Beweisregime erfassen.

BGB § 307 Abs. 3 Satz 1 A

Sachverhalt

Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Er macht gegen den beklagten Verein, einen Berufsverband für Augenärzte, einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1 UKlaG geltend. Der Beklagte empfiehlt seinen Mitgliedern, nachstehend wiedergegebene "Patienteninformation" zur "Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom)" zu verwenden:

Der Kläger hat beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, die Empfehlung der Klausel "Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, daß trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist" und/oder dieser Klausel mit dem anzukreuzenden Zusatz "Ich wünsche zur Zeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung" zu unterlassen sowie Abmahnkosten in Höhe von 260 € nebst Zinsen zu zahlen. Er ist der Auffassung, bei der Klausel handele es sich um eine nach § 309 Nr. 12 Halbsatz 1 Buchst. b BGB unzulässige Tatsachenbestätigung; zudem werde der Patient psychologisch unter Druck gesetzt, da er sich einer ärztlichen Empfehlung offen widersetzen müsse.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (VuR 2017, 272). Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (GesR 2020, 314). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen

4          Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

5          I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte empfehle Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff BGB. Dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterfielen einseitige, von der Gegenseite vorformulierte Erklärungen, wenn sie im Zusammenhang mit einer rechtlichen Sonderbeziehung des Betroffenen stünden. Dies sei hier auch dann der Fall, wenn der Patient die Maßnahme ablehne.

6          Ein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB liege indessen nicht vor. Der Arzt teile dem Patienten mit, welche weiteren Maßnahmen er für angezeigt halte. Es handele sich daher um eine therapeutische Aufklärung im Sinne des § 630c Abs. 2 BGB, für deren Fehlerhaftigkeit der Patient von vornherein die Beweislast trage. Zwar werde § 309 Nr. 12 BGB auch auf Klauseln angewandt, die die Beweislast lediglich erschwerten. Die Vorschrift sei jedoch im Hinblick auf die Aufklärung und deren Bestätigung im Arzt-Patienten-Verhältnis teleologisch zu reduzieren. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass der Arzt dem Patienten im Rahmen der mündlichen Aufklärung schriftliche Unterlagen übergeben und sich dies bestätigen lassen dürfe. § 630e Abs. 2 Satz 2 BGB hätte weitgehend keinen Anwendungsbereich, wenn § 309 Nr. 12 BGB uneingeschränkt für den Behandlungsvertrag gälte. Auch der Bundesgerichtshof halte eine schriftliche Aufklärung für wünschenswert; diese führe allerdings nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern sei lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.

7          Die angegriffenen Klauseln verstießen auch nicht aus anderen Gründen gegen § 307 BGB. Zwar sei es denkbar, dass die einseitige Erklärung eines Verbrauchers dann als unangemessene Benachteiligung anzusehen sei, wenn sie gleichzeitig eine "aggressive geschäftliche Handlung" im Sinne des § 4a UWG darstelle. Es gehöre allerdings auch zu den Pflichten eines Arztes, den Patienten auf drohende Gefahren mit Nachdruck hinzuweisen, wenn er eine bestimmte Maßnahme nicht unternehme. Die beanstandeten Klauseln überschritten die danach gezogenen Grenzen nicht. Die in der Patienteninformation enthaltenen Informationen als solche würden vom Kläger nicht beanstandet. Der Patient werde die Formulierung, die Behandlung sei "trotz des Fehlens typischer Beschwerden ... ärztlich geboten", dahin verstehen, dass die Untersuchung nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbar, aber nicht "zwingend notwendig" sei. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten treffe dies zu.

8          II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

9          1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 1 UKlaG zu, die Empfehlung des streitigen Passus zu unterlassen.

10        a) Bei der angegriffenen, in der "Vereinbarung über gewünschte Privatbehandlung" enthaltenen Klausel handelt es sich zwar um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB; die Beklagte erhebt insoweit auch keine Gegenrügen.

11        b) Die Klausel ist jedoch nicht gemäß § 307 Abs. 1 und 2, § 308 oder § 309 BGB unwirksam. Sie weicht weder von Rechtsvorschriften ab noch ergänzt sie diese, so dass eine Inhaltskontrolle nach diesen Bestimmungen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht stattfindet. Das vom Beklagten empfohlene Informationsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früherkennungsuntersuchung. Die streitige Klausel dient der Dokumentation der hierüber erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen will. Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Danach dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis dafür, dass er eine geschuldete Aufklärung geleistet hat, keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Tatrichter hat die besondere Situation, in der sich der Arzt während der Behandlung des Patienten befindet, ebenso zu berücksichtigen wie die Gefahr, die sich aus dem Missbrauch seiner Beweislast durch den Patienten zu haftungsrechtlichen Zwecken ergeben kann. In jedem Fall bedarf es einer verständnisvollen und sorgfältigen Abwägung der tatsächlichen Umstände, für die der Tatrichter einen erheblichen Freiraum hat (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 - VI ZR 143/13, NJW 2014, 1527 Rn. 11; vom 8. Januar 1985 - VI ZR 15/83, NJW 1985, 1399; vom 28. Februar 1984 - VI ZR 70/82, NJW 1984, 1807, 1809; vgl. auch Urteile vom 21. September 1982 - VI ZR 302/80, NJW 1983, 333 - in BGHZ 85, 212 insoweit nicht abgedruckt - und vom 10. März 1981 - VI ZR 202/79, NJW 1981, 2002, 2003 f).

12        Zu den danach zu berücksichtigenden Umständen gehört etwa eine ständige oder übliche Beratungspraxis; kann der Arzt eine solche darlegen und gegebenenfalls beweisen, sollte im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 aaO; vom 8. Januar 1985 aaO und vom 21. September 1982 aaO S. 2003; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858 f). Zudem können die Aufzeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden (BGH, Urteile vom 28. Januar 2014 aaO und vom 8. Januar 1985 aaO). Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt - in positiver wie auch in negativer Hinsicht - schließlich ein dem Patienten zur Verfügung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular dar (BGH, Urteile vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 462/15, NJW-RR 2017, 533 Rn. 8; vom 28. Januar 2014 aaO Rn. 13; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431, 1432; vom 15. Februar 2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 13; und vom 29. September 1998 - VI ZR 268/97, NJW 1999, 863, 864; Lepa, Festschrift Geiß, 2000, S. 449, 455 mwN). Dies gilt auch im Hinblick auf die Pflicht zur therapeutischen Information im Sinne des § 630c BGB (früher: therapeutische Aufklärung; vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. April 2021 - VI ZR 84/19, NJW 2021, 2364 Rn. 10). So hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 11. April 2017 dem dortigen Berufungsgericht aufgegeben, das von dem Arzt vorgelegte Muster eines nach seinem Vortrag verwendeten Standardschreibens bei der Beurteilung der Frage zu verwerten, ob dieser den Patienten über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes unterrichtet hatte (VI ZR 576/15, NJW 2018, 621 Rn. 18). Dem Umstand, dass es sich um formularmäßige Mitteilungen, Merkblätter oder ähnliche allgemein gefasste Erklärungen handelt, hat der Bundesgerichtshof dabei jeweils keine einer Beweiswirkung entgegenstehende Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat er auf die Vorteile vorformulierter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2000 aaO S. 2, 13).

13        Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) die "bisherigen richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts gesetzlich ... kodifiziert" (BT-Drucks. 17/10488, S. 9), was insbesondere auch das Beweisrecht einschließt (vgl. aaO. z. B. S. 10, 43, 55 f). Dabei hat er ausdrücklich die Beweiswirkung der Dokumentation in der Patientenakte anerkannt sowie eine formularmäßige Bestätigung einer Aufklärung und einer Einwilligung für zulässig gehalten (BT-Drucks. 17/10488, S. 29; vgl. auch Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., A 71; Prütting/Friedrich, GesR 2019, 749, 754).

14        Dieses Aufklärungs- und Beweisregime wird durch die angegriffene Klausel weder verändert noch ergänzt. Vielmehr fügt sie sich in dieses ein, so dass gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB eine Kontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2, §§ 308, 309 BGB nicht stattfindet. Eine Überprüfung der Klausel nach diesen Vorschriften mit der möglichen Folge ihrer Unwirksamkeit und einem daraus folgenden Verwertungsverbot würde vielmehr zu nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen führen: Während dem unterschriebenen Aufklärungsbogen jegliche Beweiswirkung abgesprochen werden müsste, käme auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Begründung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten dem nicht unterschriebenen Formular, der lediglich internen Dokumentation des Behandlers oder der "ständigen Aufklärungspraxis" ein Beweiswert zu, obwohl hier eine Mitwirkung des Patienten nicht sicher festgestellt werden kann, während diese im erstgenannten Fall durch die Unterschrift dokumentiert ist (vgl. auch Prütting/Friedrich aaO S. 755).

15        c) Die angegriffene Klausel ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie eine "aggressive geschäftliche Handlung" im Sinne des § 4a UWG darstellen würde. Dem steht bereits entgegen, dass die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Klausel bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der "Patienteninformation" im Übrigen (§ 306 Abs. 1 BGB) nicht geeignet wäre, eine auf den Vertragsschluss abzielende unzulässige Beeinflussung zu beseitigen. Zudem ist Streitgegenstand des Verfahrens nach § 1 UKlaG die konkret angegriffene Klausel, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit und Sachlichkeit der dem Patienten erteilten Information.

16        2. Da nach alledem die Abmahnung nicht berechtigt war, steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gemäß § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG (jeweils in der bis zum 1. Dezember 2020 geltenden Fassung) zu.

 

 

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