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Wirtschaftsrecht
15.05.2014
Wirtschaftsrecht
LG Frankfurt a. M.: Nichtigkeit der Abberufung eines Vorstandsmitglieds der Commerzbank

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.4.2014 – 3-05 O 8/14

 

Amtlicher Leitsatz

Eine von Aufsichtsrat nach der Satzung zulässig beschlossene Verkleinerung des Vorstandes stellt für das einzelne Vorstandsmitglied während seiner laufenden Bestellungsperiode keinen wichtigen Grund zur Abberufung i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG dar, selbst wenn im Übrigen im Laufe dieser Periode ein beträchtlicher Personalabbau bei der Gesellschaft erfolgen soll.

AktG § 84 Abs. 3

Sachverhalt

Der Kläger war seit dem 1.6.2006 als Vorstandsmitglied der Beklagtentätig; die organschaftliche Bestellung war im Jahre 2011 bis 31.5.2017 vom Aufsichtsrat verlängert worden.

Die Beklagte plant einen erheblichen Personalabbau. Die Beklagte hat einen Aufsichtsrat der nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes besetzt ist. Nach der Satzung der Beklagten (§ 6 Abs. 2) obliegt es dem Aufsichtsrat, über die Größe des Vorstandes zu befinden.

Der Vorstand der Beklagten bestand bislang aus neun Personen. Auf der Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung vom 7.8.2013 war u .a. auch eine Beschlussfassung über die Abberufung des Klägers – neben einem weiteren Vorstandsmitglied – vom Vorstandsamt vorgesehen, wurde aber noch vor Beginn der Sitzung von der Tagesordnung genommen, da beabsichtigt war, eine einvernehmliche Lösung zu finden. In der Folgezeit kam es zu mehreren Gesprächen zwischen den Parteien über die Aufhebung des Vorstandsamtes des Klägers, die ergebnislos waren.

In der wurde über eine Abberufung des Klägers abgestimmt, die Abstimmung endete 10:10, wobei die Stimmen der Arbeitnehmer sich gegen die Abberufung aussprachen. Das anschließend durchgeführte Vermittlungsverfahren nach § 31 Abs. 3 und 5 MitbestG blieb erfolglos.

Nachdem eine Abberufung des Klägers in der Aufsichtsratssitzung am 14.10.2013 erfolglos blieb, wurde die in der Aufsichtsratssitzung vom 6.11.2013 erneut zur Abstimmung gestellt. Der erste Abstimmungsgang endete erneut 10:10. Daraufhin stellte der Aufsichtsratsvorsitzende in derselben Sitzung gemäß § 31 Abs. 4 und 5 MitbestG die Abberufung des Klägers nochmals zur Abstimmung unter Hinweis, dass er sein Zweitstimmrecht einsetzen werde. Unter Berücksichtigung des Zweitstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden endete die Abstimmung mit 11 Ja gegen 10 Nein-Stimmen für die Abberufung des Klägers, wobei der Aufsichtsratsvorsitzende mit beiden Stimmen für eine Abberufung stimmte. Der Aufsichtsratsvorsitzende stellte daraufhin fest, dass aufgrund seines Zweitstimmrechts die Abberufung des Klägers wirksam beschlossen worden sei und verkündete den Beschluss. Im Anschluss an diese Beschlussfassung überreichte der Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger während einer kurzen Sitzungsunterbrechung ein Schreiben, indem dem Kläger der Widerruf seiner Bestellung zum Mitglied des Vorstandes sowie seine Freistellung mitgeteilt wurde. Eine Kündigung des schuldrechtlichen Anstellungsvertrages erfolgte nicht.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Abberufung rechtswidrig erfolgt sei. Er beantragt,

1.) festzustellen, dass die Abberufung des Klägers zum Vorstandmitglied vom 6.11.2013 nichtig ist;

hilfsweise die Abberufung des Klägers zum Vorstandmitglied vom 6.11.2013 für unwirksam zu erklären;

2.) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen gemäß dem Anstellungsvertrag vom 12.8.2011 als Vorstandsmitglied bis zum 31.5.2017 tatsächlich zu beschäftigen.

Die Klage hatte hinsichtlich des Feststellungsbegehrens auf Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses vom 6.11.2013 Erfolg; im Übrigen blieb sie erfolglos.

Aus den Gründen

Auf den Antrag des Klägers war die Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschluss über die Abberufung des Klägers aus dem Vorstand der Beklagten vom 6.11.2013 festzustellen, woraus sich die Unwirksamkeit der Abberufung ergibt.

In Ermangelung des Vorliegens eines wichtigen Grundes war die Beklagte nicht gem. § 84 Abs. 3 AktG zum Widerruf der Bestellung berechtigt

Die Beklagte war nicht gem. § 84 Abs. 3 AktG zum Widerruf der Bestellung berechtigt. Der Widerruf der Bestellung setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus.

Ein solcher wichtiger Grund liegt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in der beabsichtigten Personalreduzierung [und] … der damit einhergehenden Verkleinerung des Vorstandes der Beklagten.

Ein wichtiger Grund, aus dem der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied gem. § 84 Abs. 3 AktG abberufen kann, liegt nach ganz herrschender Meinung (vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, AktG. 2. Aufl., § 84 Rn. 100 m. w. N.) – die die Kammer teilt – dann vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der regulären Amtszeit des Vorstandsmitglieds für die Gesellschaft auf Grund von bestimmten Umständen, wie sie in S. 2 der Vorschrift als Beispiels- oder Unterfälle aufgeführt sind, unzumutbar ist (BGH NZG 2007, 189, OLG Stuttgart NZG 2002, 971). Auf ein Verschulden des Vorstandsmitglieds kommt es nicht entscheidend an. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen.

Das Gesetz will auf diese Weise die Leitungsautonomie des Vorstands institutionell absichern. Der Aufsichtsrat sollte dem Vorstand die Unternehmensleitung nicht durch Androhung freier Abberufung „aus den Händen winden” und ihn „zu seinem ausführenden Organ” machen können (vgl. BGH NJW 1961, 1306; Fleischer a. a. O. Rn. 99, ders. DStR 2006, 1507 m. w. N.).

Unter dieser Prämisse ist zwar nicht auszuschließen, dass Gründe die nicht in der Person des Abberufenen liegen, sondern nur sog. betriebsbedingte Gründe darstellen, eine Abberufung ggf. rechtfertigen könnten, doch ist ergibt sich daraus, dass in diesen Fällen eine besondere Zurückhaltung geboten ist, und derartige „betriebsbedingte“ Gründe eine Abberufung nur rechtfertigen können, wenn der Gesellschaft aus betrieblichen d. h. wirtschaftlichen Gründen ein Festhalten an der Bestellungsentscheidung bis zum Ablauf der Bestellungsperiode nicht zumutbar wäre (BGH NJW-RR 2007, 389 sowie zur Kasuistik mit Rechtsprechungsnachweisen vgl. Tschöpe/Wortmann NZG 2009, 161; Fleischer a. a. O.).

Dies ist hier aber nicht erkennbar. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Belassung des Klägers im Vorstandsamt zu schweren wirtschaftlichen Nachteilen für sie führt, geschweige denn aus wirtschaftlichen Gründen unzumutbar wäre. Allein dass allgemein ein erheblicher Personalabbau bei der Beklagten und eine Verschlankung des Vorstandes (so ausdrücklich auch, trotz im Übrigen großzügiger Annahme von betriebsbedingten Gründen als wichtigem Grund, Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts § 5 Rn. 10) sowie einer Umstrukturierung der Geschäftsfelder mit Abbau von bestimmten Segmenten erfolgen soll, rechtfertigt nicht die Abberufung des Klägers aus wichtigen Grund vor Ablauf der Bestellungszeit und damit die Beseitigung des dargelegten Schutzes den § 84 AktG für den Kläger als bestelltem Vorstandsmitglied, dem unstreitig persönliche Versäumnisses in der Amtsführung nicht vorgeworfen werden.

Warum der Beklagten aus wirtschaftlichen Gründen es unzumutbar sein soll, nicht an der Bestellungsentscheidung des Klägers in den Vorstand bis zum Ablauf der Bestellung am 31.5.2017 festzuhalten, ist nicht erkennbar.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass nach der Satzung der Beklagten der Aufsichtsrat berechtigt ist, eine Verkleinerung des Vorstandes vorzunehmen und die bislang vom Kläger erbrachten Funktionen auf andere Vorstandsmitglieder zu übertragen. Diese Ermächtigung besagt nur, dass der Aufsichtsrat die Kompetenz hat, die Anzahl der Vorstände zu bestimmen und danach seine Bestellungsentscheidungen auszurichten. Diese an den Aufsichtsrat durch die Satzung übertragene Befugnis gibt jedoch dem Aufsichtsrat keine Berechtigung entgegen der gesetzlichen Regelung ohne wichtigen Grund eine bereits erfolgte Bestellung zu beseitigen. Vielmehr ist diese Befugnis dahin zu verstehen, dass bei Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds, der Vorstand dann durch Verzicht auf Neuberufung verkleinert werden kann. Würde man allein schon eine nach der Satzung zulässige Entscheidung des Aufsichtsrats den Vorstand zu verkleinern als wichtigen Grund für eine Abberufung nach § 83 Abs. 3 AktG genügen lassen, so liefe der Schutz des Vorstandes für die ihm obliegenden eigenverantwortlichen Leitung leer, da es dann der Aufsichtsrat immer in der Hand hätte, durch eine entsprechende Beschlussfassung über die Verkleinerung des Vorstandes einen wichtigen Grund für die Abberufung einzelner Vorstandsmitglieder zu schaffen, d. h. die von § 76 AktG geforderte Unabhängigkeit des Vorstandes (vgl. Weber in Hölters, AktG, 2. Aufl., § 84 Rn. 69 m. w. N.) wäre nicht mehr gegeben. Es ist schon fraglich, ob bei einer Entscheidung des Aufsichtsrats über die Verkleinerung des Vorstandes während bestehender Bestellungszeiten aller Vorstandsmitgliede dies sofort eine Rechtswirkung hat, d.h. hier eine sog. Überbesetzung des Vorstands ab diesem Zeitpunkt vorliegt, oder ob diese Entscheidung nicht erst dann Rechtswirkung entfaltet mit Ablauf der noch offenen kürzesten Bestellungsfrist von Vorstandsmitgliedern, d.h. die (zuerst) auslaufenden Vorstandsbestellungen dürften nicht verlängert oder neu besetzt werden, bis die nunmehr nach der Entscheidung des Aufsichtsrats festgelegte Anzahl der Vorstandsmitglieder erreicht ist. Aber selbst wenn man sofort ab der Entscheidung des Aufsichtsrats über die Verkleinerung des Vorstandes eine sog. Überbesetzung des Vorstandes annehmen wollte, rechtfertigt dies im vorliegenden Fall nicht, eine Abberufung des Klägers aus – einem vom Aufsichtsrat dann selbst geschaffenen – wichtigem Grund (so wohl ohne nähere Differenzierung Weber a. a. O. § 76 Rn. 65; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4.Aufl., AktG § 76 Rn. 20). Hier ist vielmehr mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum (Mertens/Cahn in Kölner Komm, AktG, 3. Aufl., § 76 Rn. 109; Kort in Großkomm AktG, 4. Auf., § 76 Rn. 198; Fleischer in Spindler/Stilz, a. a. O. § 76 Rn. 114) darauf abzustellen, dass hier dann auch eine Kündigung des Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund möglich sein muss, was unstreitig vorliegend nicht gegeben ist.

Kein Anspruch des Klägers auf unmittelbare Weiterbeschäftigung

Unbegründet ist die Klage jedoch derzeit, soweit der Kläger begehrt, dass die Beklagte ihn zu unveränderten Bedingungen gemäß dem Anstellungsvertrag vom 12.8.2011 als Vorstandsmitglied bis zum 31.5.2017 tatsächlich zu beschäftigen.

Diesem Anspruch des Klägers steht entgegen, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 84 Ab. 3 S. 4 AktG der Widerruf der der Bestellung zum Vorstand wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. Nur die rechtskräftige Feststellung der Unwirksamkeit führt zum Wiederaufleben des Organverhältnisses. Die Organstellung des Abberufenen endet damit zunächst mit Zugang der Widerrufserklärung oder Eintritt des für das Wirksamwerden des Widerrufs festgelegten Zeitpunkts, auch wenn ein wichtiger Grund nicht vorgelegen haben sollte (vgl. Weber a. a. O., Rn. 79 m. w. N.) und erst mit Rechtskraft der Entscheidung über die Unwirksamkeit, bzw. Nichtigkeit der Abberufung rückt der Abberufene ohne weiteres wieder in seine Position als Vorstandsmitglied ein. Der geltend gemachte Beschäftigungsanspruch des Klägers und damit auch dessen Fälligkeit besteht daher erst mit rechtskräftiger Feststellung über eine Unwirksamkeit der Abberufung. Ob dem Kläger dieser Beschäftigungsanspruch zusteht, stand aber zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht fest. Die Kammer kann ihrer Entscheidung nur den Prozessstoff zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde legen (vgl. BGH MDR 1996, 30; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. § 300 Rn. 3). Zu diesem Zeitpunkt stand aber nicht rechtskräftig fest, dass die Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund nicht wirksam ist. Dies ist erst gegeben, wenn die insoweit stattgebende Entscheidung dieses Urteils in Rechtskraft erwächst.

Soweit vertreten wird, dass bei formalen Fehlern bei der Abberufungsentscheidung diese Rechtsfolgen nicht eintreten (vgl. Fleischer a. a. O. Rn. 130 m. w. N.) hat die Kammer bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren des Klägers gegen die Beklagten gegen die Abberufung (LG Frankfurt/Main – 3-05 O 239/13 –) dies geprüft – und in ihrem von Kläger auch nicht angegriffenen den Antrag zurückweisenden Urteil vom 17.12.2013 hierzu Folgendes ausgeführt:

„Ob der Ausschluss des einstweiligen Verfügungsverfahrens - wie die Beklagte meint – auch für formelle Mängel der Abberufung zu gelten hat (so Schürnbrandt a. a. O.), kann letztlich dahingestellt bleiben, da der Kläger keine derartigen formellen Mängel aufgezeigt hat. Es ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht näher dargelegt, dass der Aufsichtsrat der Beklagten in der Sitzung vom 6.11.2013 in formell fehlerhafter Weise den Abberufungsbeschluss gefasst hat.

Auch die Mitteilung der Abberufung an den Kläger durch das Schreiben vom 6.11.2013 führt zu keinem formellen Fehler. Unabhängig davon, dass dem Kläger schon im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung bekannt war, welche Beschlussfassung hinsichtlich seiner Abberufung zur Entscheidung anstand, brauchte bei der Mitteilung an den Kläger über die Abberufung dieser Beschluss ihm nicht übergeben zu werden. Hierzu besteht keine Verpflichtung, zumal der Beschluss keine Gründe enthalten muss (vgl. Fleischer a. a. O. Rn. 124, Reichard a. a. O.). Der Kläger behauptet selbst nicht, dass ihn nicht in entsprechender Anwendung des § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB die Gründe auf ein Verlangen von ihm nicht mitgeteilt worden wären. Es genügte für den ordnungsgemäßen Zugang der Abberufungsentscheidung beim Kläger, dass ihm das Schreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden vom 6.11.2013 übergeben wurde, da sich hieraus die in der Abberufungsentscheidung des Aufsichtsrats enthaltende Willenserklärung über seine Abberufung ergibt. Hierzu war der Aufsichtsratsvorsitzende auch ermächtigt, da diesem nach § 14 Abs. 9 der Satzung der Beklagten obliegt, die Willenserklärungen des Aufsichtsrats (nach außen gegenüber dem Erklärungsempfänger) abzugeben.“

Es besteht auch im vorliegenden Rechtsstreit keine Veranlassung von dieser Ansicht abzuweichen.

 

 

 


 

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