BGH: EuGH-Vorlage zur Auslegung des Begriffs „Inverkehrbringen“ i. S. d. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 864/2007
BGH, Beschluss vom 8.4.2025 – VI ZR 43/22
ECLI:DE:BGH:2025:080425BVIZR43.22.0
Volltext: BB-Online BBL2025-1410-1
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Amtliche Leitsätze
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II") folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Begriff "Inverkehrbringen" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 dahingehend zu verstehen, dass ein Produkt auch dann in dem Staat in Verkehr gebracht wird, in dem der Endabnehmer es von einem Händler erwirbt, wenn der Hersteller, der in einem anderen Staat seinen Sitz hat, das Produkt zuvor an seinem Sitz an einen Spediteur übergeben hat, der das Produkt unmittelbar an den Sitz des Endabnehmers geliefert hat, oder erfolgt das Inverkehrbringen dann auch im Verhältnis zum Endabnehmer in dem Staat, in dem der Hersteller seinen Sitz hat?
2. Ist der Begriff "Inverkehrbringen" im Sinne des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 dahingehend auszulegen, dass ein Inverkehrbringen nicht nur durch den Hersteller selbst, sondern auch durch einen Dritten, wie etwa einen Händler, der es vom Hersteller erworben hat, erfolgen kann?
3. Falls die Frage Ziffer 2 zu bejahen ist: Steht es einem "Inverkehrbringen" des konkret schadhaften/schädigenden Produktes im Staat des Endkunden in diesem Fall entgegen, wenn der Endkunde vom Händler das Produkt als Komponente einer umfangreicheren technischen Gesamtanlage, die der Händler beim Erwerber installiert, erwirbt oder least?
4. Welches nationale Recht ist anzuwenden, wenn keine der Anknüpfungsvarianten des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 greift?
5. Ist bei der Beurteilung der Frage, ob ein Produkt in einem bestimmten Staat im Sinne des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 in Verkehr gebracht worden ist, auf das konkrete schadhafte/schädigende Produkt abzustellen, oder ist es ausreichend, wenn jedenfalls ein identisches Produkt oder ein gleichartiges Produkt in dem bestimmten Staat in Verkehr gebracht worden ist?
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II") Art. 5
Aus den Gründen
1 A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz aus Produkthaftung nach italienischem Recht im Zusammenhang mit Mängeln an sechs Legebatterien des Typs S. HR3.
2 Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln, insbesondere von Eiern und Eierprodukten mit Sitz in Italien. Die Beklagte, die bis zum 7. August 2019 als S. I. GmbH firmierte, ist ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland und vertreibt Artikel der verarbeitenden Industrie, insbesondere von ihr entwickelte und hergestellte S. -Legebatterien für den Geflügelzuchtbedarf.
3 Eigene vertragliche Beziehungen über die sechs streitgegenständlichen Legebatterien bestehen zwischen den Parteien nicht. Vielmehr verkaufte die Beklagte zwischen 2009 und 2010 insgesamt fünf Legebatterien an das niederländische Unternehmen V. O. B.V. und im Jahr 2009 eine Legebatterie an das französische Unternehmen O. S.A.S., die später auch von der V. O. B.V. erworben wurde. Hinsichtlich der Installation vereinbarte die Beklagte mit der V. O. B.V. bzw. O. S.A.S. jeweils: "Der Gesamtwert des Vertrags beinhaltet nicht die Installation. Auf Wunsch des Käufers wird der Verkäufer dem Käufer einen Techniker für 35 € die Arbeitsstunde zur Verfügung stellen." Weiter war in der Klausel mit der Überschrift "Material vom Vertrag ausgeschlossen" geregelt: "Installationskosten, Entladen der Ausrüstung vom LKW, elektrische Verdrahtung und Stromversorgung des Hauses, Gebäude und alle Konstruktionen funktionieren innerhalb und außerhalb des Gebäudes; Ei-Querförderer; Hauptwasserversorgung zum Haus, Silo, Dosierwaage und Förderschnecke vom Silo in den Stall, Klimacomputer/komplette Lüftungsgeräte, Lüftungsklappen, Mist-Querförderer, Alles was im Vertrag nicht ausdrücklich erwähnt wird." Die Verladung der Legebatterien sollte in Deutschland erfolgen.
4 Die V. O. B.V. verkaufte vier der sechs Legebatterien einzeln als "V. O. -Volierensysteme" an vier verschiedene italienische Leasingunternehmen. Diese Unternehmen schlossen jeweils einen Leasingvertrag über die jeweiligen Legebatterien mit der Klägerin ab. Von den beiden übrigen zwei Legebatterien verkaufte die V. O. B.V. - ebenfalls als V. O. -Volieren-Systeme - eine an das italienische Unternehmen S. A. C. S.P.A. Eine weitere Legebatterie veräußerte sie an ein weiteres Leasingunternehmen mit Sitz in Italien, welches die Anlage wiederum im Wege eines Leasings an die S. A. C. S.P.A. überließ, möglicherweise wurde sie auch direkt an die S. A. C. S.P.A. veräußert. Die S. A. C. S.P.A. wurde später mit der Klägerin fusioniert. Vertragsgegenstand der jeweiligen Leasingverträge war jeweils ein komplettes Volieren-System für Legehennen.
5 Von Juli bis Dezember 2010 erfolgte der Aufbau der Volieren-Systeme in sechs Hallen der Klägerin in C. (Italien). Hierzu wurden die Volieren-Systeme auf Kosten der V. O. B.V. vom Standort bei der Beklagten in Deutschland direkt zum Produktionssitz der Klägerin in Italien geliefert. Der Aufbau erfolgte durch Mitarbeiter der V. O. B.V. unter Hinzuziehung von Mitarbeitern der Beklagten. Nach der Fertigstellung kam es zu technischen Problemen an den Volieren-Systemen.
6 Im Mai 2011 leitete die V. O. B.V. wegen dieser Probleme ein selbständiges Beweisverfahren nach italienischem Recht gegen die Beklagte bei dem Zivilgericht in Ferrara (Italien) ein. Die Anlagen wurden zwischen September 2013 und Januar 2014 repariert.
7 Im Jahr 2014 hat die Klägerin Klage gegen die Beklagte ebenfalls vor dem Zivilgericht in Ferrara erhoben. Das Zivilgericht in Ferrara hat sich für international nicht zuständig erklärt.
8 Daraufhin hat die Klägerin in Deutschland die nun vorliegende Schadensersatzklage erhoben, mit der sie der Beklagten planerische und strukturelle Mängel und Funktionsstörungen an den sechs Anlagen vorwirft. Sie stützt ihre Ansprüche auf deliktische Produkthaftung nach italienischem Recht. Sie macht Schadensersatz für die Beschädigung von Eiern, Mehrkosten für Personal, Mängelbeseitigungskosten, Mehrkosten für den Transport von Hühnerkot, den Minderwert der Anlage, entgangenen Gewinn wegen Produktionsstillstandes, fehlende Abschreibungsmöglichkeiten und entgangene Miet- und Pachteinnahmen geltend.
9 Die Klägerin ist - soweit für das Vorlageverfahren relevant - der Auffassung, es sei nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Rom II-VO italienisches Recht anwendbar, da die Anlagen in Italien in Verkehr gebracht worden seien. Nach italienischem Recht habe die Beklagte aufgrund ihrer fahrlässigen Handlungen, durch die sie der Klägerin rechtswidrigen Schaden zugefügt habe, die Pflicht, den Schaden zu ersetzen. Als Leasingnehmerin habe sie nach den vertraglichen Bestimmungen das Recht, Schadensersatzansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Sie habe bereits zuvor von der Beklagten hergestellte Anlagen vom Typ S. HR3 in Italien erworben und betrieben, so seit 2007 in einem Werk bei Imola (Italien).
10 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter.
11 B. Möglicherweise auf den Fall anwendbare oder zum Verständnis der Instanzentscheidungen notwendige Vorschriften des nationalen Rechts:
12 1. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):
13 § 823 Abs. 1 BGB: Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
14 2. Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz - ProdHaftG):
15 § 1 Haftung
16 (1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
17 § 4 Hersteller
18 (1) Hersteller im Sinne dieses Gesetzes ist, wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Als Hersteller gilt auch jeder, der sich durch das Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt.
19 C. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II-VO") ab. Vor einer Entscheidung ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) einzuholen.
20 I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in EuZW 2022, 384 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Klägerin stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Nach Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO sei deutsches Recht anzuwenden. Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO stelle bei allen drei Anknüpfungsvarianten darauf ab, in welchem Staat das Produkt in Verkehr gebracht worden sei. Die Beklagte habe die von ihr verkauften Legebatterien in Deutschland in den Verkehr gebracht, indem sie diese für die V. O. B.V. und O. S.A.S. in I. (Deutschland) zur Abholung bereitgestellt habe und damit ihre Vertragspflichten gegenüber der V. O. B.V. bzw. O. S.A.S. erfüllt habe. In Italien seien hingegen V. O. -Volieren-Systeme - die vom Lieferumfang und vom Preis um ein Vielfaches umfangreicher gewesen seien als die von der Beklagten verkauften Legebatterien - von der V. O. B.V., und gerade nicht von der Beklagten auf den Markt gebracht worden. Die Beklagte habe lediglich einzelne Teile geliefert. Ein Anspruch auf Schadensersatz nach dem deutschen Recht bestehe nicht.
21 II. Für den Erfolg der Revision kommt es darauf an, ob - wie die Revision meint - auf den Streitfall anders als vom Berufungsgericht angenommen gemäß Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO italienisches Recht Anwendung zu finden hat.
22 Die Frage, welches nationale Recht auf den Streitfall Anwendung findet, ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht ist von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen und hatvon seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig keine Ermittlungen zur Feststellung des italienischen Rechts angestellt. Im Revisionsverfahren, in dem Feststellungen zum Inhalt des anwendbaren ausländischen Rechts nicht getroffen werden können, ist deshalb zu Gunsten der Klägerin ihr Vortrag zu unterstellen, dass die geltend gemachten Schadensersatzansprüche sich aus dem italienischen Recht ergeben.
23 Damit hängt die Entscheidung über die Revision von der Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO ab, insbesondere von der Auslegung des Begriffs des "Inverkehrbringens".
24 1. Zu den Vorlagefragen 1 und 2
25 a) Nachdem im Streitfall keine vorrangigen staatsvertraglichen Regelungen greifen (vgl. Art. 28 Rom II-VO) und auch weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Parteien dieses außervertraglichen Schuldverhältnisses (ex post oder ex ante) eine wirksame Rechtswahl getroffen hätten (vgl. dazu Art. 14 Rom II-VO), sind für die Entscheidung des Streitfalls die in Art. 5 Rom II-VO genannten Anknüpfungspunkte maßgeblich:
26 Fehlt es an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Deliktsbeteiligten in demselben Staat (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 und Art. 23 Rom II-VO), so kommt es zur Prüfung der Anknüpfungsleiter, die aus drei Sprossen (Stufen) besteht (vgl. dazu und zum Folgenden Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 8 ff.; Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 5 Rom II-VO, Stand: 1.7.2023, Rn. 7; Stürner in Erman, BGB, 17. Aufl., Art. 5 Rom II-VO Rn. 12 ff.). Auf der ersten Stufe ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Geschädigte zum Zeitpunkt des Schadenseintritts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sofern das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO. Anderenfalls - nächste Stufe - ist das Recht des Staates maßgeblich, in dem das Produkt (vom Geschädigten) erworben wurde, falls das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b Rom II-VO. Kommt diese Stufe mangels Vorliegens ihrer Erfordernisse nicht zum Zuge, gilt das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, falls das Produkt in diesem Staat in Verkehr gebracht wurde, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Rom II-VO. Nach allen drei Stufen kommt es folglich auf das Inverkehrbringen an.
27 Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO enthält dann eine zum Schutz der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, wirkende Vorhersehbarkeitsklausel. Wenn diese ersatzpflichtige Person vernünftigerweise das Inverkehrbringen des Produktes oder eines gleichartigen Produktes in dem Staat, dessen Recht nach Buchst. a, b oder c anzuwenden ist, nicht vorhersehen konnte, kommt das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, zur Anwendung. Eine explizite Regelung, welches Recht anwendbar ist, wenn die Voraussetzungen keiner Stufe der Anknüpfungsleiter greifen, ist in Art. 5 Rom II-VO nicht getroffen worden (vgl. Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Art. 5 Rom II-VO Rn. 69 ff.; Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 5 Rom II-VO Rn. 31).
28 b) Das Berufungsgericht hatden Begriff des Inverkehrbringens entsprechend der englischen Fassung der Rom II-VO ("if the product was marketed in that country") im Sinne von "Vermarkten", "auf den Markt bringen" verstanden. Da die beklagte Herstellerin entsprechend ihrer Verträge über sechs S. -Legebatterien mit dem niederländischen Unternehmen V. O. B.V. und dem französischen Unternehmen O. ihre Produkte in I. (Deutschland) zur Abholung bereitgestellt und dort ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den beiden Vertragspartnern erfüllt habe, seien die Produkte in Deutschland auf den Markt gebracht worden. Mit dem Verlassen des Werks in I. sei das Inverkehrbringen erfolgt. Fehle es wie hier an einem Inverkehrbringen des Produkts an einem der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis c Rom II-VO genannten Orte, komme nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO der gewöhnliche Aufenthalt des Herstellers als Anknüpfungskriterium zum Zuge. Da dieser in Deutschland liegt, geht das Berufungsgericht von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus.
29 c) Fraglich ist aber, ob die gebotene autonome Auslegung des Begriffs des "Inverkehrbringen" nicht im Verhältnis zur Klägerin zu einem Inverkehrbringen der Produkte in Italien und damit zur Anwendbarkeit italienischen Rechts führt, da die Produkte vonden Vertragspartnern der beklagten Herstellerin nach Italien geliefert und (zumindest als Teil eines umfassenden Volieren-Systems) dort installiert worden sind. In Italien soll auch der geltend gemachte Schaden entstanden sein. Der Streitfall gibt Anlass zur Klärung der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Tatbestand des Inverkehrbringens eines Produktes im Sinne der Rom II-VO erfüllt ist.
30 aa) Geht man vonden Maßstäben der Art. 7 Buchst. a, b und Art. 11 der Richtlinie des Rats vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte 85/374/EWG (im Folgenden: RL 85/374/EWG) aus (so der Vorschlag von Dörner in Schultze, BGB, 12. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - C-127/04 Declan O'Byrne/Sanofi Pasteur MSD Ltd. u.a; Thorn in Grüneberg, BGB, 84. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 11; Marenghi, YPIL 16 (2014/2015), 511, 524 f.; dort Anhaltspunkte entnehmend Lehmann in Hüßtege/Mansel/Dauner-Lieb/Heidel/Ring, BGB, Rom-Verordnungen, 4. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 75), ist eine Sache dann in den Verkehr gebracht, wenn der Hersteller bzw. der Importeur oder der "Als-Ob"-Hersteller sie nach Abschluss des Produktionsprozesses aus freien Stücken in den Wirtschaftsverkehr gibt (vergleichbar dem "Werkstorprinzip"). Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2006 (C-127/04, Slg. 2006, I-01313 Rn. 27, Declan O‘Byrne) ein Produkt als im Sinne von Art. 11 der RL 85/374/EWG in den Verkehr gebracht angesehen, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es im ge- oder verbrauchswertigen Zustand öffentlich angeboten wird (vgl. auch Urteil des Gerichtshofs vom 24. November 2022 - C-691/21, ZfPC 2023, 94 Rn. 41, CafpiSA/EnedisSA = BeckRS 2022, 32689). Für den Begriff des Inverkehrbringens in Art. 7 Buchst. a Richtlinie 85/374/EWG soll aber nicht die Auslegung nach "objektiven Kriterien" mit "neutralem Charakter" wie für Art. 11 maßgeblich sein, da eine "enge" Auslegung des in Art. 7 geregelten Haftungsausschlusses zugunsten des Geschädigten geboten sei. Dazu soll das Produkt die Herrschaftssphäre des Herstellers nicht zwingend verlassen haben müssen, sondern kann eine mit dessen Willen erfolgte Verwendung des Produkts ausreichen, wenn der Geschädigte sich dazu in die Herrschaftssphäre des Herstellers begeben muss (vgl. Katzenmeier/Voigt in Stöhr/Katzenmeier/Voigt, Produzentenhaftung, 3. EL 2024, Teil Produkthaftpflicht in Deutschland, D.1.A. Haftung (§ 1), S. 14 f. zu EuGH, Urteil vom 10. Mai 2001 - C-203/99, NJW 2001, 2781 Rn. 14 ff., Veedfald). Diese Differenzierung wird im Schrifttum (im Rahmen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdhaftG) dahingehend verstanden, dass es für den Haftungsausschluss nicht auf den räumlichen Herrschaftsbereich des Herstellers, Eigentumsfragen an dem Produkt oder Aspekte konzerninterner Arbeitsteilung ankommen kann, sondern dass der Zeitpunkt des Inverkehrbringens davon abhängt, wann der Hersteller den Produktionsprozess für beendet hält und eine Verwendung des Produkts im Verkehr mit geschützten Rechtsgütern Dritter zulässt (vgl. Katzenmeier/Voigt aaO S. 14 f. mwN; vgl. auch Wagner in MünchKommBGB, 9. Aufl., ProdhaftG § 1 Rn. 26 ebenfalls zur Entscheidung Veedfald). Dass der Gerichtshof bereits innerhalb der Richtlinie 85/374/EWG bei der Auslegung des Begriffs des Inverkehrbringens differenziert, könnte darauf hinweisen, dass eine unveränderte Übernahme der Definitionen für die Auslegung der Rom II-VO Bedenken begegnet.
31 bb) Gegen die Heranziehung dieser Definitionen spricht bereits, dass der Sachverhalt des Streitfalls ersichtlich nicht von der RL 85/374/EWG erfasst wird, da diese nach ihrem Art. 9 Abs. 1 Buchst. b für den Schaden die Beschädigung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produkts verlangt, die von einer Art ist, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist und die von dem Geschädigten hauptsächlich für den privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden ist (vgl. nur EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C-285/08, EuZW 2009, 501 Rn. 27 f., Moteurs Leroy Somer/Dalkia France). Die hier betroffenen Volieren-Systeme sind gewerblich bzw. beruflich genutzt worden. Die der Richtlinie 85/374/EWG zugrundeliegenden Ziele und Wertungen könnten für einen solchen Sachverhalt bereits nicht angemessen sein. Dies gilt umso mehr, als nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden (vgl. nur EuGH, Urteil vom 24. November 2022 - C-691/21, ZfPC 2023, 94 Rn. 37 - CafpiSA/EnedisSA mwN).
32 Bereits der Vergleich des Wortlauts der Rom II-VO und der Richtlinie 85/374/EWG erweckt Bedenken, ob die für die Richtlinie 85/374/EWG entwickelten Auslegungen des Begriffs des "Inverkehrbringens" übertragen werden können. Lediglich in der deutschen Übersetzung der Rom II-VO wird der Begriff des "Inverkehrbringens" wie in der deutschen Übersetzung der Richtlinie 85/374/EWG verwandt und so eine übereinstimmende oder ähnliche Bedeutung nahegelegt. Diese Übereinstimmung gibt es aber in zahlreichen anderen Sprachversionen nicht: So spricht die englische Version in Art. 5 Rom II-VO von "if the product was marketed in that country", während die Richtlinie 85/374/EWG in Art. 6, 7, 11 und 17 den Begriff "put into circulation" verwendet. Vergleichbares lässt sich für weitere Sprachversionen feststellen. So lauten die Übersetzungen der Rom II-VO für die französische Sprache "commercialisé", für die italienische Sprache "commercializzato", für die spanische Sprache "comercialió", während die Übersetzung für die Richtlinie 85/374/EWG für die französische Sprache "mis en circulation", für die italienische Sprache "messo in circolazione" und für die spanische Sprache "puso in circolaciòn" lautet (vgl. BeckOGK/Müller-Berg, 1.2.2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 79-79.3, der für die deutsche Version der Rom II-VO von einem Redaktionsversehen ausgeht). Auch in der niederländischen Version verwendet die Rom II-VO den Begriff "op de markt is gebracht" und für die Richtlinie 85/374/EWG "in het verkeer is gebracht" (vgl. dazu auch Schmidt/Pinkel in Callies, Rome Regulations, 2015, Art. 5 Rn. 28).
33 Gegen eine Übertragung der Auslegung der Richtlinie 85/374/EWG sprechen auch der jeweilige Kontext der verwendeten Begriffe und die unterschiedlichen Zwecke der Richtlinie und der Rom II-VO. "Putting into circulation" in Art. 6 und 7 der Richtlinie zielt darauf, den relevanten Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem das Produkt fehlerhaft ist und zu dem der Hersteller den Fehler hätte entdecken und vermeiden können. Nach diesem Zeitpunkt fehlt dem Hersteller die Kontrolle über das Produkt und seine Verantwortlichkeit für Fehler muss beschränkt werden. Inverkehrbringen und Vorhersehbarkeit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO bestimmen das anwendbare Recht unter Berücksichtigung der Belange der potentiell haftenden Person im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit. Diese Person soll nicht dem Recht der Staaten unterworfen werden, in denen sie nicht beabsichtigte, das Produkt zum Kauf anzubieten (vgl. Illmer in RabelsZ 2009, 269, 290; ders. in Huber, Rome II Regulation, 2011, Art. 5 Rome II Rn. 30).
34 Nach Erwägungsgrund 20 der Rom II-VO sollte die Kollisionsnorm für die Produkthaftung für eine gerechte Verteilung der Risiken einer modernen, hochtechnisierten Gesellschaft sorgen, die Gesundheit der Verbraucher schützen, Innovationsanreize geben, einen unverfälschten Wettbewerb gewährleisten und den Handel erleichtern. Die Schaffung einer Anknüpfungsleiter stelle danach zusammen mit einer Vorhersehbarkeitsklausel im Hinblick auf diese Ziele eine ausgewogene Lösung dar. Im Hinblick auf diese Vorhersehbarkeitsklausel wird Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO so ausgelegt, dass ein Inverkehrbringen selbst dann gegeben sein kann, wenn es für den Produzenten nicht vorhersehbar war. Daraus wird geschlossen, dass die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, das Produkt nicht selbst in dem betreffenden Staat in Verkehr gebracht haben muss (vgl. Pabst in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Lieferung 1/2023, Art. 5 EGV 864/2007 Rn. 76 unter Hinweis auf OGH Österreich, Beschluss vom 8. April 2014 - 3 Ob 8/14v, BeckRS 2016, 81204), sondern diese Einschränkung auf Fälle zugeschnitten ist, in denen die Waren durch andere Personen als den Hersteller bzw. ihm gleichgestellte Personen in den in Buchst. a bis c bezeichneten Staaten vertrieben wurden (vgl. Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl. Art. 5 Rom II-VO, Stand 1.7.2023, Rn. 18; Bach in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., Rom II Art. 5 Rn. 15). Inverkehrbringen könne vom Erstvertrieb des Produkts durch den Hersteller bis zum Vertrieb an den Endverbraucher reichen. Das Element des Inverkehrbringens sei nicht herstellerbezogen, sondern produktbezogen (vgl. dazu und zum Folgenden Illmer in RabelsZ 2009, 269, 290).
35 Anders als das Berufungsgericht mit Stimmen in der Literatur meint, könnte nach diesen Auffassungen ein Produkt nicht nur dort in den Verkehr gebracht werden, wo es zum ersten Mal an einen Nutzer oder Verbraucher im Wege des Kaufs, der Miete oder einer anderen kommerziellen Vertriebsart überlassen wird (so aber beispielsweise Hein, ZEuP 2009, 6, 26). Es müsste nicht vom Hersteller selbst in den Verkehr gebracht werden. Es würde genügen, wenn ein Importeur das Produkt in dem betreffenden Staat in Verkehr bringt, und zwar selbst dann, wenn der Importeur nicht zum Vertriebsnetz des Herstellers gehören würde (vgl. Bach in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., Rom II Art. 5 Rn. 15; Thorn in Grüneberg, BGB, 84. Aufl., Rom II Art. 5 Rn. 11). Würde man diesen letztgenannten Auffassungen folgen, könnte gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin in Italien italienisches Recht Anwendung finden.
36 Eine klärende Entscheidung des Gerichtshofs zu diesen Fragen liegt bisher nicht vor und die dargestellten unterschiedlichen Rechtsauffassungen zeigen, dass die gerichtliche Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.
37 2. Zu der Vorlagefrage 3
38 Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, ein Inverkehrbringen in Italien komme nicht in Betracht, da dort nicht die von der Beklagten hergestellten S. -Legebatterien, sondern von der V. O. B.V. deren V. O. -Volieren-Systeme auf den Markt gebracht worden seien. Mit dem Verlassen des Werks in Deutschland sei das Inverkehrbringen der Produkte der Beklagten in Deutschland erfolgt, in Italien seien die Volieren-Systeme der V. O. B.V. in Verkehr gebracht worden. Nach Auffassung der Beklagten habe die V. O. B.V. mit dem Volieren-System ein eigenständiges Produkt an die Klägerin geliefert und damit in Italien in Verkehr gebracht. Es handle sich deshalb im Streitfall gerade nicht um eine Lieferkette.
39 a) Diese Beurteilung könnte einem besonderen Verständnis zweier Begriffe des Produkthaftungsrechts geschuldet sein, dem Begriff des Produkts und des Herstellers. Ein Produkt, das als Komponente in ein anderes Produkt eingegliedert oder eingebaut wird, wie die Legebatterien des Streitfalles in die Volieren-Systeme, könnte nur bis zur Übernahme durch den Weiterverarbeitenden oder bis zur Eingliederung oder Weiterverarbeitung in Verkehr gebracht werden, danach wäre nur noch das Inverkehrbringen eines anderen Zwischenproduktes oder des Endproduktes möglich. In Verkehr gebracht wäre nach diesem Verständnis im Streitfall nur das Endprodukt.
40 b) Dagegen könnte schon sprechen, dass die Rom II-VO den Begriff des Herstellers nicht verwendet. In Art. 5 Rom II-VO und auch im Erwägungsgrund 20 wird der Hersteller nicht ausdrücklich genannt, hier ist nur von der "Person, deren Haftung geltend gemacht wird," die Rede. Im Übrigen ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien, dass der Begriff der "Person, deren Haftung geltend gemacht wird", nicht zwingend den Hersteller eines Endprodukts bezeichnet, es kann sich auch um den Hersteller eines Ausgangserzeugnisses oder Bauteils, einen Zwischenhändler oder den Letztverkäufer handeln (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, KOM (2003) 427, Seite 16). Unter Hinweis darauf führen Huber/Illmer ergänzend aus: "However, this does not imply that the rule is limited to those persons. Rather, a distinction should be made: For the purpose of determining the applicable law pursuant to Art. 5, the person claimed to be liable can be any person. Whether this person is then actually liable is a matter of the applicable substantive law" (Huber/Illmer, YPIL 9 (2007), 31, 38; vgl. auch Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 29). Dies einschränkend wird vertreten, dass Anspruchsgegner nur diejenigen Personen sein können, die für die Eigenschaften eines Produkts verantwortlich sind, weil sie in irgendeiner vom Normsetzer als relevant erachteten Form in den Herstellungs- oder Vertriebsprozess einbezogen sind (vgl. BeckOGK/Müller-Berg, 1.2.2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 44 ff.).
41 c) Der Kommissionsvorschlag für die Rom II-VO hat darüber hinaus in seiner Begründung für die Definition der Begriffe "Produkt" und "fehlerhaftes Produkt" auch auf die Definitionen in Art. 2 und 6 der RL 85/374/EWG zurückgegriffen (KOM (2003) 427, Seite 14).
42 Nach Art. 2 der RL 85/374/EWG gilt als "Produkt" jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. In Erwägungsgrund 3 der RL 85/374/EWG wird im Zusammenhang mit der Haftung für bewegliche Sachen ausdrücklich ausgeführt, dass die in der Richtlinie vorzusehende Haftung auch für bewegliche Sachen gelten muss, die bei der Errichtung von Bauwerken verwendet oder in Bauwerke eingebaut werden. Nach Erwägungsgrund 4 der Richtlinie erfordert der Schutz des Verbrauchers, dass alle am Produktionsprozess Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft war. Art. 5 der RL 85/374/EWG regelt eine gesamtschuldnerische Haftung, wenn aufgrund der Richtlinie mehrere Personen für denselben Schaden haften. In Art. 7 Buchst. f RL 85/374/EWG ist bestimmt, dass der Hersteller aufgrund der Richtlinie nicht haftet, wenn er beweist, wenn es sich um den Hersteller eines Teilproduktes handelte, dass der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in welches das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen des Herstellers des Produkts verursacht worden ist.
43 Die hier getroffenen Regelungen für die Haftung bei der überaus häufigen arbeitsteiligen Herstellung (vgl. BeckOK BGB/Förster, 73. Ed. 1.2.2025, ProdHaftG § 4 Rn. 8-10) gehen davon aus, dass eine Haftung auch für ein Teilprodukt möglich ist. Auch für diese soll nach dem Kommissionsvorschlag die Rom II-VO regeln, welches nationale Recht Anwendung findet. Dass das Inverkehrbringen eines Teilproduktes mit der Übernahme durch den Weiterverarbeitenden oder den Einbau oder die Eingliederung in ein Zwischen- oder Endprodukt enden würde, lässt sich weder dem Wortlaut der RL 85/374/EWG noch der Rom II-VO entnehmen. Das in der Richtlinie geregelte Haftungsregime für arbeitsteiliges Herstellen und die sich dahinter verbergenden vielfältigen Konstellationen sprechen schon dafür, dass die Klärung der jeweiligen Verantwortlichkeiten der am Produktionsprozess Beteiligten eine Frage des anwendbaren materiellen Rechts sein sollte, aber nicht vorab zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts erforderlich sein sollte.
44 Geht man danach mit der Begründung des Kommissionvorschlags vonden Begriffen der RL 85/374/EWG auch für Art. 5 Rom II-VO aus, dürfte die Tatsache, dass die Legebatterien als Komponente eines umfassenderen Volieren-Systems von einem niederländischen Unternehmen in Italien vertrieben und installiert worden sind, der Annahme eines Inverkehrbringens der von der Beklagten hergestellten Legebatterien (auch) in Italien nicht entgegenstehen.
45 Auch insoweit fehlt es aber an einer klärenden Entscheidung des Gerichtshofes.
46 3. Zu der Vorlagefrage 4
47 Wenn es für das "Inverkehrbringen" mit dem Berufungsgericht auf den Erstvertrieb durch den Hersteller ankäme, würde sich die Frage stellen, welche Regelung Anwendung findet, wenn keine der Konstellationen von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis c erfüllt ist. Auch hierzu fehlt es bisher an einer klärenden Entscheidung des Gerichtshofs.
48 In der Literatur wird überwiegend von einer Regelungslücke ausgegangen, die dadurch zu schließen sei, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO analog anzuwenden sei, wonach maßgeblich der Ort sei, an dem die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, meistens also der Hersteller, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. Rudolf, wbl 2009, 525, 531; Hein, ZEuP 2009, 6, 28; Stürner in Erman, BGB, 17. Aufl., Art. 5 EGV 864/2007 Rn. 17; Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 69 ff.; BeckOGK/Müller-Berg, 1.2.2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 101; Illmer, RabelsZ 2009, 269, 296 f.; Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 5 Rom II-VO (Stand: 1.7.2023, Rn. 7, 32 f.). Argumentiert wird mit einem Erst-recht-Schluss zu Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO. Wenn nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Ersatzpflichtigen schon maßgeblich sein soll, wenn es an der Vorhersehbarkeit des Inverkehrbringens in einem bestimmten Staat fehlt, so müsse die Rechtsfolge des Abs. 1 S. 2 erst recht eintreten, wenn es schon am Inverkehrbringen des Produkts in diesem Staat mangelt (argumentum a fortiori). Der Erst-recht-Schluss führe also zur analogen Anwendung des Abs. 1 S. 2 auch in dem Fall, dass es nicht erst an der Vorhersehbarkeit des Inverkehrbringens, sondern bereits am Inverkehrbringen selbst fehle (vgl. nur Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl. 2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 71; Wagner, IPrax 2008, 1, 7; Illmer, RabelsZ 2009, 269, 296 f. jeweilsmwN).
49 Vorgeschlagen wird als Lösung aber auch die Anwendung des Rechts des nächstliegenden Verbreitungsorts, weil dies dem Umstand gerecht werde, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, b und c Rom II-VO dem Verbreitungsort des Produkts eine zentrale Bedeutung einräume (so Kadner Graziano, RabelsZ 2009, 1, 44). Auch eine Anknüpfung an Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO und damit den Ort, an dem der Schaden eintritt, wird erörtert, weil diese Lösung geschädigtenfreundlich sei, dieser Ort der auch sonst immer wieder in Bezug genommenen Grundregel entspräche und auf der Linie des sonstigen Verbraucherschutzes in Europa liege (vgl. Spickhoff in FS für Kropholler, 2008, 671, 686; Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 18. Aufl., Art. 5 Rom II Rn. 9; Hartley, ICLQ 2008, 899, 905).
50 4. Zu der Vorlagefrage 5
51 Wenn im Hinblick auf die konkreten Legebatterien von einem Inverkehrbringen nur am Sitz der Beklagten in Deutschland auszugehen wäre, könnte der Vortrag der Klägerin, sie habe bereits vor 2007 Legebatterien des gleichartigen Typs S. HR 3 in Italien erworben und betrieben, entscheidungserheblich werden, wenn es für Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis c Rom II-VO genügen würde, dass ein Produkt der gleichen Art in den relevanten Markt eingeführt worden ist. Dann würde sich das anwendbare Recht aus der "ersten Sprosse" der Anknüpfungsleiter in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO ergeben, weil es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der geschädigten Person beim Eintritt des Schadens - Italien - und das Inverkehrbringen eines gleichartigen Produkts 2007 - in Italien - ankäme, sodass das italienische Recht anwendbar wäre, weil die Anknüpfung in Buchst. a der in Buchst. b (Ort des Erwerbs) vorgehen würde.
52 Ob das Inverkehrbringen eines gleichartigen Produkts, das in der Vorhersehbarkeitsklausel des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Rom II-VO genannt wird, auch für die Anknüpfung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a bis c Rom II-VO genügt, ist im Schrifttum umstritten. Eine klärende Entscheidung des Gerichtshofs gibt es noch nicht.
53 Der Meinungsstreit stellt sich dar wie folgt: Nach dem Wortlaut muss "das Produkt" in den Verkehr gebracht ("marketed", siehe oben) werden. Eine restriktive Auslegung kommt zu dem Ergebnis, dass damit nur das konkrete schädigende Produkt gemeint ist (vgl. Hein ZEuP 2009, 6, 26 f.; Hartley ICLQ 2008, 899, 904), nach einer weiteren Auslegung sind angesprochen das schädigende oder ein identisches Produkt (vgl. Schmid/Pinkel in Callies, Rome Regulations, 2015, Rome II Art. 5 Rn. 35), nach der weitesten Auslegung können das konkret schädigende, ein identisches oder ein gleichartiges Produkt in Betracht kommen (vgl. Illmer, RabelsZ 2009, 269, 292 ff.; Rudolf, wbl 2009, 525, 530; Wagner, IPrax 2008, 1, 7; Illmer in Huber, Rome II Regulation, 2011, Art. 5 Rome II Rn. 31; Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 38 f.).
54 Allein nach dem Wortlaut der Verordnung sind alle Auslegungen möglich (vgl. nur BeckOGK/Müller-Berg, 1.2.2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 87). Zur Berücksichtigung der Interessen der Hersteller wird für eine restriktive Auslegung plädiert. Komme es nämlich nicht auf das konkrete schadenstiftende Produkt an, vergrößere sich das Rechtsanwendungsrisiko des Herstellers (vgl. Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 38). Zugunsten einer weiten Auslegung wird dahingehend argumentiert, dass diese den Interessen der Geschädigten entgegenkomme (vgl. Rudolf, wbl 2009, 525, 530). Für sie spreche die Systematik des Art. 5. Wie sich aus der Gleichstellung des "Produkts" mit einem "gleichartigen Produkt" in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO gut erkennen lasse, soll es auf das Inverkehrbringen eines gleichartiges Produktes - also die Produktgattung - ankommen (vgl. dazu Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 39). Wären gleichartige Produkte von Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst, wäre ihre Nennung in Abs. 1 Satz 2 als Einschränkung sinnlos (vgl. Illmer in Huber, Rome II Regulation, 2011, Art. 5 Rome II Rn. 33). Dem wird aber entgegengehalten, es seien Fälle denkbar, in denen ein schädigendes Produkt in einem bestimmten Staat in den Verkehr gebracht werde, dies für den Hersteller jedoch nicht vorhersehbar sei. Habe er aber gleichwohl vorhersehen können, dass ein gleichartiges Produkt dort in den Verkehr gebracht worden sei, erhalte diese zusätzliche Anforderung ihre eigenständige Bedeutung (vgl. BeckOGK/Müller-Berg, Rom II-VO Art. 5 Rn. 88). Dies entspräche auch dem Zweck der Vorhersehbarkeitsklausel: Der Hersteller soll sich darauf einstellen oder darauf Einfluss nehmen können, welcher Rechtsordnung, genauer welchem Haftungsrisiko, er sich mit seinem Produkt aussetzt (vgl. nur Thorn in Grüneberg, BGB, 84. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 6: "Das Rechtsanwendungsrisiko bestimmt wesentlich das Haftungsrisiko"). Die erforderlichen Kenntnisse hätte der Hersteller bereits, wenn er zumindest von einem Inverkehrbringen eines identischen oder gleichartigen Produkts weiß. Konnte der Hersteller den Vertrieb eines im Hinblick auf die Produktsicherheit gleichartigen Produktes voraussehen, sei seinem Interesse genüge getan, denn die Produktsicherheit bestimme die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung und damit das Haftungsinteresse (vgl. Pabst in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Lieferung, 1/2023, Art. 5 EGV 864/2007 Rn. 89).
55 Gegen die restriktive Auslegung wird aber vor allem eingewandt, das ausdifferenzierte Anknüpfungssystem werde faktisch unterlaufen, wenn man nur auf das konkret schädigende Produkt abstelle. Die enge Auslegung würde dazu führen, dass vorrangig an den Erwerbsort anzuknüpfen wäre, da kaum vorstellbar sei, dass das individuelle schadenstiftende Produkt an einem anderen als dem Erwerbsort vertrieben werde. Würde stets das Inverkehrbringen des individuellen, schadenstiftenden Produktes verlangt, käme es de facto auf den Erwerbsort als den Ort des Inverkehrbringens des konkreten Produkts und nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten an (vgl. Pabst in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Lieferung, 1/2023, Art. 5 EGV 864/2007 Rn. 85; BeckOGK/Müller-Berg, 1.2.2025, Rom II-VO Art. 5 Rn. 89; Rudolf, wbl 2009, 525, 530; Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 5 Rom II-VO, Stand: 1.7.2023, Rn. 20; vgl. auch Schmid/Pinkel in Callies, Rome Regulations, 2015, Rome II Art. 5 Rn. 35; so auch Huber/Illmer, YPIL 9 (2007) 31, 42; Illmer, RabelsZ 2009, 269, 292 f.).
56 Nicht klar ist auch, welche Anforderungen an ein gleichartiges Produkt im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom II-VO zu stellen sind. Möglicherweise kann diese Frage eine Interessenabwägung beantworten, bei der den Interessen der Verbraucher nicht von vornherein ein Vorrang vor den Interessen der Hersteller einzuräumen wäre. Dies könnte bedeuten, dass dann, wenn dem Produkt ein sicherheitsrelevantes Merkmal fehlen würde, nicht von einer Gleichartigkeit der Produkte ausgegangen werden könnte (vgl. Junker in MünchKomm-BGB, 9. Aufl., Rom II-VO Art. 5 Rn. 40; Thorn in Grüneberg, BGB, 84. Aufl., Art. 5 Rom II-VO Rn. 11; Huber/Illmer, YPIL 9 (2007) 31, 43). Grundvoraussetzung soll nach dieser Auffassung sein, dass beide Produkte von demselben Unternehmen oder einem anderen Unternehmen desselben Konzerns hergestellt worden seien, da man einem Hersteller nicht zumuten könne, wegen des Vertriebs eines Produkts durch Dritte nach dem Recht eines bestimmten Staats zu haften (vgl. Lund in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Art. 5 Rom II-VO, Rn. 21).
57 Auch insoweit gibt es bisher keine Klärung durch eine Entscheidung des Gerichtshofs.