BGH: § 614 ZPO – Revision gegen Musterfeststellungsurteil eines OLG kraft Gesetzes zugelassen
BGH, Urteil vom 30.3.2023 – VII ZR 10/22
ECLI:DE:BGH:2023:300323UVIIZR10.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-1090-3
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Amtliche Leitsätze
1. § 614 ZPO ist dahin auszulegen, dass die Revision gegen ein Musterfeststellungsurteil eines Oberlandesgerichts kraft Gesetzes zugelassen ist. Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 ZPO durch das Oberlandesgericht im angefochtenen Urteil oder durch das Revisionsgericht auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin ist nicht erforderlich.
2. Zu den Mitgliedern im Sinne des § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO gehören nur solche Verbände und natürliche Personen, die kraft der ihnen organschaftlich zustehenden Rechte in relevanter Weise auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können. Die Möglichkeit, in dieser Weise Einfluss zu nehmen, setzt danach ein Stimmrecht auf den Versammlungen des Vereins voraus; eine bloße Internetmitgliedschaft ohne Stimmrecht genügt nicht (Anschluss an BGH, Urteil vom 17. November 2020 – XI ZR 171/19, BGHZ 227, 365 [WRP 2021, 831, Ls.]).
ZPO §§ 614, 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren über die Zulässigkeit einer Musterfeststellungsklage, insbesondere darüber, ob der Musterkläger die Anforderungen an eine qualifizierte Einrichtung nach § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfüllt.
Der Musterkläger ist ein seit dem Jahr 2004 als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen. Er begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage diverse Feststellungen im Zusammenhang mit etwaigen Schadensersatzansprüchen von Verbrauchern aus Anlass deren Erwerbs von Orderschuldverschreibungen, Genussrechten und/oder Nachrangdarlehen bestimmter Unternehmen. Die Rechtsvorgängerinnen der Musterbeklagten hatten die Bonität jener Unternehmen bewertet und jeweils "Top-Ratings" mit der Rating-Note "1" erteilt. Später wurden Insolvenzverfahren über die Vermögen der bewerteten Unternehmen eröffnet.
Im Zeitpunkt der Klageerhebung im Januar 2019 verfügte der Musterkläger ausweislich einer von ihm vorgelegten anonymisierten Mitgliederliste über insgesamt 423 Mitglieder. Darunter befanden sich mit einem Stimmrecht ausgestattete Mitglieder, sogenannte Vollmitglieder, sowie mindestens 174 sogenannte Internetmitglieder, welche nach der seinerzeit geltenden Satzung des Musterklägers nicht stimmberechtigt waren und einen geringeren Mitgliedsbeitrag als die Vollmitglieder zahlten.
Mit Urteil vom 17. November 2020 (XI ZR 171/19) verneinte der Bundesgerichtshof in einem anderen Musterfeststellungsverfahren des hiesigen Musterklägers dessen Klagebefugnis im Hinblick darauf, dass er nicht - wie gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erforderlich - über 350 stimmberechtigte Vollmitglieder verfüge.
Daraufhin hat der Musterkläger im hiesigen Verfahren, das bis zur Entscheidung im Revisionsverfahren XI ZR 171/19 ausgesetzt worden war, mit Schriftsatz vom 15. März 2021 angekündigt, er werde durch Satzungsänderung alle seine Mitglieder - auch die Internetmitglieder - mit einem vollen Stimmrecht auf der Mitgliederversammlung ausstatten und damit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung für alle Mitglieder ein volles Stimmrecht eingeführt haben. Mit Verfügung vom 9. Juni 2021 ist Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht auf den 5. November 2021 bestimmt worden.
Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2021 hat der Musterkläger unter Vorlage einer neuen, nicht anonymisierten Mitgliederliste unter anderem vorgetragen, er verfüge derzeit über 391 Mitglieder; durch Änderung der Satzung in der Mitgliederversammlung vom 7. August 2021 habe er sämtlichen 391 Mitgliedern, auch den sogenannten Internetmitgliedern, ein volles Stimmrecht eingeräumt. § 18 Abs. 1 der dem Schriftsatz beigefügten neuen Satzung regelt, dass diese mit der Eintragung in das Vereinsregister wirksam wird. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht war die mit Schreiben vom 9. August 2021 angemeldete Eintragung der Satzungsänderung in das Vereinsregister noch nicht erfolgt.
Das Oberlandesgericht hat die Musterfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen. Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision hat es für entbehrlich gehalten. Mit der Revision verfolgt der Musterkläger seine Klageanträge weiter.
Nach Erlass des angefochtenen Urteils wurde die in der Mitgliederversammlung vom 7. August 2021 beschlossene Satzungsänderung in das Vereinsregister eingetragen.
Aus den Gründen
9 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
10 Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in BeckRS 2021, 40918 veröffentlichten Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
11 Die Klage sei gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig, weil der Musterkläger keine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei. Die nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestmitgliederstärke des Musterklägers sei nicht erreicht. Dem Musterkläger gehörten keine zehn Verbände mit Tätigkeit aus dem gleichen Aufgabenbereich an. Auch gehörten ihm nicht mindestens 350 natürliche Personen an. Ausweislich der bei Klageerhebung eingereichten Liste sei die notwendige Anzahl von 350 Vollmitgliedern nicht erfüllt, nachdem mindestens 174 der insgesamt 423 gelisteten Mitglieder Internetmitglieder gewesen seien. Nach der zuletzt vorgelegten Liste über insgesamt 391 Mitglieder ergäben sich abzüglich der mindestens 174 Internetmitglieder nur noch (höchstens) 217 Vollmitglieder. Internetmitglieder seien wegen ihres fehlenden Stimmrechts bei der Berechnung der Mitgliederzahl nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht mitzuzählen.
12 Die Tatsachen, aus denen sich die Klagebefugnis ergebe, müssten spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht vorliegen. An diesem Tag und zu jedem früheren Zeitpunkt des Verfahrens habe der Musterkläger weniger als 350 Vollmitglieder gehabt. Die Satzungsänderung sei unbeachtlich, da ihre Eintragung in das Vereinsregister noch nicht erfolgt sei. Es gelte daher der Status quo vor der beabsichtigten Satzungsänderung.
II.
13 Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
14 1. Die Revision des Musterklägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 614 ZPO auch ohne Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.
15 Nach § 614 Satz 1 ZPO findet gegen Musterfeststellungsurteile die Revision statt. § 614 Satz 2 ZPO regelt, dass die Sache stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat. Die Vorschrift ist dahin auszulegen, dass die Revision gegen ein Musterfeststellungsurteil eines Oberlandesgerichts kraft Gesetzes zugelassen ist. Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 ZPO durch das Oberlandesgericht im angefochtenen Urteil oder durch das Revisionsgericht auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin ist nicht erforderlich.
16 Bereits der Wortlaut des § 614 ZPO spricht dafür, dass die Revision gegen ein Musterfeststellungsurteil eines Oberlandesgerichts kraft Gesetzes zugelassen ist (vgl. MünchKommZPO/Menges, 6. Aufl., § 614 Rn. 2). § 614 Satz 1 ZPO regelt die Statthaftigkeit der Revision gegen Musterfeststellungsurteile, ohne ausdrücklichen Hinweis auf eine Einschränkung der Statthaftigkeit durch das Erfordernis einer gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung. Darüber hinaus wird mit der Regelung in § 614 Satz 2 ZPO klargestellt, dass Musterfeststellungsverfahren gemäß §§ 606 ff. ZPO stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO haben, was ebenfalls nahelegt, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Zulassung gemäß § 543 Abs. 1 ZPO entbehrlich ist.
17 Auch aus dem Regelungszweck des § 614 ZPO ergibt sich, dass die Revision gegen ein Musterfeststellungsurteil eines Oberlandesgerichts kraft Gesetzes zugelassen ist. Nachdem § 614 Satz 2 ZPO klarstellt, dass die Sache stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat, bestünde für eine gerichtliche Zulassungsentscheidung kein Entscheidungsspielraum mehr. Die Zulassung der Revision durch das Oberlandesgericht beziehungsweise die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht in einem Musterfeststellungsurteil wären eine bloße Förmelei (im Ergebnis ebenso Asmus/Waßmuth/Siegmann, Kollektive Rechtsdurchsetzung, 1. Aufl., § 614 ZPO Rn. 1 f.; BeckOK ZPO/Augenhofer, Stand: 1. Dezember 2022, § 614 Rn. 3 f.; PG/A. Halfmeier, ZPO, 14. Aufl., § 614 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 614 Rn. 1; a.A. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 614 Rn. 1; Weinland, Die neue Musterfeststellungsklage, 1. Aufl., Rn. 200 ff.; Toussaint, FD-ZVR 2018, 408457; siehe auch OLG Stuttgart, Urteil vom 20. März 2019 - 6 MK 1/18, WM 2019, 1055, juris Rn. 78).
18 2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
19 Zu Recht ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Musterfeststellungsklage gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig ist, weil sie nicht von einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO erhoben worden ist.
20 a) Dem Musterkläger fehlte es bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung an der nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Mitgliederzahl.
21 aa) Gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss eine zur Erhebung von Musterfeststellungsklagen berechtigte qualifizierte Einrichtung als Mitglieder entweder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben. Andernfalls ist die Musterfeststellungsklage unzulässig, § 606 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
22 Die in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Anforderungen, bei denen es sich um besondere Voraussetzungen der Klagebefugnis (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 23) und damit um von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2020 - XI ZR 171/19 Rn. 12 m.w.N., BGHZ 227, 365), lagen im Verfahren vor dem Oberlandesgericht zu keinem Zeitpunkt vor.
23 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehören zu den Mitgliedern im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO nur solche Verbände und natürliche Personen, die kraft der ihnen organschaftlich zustehenden Rechte in relevanter Weise auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können. Die Möglichkeit, in dieser Weise Einfluss zu nehmen, setzt danach ein Stimmrecht auf den Versammlungen des Vereins voraus; eine bloße Internetmitgliedschaft ohne Stimmrecht genügt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2020 - XI ZR 171/19 Rn. 18 m.w.N., BGHZ 227, 365; Beschluss vom 17. November 2020 - XI ZB 1/19 Rn. 18 m.w.N., NJW 2021, 1018; zustimmend z.B. Vollkommer, WuB 2021, 232, 233; a.A. Röthemeyer, BKR 2021, 191, 191).
24 bb) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu Recht die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO verneint.
25 (1) Dem Musterkläger gehören unstreitig keine zehn Verbände mit Tätigkeit aus dem gleichen Aufgabenbereich an. Auch die Anzahl von 350 natürlichen Personen als Mitglieder war zu keinem Zeitpunkt im erstinstanzlichen Verfahren erreicht. Das Oberlandesgericht hat insoweit zutreffend die Internetmitglieder von der seitens des Musterklägers angegebenen Gesamtmitgliederzahl in Abzug gebracht, weil die Internetmitglieder wegen ihres fehlenden Stimmrechts keine Mitglieder im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO sind. Bei Einreichung der Musterfeststellungsklage belief sich die Anzahl der mit einem Stimmrecht ausgestatteten Mitglieder danach auf höchstens 249 (423 Gesamtmitglieder abzüglich mindestens 174 Internetmitglieder) und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz am 5. November 2021 lag die Anzahl der mit einem Stimmrecht ausgestatteten Mitglieder bei höchstens 217 (391 Gesamtmitglieder abzüglich mindestens 174 Internetmitglieder).
26 (2) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Umstand, dass die Mitgliederversammlung bereits am 7. August 2021 - und damit vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz - ein gleiches Stimmrecht für alle Vereinsmitglieder beschlossen hatte, für die Beurteilung der Stimmberechtigung der Mitglieder des Musterklägers unerheblich. Dies ergibt sich schon aus § 18 Abs. 1 der neuen Satzung des Musterklägers, wonach diese - und damit auch das Stimmrecht für die bisherigen Internetmitglieder - erst mit Eintragung in das Vereinsregister wirksam werden sollte. § 18 Abs. 1 der neuen Satzung entspricht insoweit der Vorschrift des § 71 Abs. 1 Satz 1 BGB, der bestimmt, dass Änderungen der Satzung zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Vereinsregister bedürfen. Beschlossene, aber (noch) nicht in das Vereinsregister eingetragene Satzungsänderungen sind daher sowohl für das Außenverhältnis als auch für das Innenleben des Vereins ohne Wirkung (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 1957 - II ZR 239/55, BGHZ 23, 122, juris Rn. 19).
27 Das Oberlandesgericht hat danach für die Beurteilung der Stimmberechtigung der Mitglieder des Musterklägers zutreffend nur auf die Satzungsverhältnisse abgestellt, die sich aus dem Vereinsregister ergeben. Da die Satzungsänderung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nicht in das Vereinsregister eingetragen war, verfügten die Internetmitglieder zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht über das erforderliche Stimmrecht und erfüllten mithin nicht die an ein Mitglied im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO zu stellenden Anforderungen.
28 cc) Daran ändert entgegen der Auffassung der Revision auch die - unstreitige - Tatsache nichts, dass nach Erlass des angefochtenen Urteils die Eintragung der betreffenden Satzungsänderung in das Vereinsregister erfolgt ist. Dies gilt schon deshalb, weil die Eintragung keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung entfaltet. Es bleibt daher auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache dabei, dass der Musterkläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht nicht die erforderliche Anzahl von Mitgliedern im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO aufwies, weil die Internetmitglieder (noch) nicht über das erforderliche Stimmrecht verfügten.
29 b) Die angefochtene Entscheidung ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben. Soweit die Revision in diesem Zusammenhang meint, das Oberlandesgericht hätte vor Abweisung der Klage auf die Notwendigkeit der Eintragung der Satzungsänderung in das Vereinsregister hinweisen müssen und die mündliche Verhandlung nicht schließen dürfen, sondern die alsbald zu erwartende Eintragung abwarten und die mündliche Verhandlung daher vertagen müssen ("Rüge aus § 139 ZPO, Art. 103 GG"), hat der Senat die entsprechenden Verfahrensrügen geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).
30 c) Die angefochtene Entscheidung ist schließlich auch nicht deshalb aufzuheben, weil - so die Revision - der Musterkläger aufgrund der inzwischen unstreitig erfolgten Eintragung der Satzungsänderung in das Vereinsregister jedenfalls nunmehr, also erstmals im Revisionsverfahren, die Anforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO erfülle und damit klagebefugt sei.
31 aa) Allerdings weist die Revision zu Recht darauf hin, dass die Prozessvoraussetzungen, zu denen auch die Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO gehört, in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen sind (vgl. dazu bereits II. 2. a) aa)).
32 Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Revisionsgericht bei der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Prozessvoraussetzungen nicht auf die Tatsachen beschränkt ist, die bereits in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben. Das Revisionsgericht hat vielmehr auch unter Berücksichtigung neuer Tatsachen grundsätzlich selbständig festzustellen, ob die Prozessvoraussetzungen gegeben sind, wobei der Zeitpunkt, auf den es für das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen ankommt, grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz ist (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - VII ZR 301/13 Rn. 18 f., BGHZ 213, 349; Urteil vom 7. Dezember 1993 - VI ZR 152/92, NJW 1994, 652, juris Rn. 17; Urteil vom 12. Oktober 1987 - II ZR 21/87, NJW 1988, 1585, juris Rn. 18 f.; Urteil vom 19. März 1987 - III ZR 2/86, BGHZ 100, 217, juris Rn. 12; Urteil vom 14. Dezember 1959 - V ZR 197/58 unter I.4., BGHZ 31, 279, jeweils zur Prozessführungsbefugnis). Dies gilt auch für die Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die grundsätzlich spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2020 - XI ZR 171/19 Rn. 13, BGHZ 227, 365; vgl. ferner BGH, Urteil vom 27. April 2017 - I ZR 55/16 Rn. 10 m.w.N., BGHZ 215, 12 zu § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG).
33 Allerdings hat der Bundesgerichtshof von dem Grundsatz, dass es für das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ankommt, Ausnahmen zugelassen. Allein aus dem Umstand, dass Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind, ergibt sich zwar noch nicht, dass es für die Zulässigkeit einer Klage genügt, wenn aufgrund neuen Tatsachenvortrags die Prozessvoraussetzungen erstmals in der Revisionsinstanz vorliegen. Ausnahmen von dem Grundsatz können jedoch aus Gründen der Prozessökonomie gerechtfertigt sein, soweit hierdurch Belange der Gegenpartei nicht beeinträchtigt werden. So hat der Bundesgerichtshof in verschiedenen Entscheidungen auch neue Tatsachen berücksichtigt, durch die (zumindest) im Revisionsverfahren die Prozessvoraussetzungen und damit die Zulässigkeit der Klage erstmals begründet wurden. Jenen Entscheidungen lag (auch) die Erwägung zugrunde, dass die Berücksichtigung dieser - erstmals die Prozessvoraussetzungen begründenden - Tatsachen aus Gründen der Prozessökonomie geboten ist (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 3. Mai 1983 - VI ZR 79/80, NJW 1984, 1556, juris Rn. 18 zum Feststellungsinteresse; Urteil vom 17. Dezember 1969 - IV ZR 750/68, BGHZ 53, 128, juris Rn. 11 ff. zur internationalen Zuständigkeit; Urteil vom 6. Mai 1981 - VIII ZR 45/80, MDR 1981, 1012, juris Rn. 13 ff. und Urteil vom 19. Juni 1958 - VII ZR 158/57, BGHZ 28, 13, juris Rn. 22, jeweils zur Prozessführungsbefugnis nach Aufhebung beziehungsweise Einstellung des Konkursverfahrens; anders aber bei gewillkürter Prozessstandschaft z.B. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1987 - II ZR 21/87, NJW 1988, 1585, juris Rn. 20).
34 bb) Es kann offenbleiben, ob aus Gründen der Prozessökonomie auch für die Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass sie spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen muss, in Betracht kommen kann. Denn Gründe der Prozessökonomie führen jedenfalls im Streitfall nicht dazu, von diesem Grundsatz abzuweichen. Allein aus der inzwischen erfolgten Eintragung der Satzungsänderung in das Vereinsregister folgt nicht, dass die Klagebefugnis des Musterklägers gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO nunmehr im Revisionsverfahren feststeht. Der Senat könnte mithin nicht ohne Weiteres die Zulässigkeit der Musterklage feststellen und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung über deren Begründetheit zurückverweisen. Allein zur Bejahung der Voraussetzungen gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO wäre vielmehr weiter zu klären, über wie viele Mitglieder der Musterkläger aktuell verfügt, nachdem die Satzungsänderung, mit der nicht nur die Einräumung des Stimmrechts für alle Mitglieder, sondern auch die Festlegung eines neuen Mitgliedbeitrags erfolgt ist, wirksam geworden ist. Darüber hinaus müssten gegebenenfalls weitere Feststellungen dazu getroffen werden, ob der Musterkläger die Anforderungen gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 ZPO erfüllt, was das Oberlandesgericht hat dahinstehen lassen. Es kann indes nicht als prozessökonomisch angesehen werden, einen Rechtsstreit, der an sich entscheidungsreif ist, weil bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Klagebefugnis nicht vorlag, zwecks weiterer Klärung, ob womöglich inzwischen die Klagebefugnis vorliegt, in der Revisionsinstanz fortzuführen oder diesen insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Auch die Interessen des Musterklägers rechtfertigen keine andere Beurteilung. Vielmehr oblag es ihm, die Voraussetzungen der Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO rechtzeitig zu erfüllen.
III.
35 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.