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Wirtschaftsrecht
18.02.2014
Wirtschaftsrecht
EuGH: Rückforderung einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren staatlichen Beihilfe

Mit Urteil vom 13.2.2014 - Rs. C-69/13 - hat der EuGH entschieden: Das nationale Gericht ist bei der Durchführung einer Entscheidung der Kommission, mit der eine Beihilferegelung für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, an spätere Stellungnahmen der Kommission nicht gebunden, muss sie aber gemäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit berücksichtigen


Dabei können die von dem nationalen Gericht zur Bemessung der zu erstattenden Beträge durchgeführten Berechnungen auf der Grundlage der Gesamtheit der ihm zur Kenntnis gebrachten Umstände einen Betrag gleich Null ergeben.


Im Rahmen der Umstellung auf die digitale Übertragung von Fernsehsignalen musste der Übergang zum digitalen Fernsehen in Italien vor November 2012 abgeschlossen sein. Das italienische Haushaltsgesetz von 2004 gewährte in diesem Zusammenhang jedem Nutzer, der ein Gerät kaufte oder mietete, das dazu geeignet war, digital übertragene Fernsehsignale mit terrestrischer Antenne zu empfangen, einen staatlichen Zuschuss von 150 Euro. Auch das Haushaltsgesetz von 2005 sah einen staatlichen Zuschuss vor, er wurde jedoch auf 70 Euro verringert.


Auf eine Beschwerde der Centro Europa 7 Srl und der Sky Italia Srl hin erklärte die Kommission die fragliche Beihilferegelung mit der Entscheidung 2007/374 für rechtswidrig und für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und forderte Italien auf, die Beihilfe (einschließlich Zinsen) von den Begünstigten zurückzufordern.


Nach dem Erlass dieser Entscheidung arbeiteten die Kommission und Italien zusammen, um die Begünstigten zu ermitteln und die genauen zurückzufordernden Beträge zu bemessen.


Mit Schreiben vom 1.4.2008 genehmigte die Kommission insbesondere die von Italien angewandte Methode, nämlich eine demoskopische Befragung zur Bestimmung der Anzahl der auf die Beihilfe zurückzuführenden zusätzlichen Nutzer, des durchschnittlichen Erlöses pro Nutzer sowie der zusätzlichen Einnahmen. Außerdem billigte die Kommission die Schlussfolgerung, dass TIMedia und Fastweb keinen zusätzlichen Gewinn erzielt hätten und daher nicht zur Rückzahlung verpflichtet seien. Die Kommission wies hingegen darauf hin, dass der Betrag der Beihilfe, der von Mediaset zurückzufordern sei, sich auf 6 844 361 Euro belaufe. Auf der Grundlage neuer Gesichtspunkte korrigierte die Kommission mit Schreiben vom 11. Juni 2008 diesen Betrag auf 4 926 543 Euro.


Auf einen Zahlungsbefehl der italienischen Behörden aus dem Jahr 2009 hin bezahlte Mediaset 5 969 442 Euro (einschließlich Zinsen), rief jedoch das Tribunale civile di Roma an. Mediaset machte geltend, dass die in der Entscheidung der Kommission aufgestellten Bemessungskriterien fehlerhaft angewandt worden seien und die zur Bestimmung der durch die Beihilfe entstandenen zusätzlichen Gewinne durchgeführten Berechnungen fehlerhaft seien.


Sodann wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Befund im Jahr 2011 vorgelegt wurde. Darin wurden die demoskopische Befragung und die angewandten ökonometrischen Modelle kritisiert und festgestellt, dass nicht nachgewiesen sei, dass die Beihilfe den Verkauf von Decodern während des untersuchten Zeitraums tatsächlich beeinflusst habe.


Das italienische Gericht hat sich daher mit der Frage an den Gerichtshof gewandt, ob das nationale Gericht für die Zwecke der Sicherstellung der Durchführung einer Entscheidung der Kommission, mit der eine Beihilferegelung für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, durch die aber nicht die einzelnen Begünstigten dieser Beihilfen bestimmt werden und die genaue Höhe der zu erstattenden Beträge festgesetzt wird, an von der Kommission zu einem späteren Zeitpunkt abgegebene Stellungnahmen zu dem von einem bestimmten Begünstigten zurückzufordernden genauen Betrag gebunden ist.


In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Durchführung des Systems zur Kontrolle staatlicher Beihilfen zum einen der Kommission und zum anderen den nationalen Gerichten obliegt, wobei ihnen einander ergänzende, aber unterschiedliche Rollen zufallen. So ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt ausschließlich die Kommission zuständig, wobei sie dabei der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt. Hingegen ist die Kommission nicht verpflichtet, bei der Anordnung der Rückzahlung einer für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilfe den genauen Betrag der zu erstattenden Beihilfe festzusetzen. Es genügt, dass die Entscheidung der Kommission Angaben enthält, die es ihrem Adressaten ermöglichen, diesen Betrag ohne übermäßige Schwierigkeiten selbst zu bestimmen.


Die Entscheidung 2007/374 ist daher für Italien als Adressaten zwingend und bindet das nationale Gericht.


Dagegen stellen die Schreiben, die die Kommission danach im Rahmen der zur Sicherstellung der Durchführung der Entscheidung geführten Schriftwechsel an Italien richtete - die Mediaset als Begünstigte bestimmen und den genauen Betrag der von diesem Unternehmen zurückzufordernden Beihilfen nennen -, keine Entscheidungen dar. Daher binden diese im Rahmen der Durchführung der Entscheidung abgegebenen Stellungnahmen das nationale Gericht nicht.


Jedoch betont der Gerichtshof, dass die nationalen Gerichte im Rahmen der loyalen Zusammenarbeit zwischen ihnen und der Kommission alle zur Erfüllung der unionsrechtlichen Verpflichtungen geeigneten Maßnahmen treffen müssen. Hat das nationale Gericht Zweifel oder Schwierigkeiten hinsichtlich der Bemessung der zurückzufordernden Beihilfe, so kann es sich an die Kommission wenden. Da die in den Stellungnahmen der Kommission enthaltenen Gesichtspunkte darauf abzielen, die Erfüllung der Aufgabe der nationalen Behörden im Rahmen der Durchführung der Rückforderungsentscheidung zu vereinfachen, muss das nationale Gericht diese Stellungnahmen bei der Beurteilung des Rechtsstreits berücksichtigen und seine Entscheidung im Hinblick auf alle ihm übermittelten Dokumente begründen. Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass mangels einer einschlägigen unionsrechtlichen Regelung die Rückforderung einer Beihilfe, die für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt worden ist, nach den im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten vorzunehmen ist, soweit diese die Rückforderung nicht praktisch unmöglich machen und der Grundsatz der Gleichwertigkeit mit den Verfahren, in denen über gleichartige rein nationale Streitigkeiten entschieden wird, nicht verletzt wird.


Hat die Kommission in ihrer Entscheidung weder die Begünstigten noch die genauen zu erstattenden Beträge bestimmt, so kann das nationale Gericht - ohne die Gültigkeit der Entscheidung oder die Verpflichtung zur Erstattung der Beihilfen infrage zu stellen - zu dem Ergebnis kommen, dass der zu erstattenden Betrag gleich Null ist, wenn sich dies aus den Berechnungen ergibt, die auf der Grundlage der Gesamtheit der ihm zur Kenntnis gebrachten relevanten Umstände durchgeführt wurden.


(PM EuGH vom 13.2.2014)

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