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Wirtschaftsrecht
22.11.2016
Wirtschaftsrecht
EU-Kommission: Neuer Ansatz auf dem Gebiet der Unternehmensinsolvenzen

Die EU-Kommission hat am 22.11.2016 zum ersten Mal ein europäisches Maßnahmenpaket zu Unternehmensinsolvenzen vorgelegt.

Gut funktionierende Insolvenz- und Umstrukturierungssysteme sind für die Förderung des Wirtschaftswachstums von zentraler Bedeutung. Diese Initiative wird Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten gestatten, frühzeitig Umstrukturierungen vorzunehmen, um eine Insolvenz und die Entlassung von Mitarbeitern zu vermeiden. Sie wird sicherstellen, dass Unternehmer nach einer Insolvenz eine zweite Chance erhalten. Auch werden mit ihr effizientere und wirksamere Insolvenzverfahren in der gesamten EU eingeführt.

Der Erste Vizepräsident Frans Timmermans erklärte dazu: „Wir wollen Unternehmen bei einer frühen Umstrukturierung helfen, sodass Arbeitsplätze und der Unternehmenswert erhalten werden. Auch möchten wir gescheiterte Unternehmer dabei unterstützen, wieder schneller auf die Beine zu kommen und aufgrund ihrer Erfahrungen neu anzufangen.“

Věra Jourová, Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, äußerte sich wie folgt: „Jedes Jahr werden in der EU 200 000 Unternehmen insolvent; dabei gehen 1,7 Mio. Arbeitsplätze verloren. Dies könnte oftmals durch effizientere Insolvenz- und Umstrukturierungsverfahren vermieden werden. Es ist höchste Zeit, Unternehmern eine zweite Chance für einen Neuanfang mittels einer vollständigen Schuldenbefreiung innerhalb von höchstens drei Jahren zu gewähren.“

Diese Initiative ist Teil des Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion und der Binnenmarktstrategie. Sie trägt zur Beseitigung großer Hindernisse für die Entwicklung der Kapitalmärkte in der EU bei, indem Rechtssicherheit für ausländische Investoren und EU-weit tätige Unternehmen geschaffen wird. Die neuen Regeln werden dazu beitragen, Investoren anzuziehen, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten sowie wirtschaftliche Schocks für die Volkswirtschaften aufzufangen. Zurzeit werden noch zu viele wirtschaftlich bestandsfähige Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten abgewickelt anstatt frühzeitig umstrukturiert zu werden, und zu wenige Unternehmer erhalten eine zweite Chance.

Der Vorschlag ist auch eine gute Nachricht für die Finanzstabilität, da effiziente Umstrukturierungsverfahren verhindern werden, dass Unternehmen ihren Bankdarlehen nicht nachkommen. Dadurch dürfte auch das Problem des hohen Bestands an notleidenden Darlehen und Krediten im EU-Bankensektor in Angriff genommen werden. Banken könnten folglich mehr Mittel an Verbraucher und Unternehmen ausleihen.

Die vorgeschlagene Richtlinie konzentriert sich auf drei wesentliche Elemente:

  • Gemeinsame Grundsätze für die Verwendung      von Rahmen für eine frühe Umstrukturierung, die Unternehmen      helfen werden, ihre Tätigkeit fortzusetzen und Arbeitsplätze zu erhalten.
  • Bestimmungen für Unternehmer      auf eine zweite Chance, da sie nach einem Zeitraum von      höchstens drei Jahren eine vollständige Schuldenbefreiung erhalten.      Derzeit gibt die Hälfte der Europäer an, dass sie aus Angst vor dem      Scheitern kein Unternehmen gründen würden
  • Gezielte Maßnahmen für die      Mitgliedstaaten, die Effizienz der Insolvenz-,      Umstrukturierungs- und Schuldenbefreiungsverfahren zu erhöhen. Dadurch      verringern sich die übermäßig langen und teuren Verfahren in vielen      Mitgliedstaaten, die zu Rechtsunsicherheit für Gläubiger und Anleger sowie      zu niedrigen Einbringungsquoten und nicht beglichenen Schulden führen.

Mit den neuen Vorschriften werden die folgenden wesentlichen Grundsätze festgelegt, mit denen sichergestellt werden soll, dass der Insolvenz- und der Umstrukturierungsrahmen EU-weit kohärent und effizient sind:

  • Unternehmen in finanziellen      Schwierigkeiten, insbesondere KMU, haben Zugang zu Frühwarnsystemen, um      eine sich verschlechternde Geschäftslage erkennen und eine      Umstrukturierung in einer frühen Phase gewährleisten zu können.
  • Flexible präventive      Umstrukturierungsrahmen werden langwierige, komplexe und kostspielige      Gerichtsverfahren vereinfachen. Erforderlichenfalls müssen nationale      Gerichte in den Schutz der Interessen von Beteiligten eingebunden werden.
  • Der Schuldner erhält eine      befristete „Atempause“ von höchstens vier Monaten von den      Durchsetzungsmaßnahmen, um Verhandlungen und eine erfolgreiche      Umstrukturierung zu erleichtern.
  • Eine Minderheit von Gläubigern      und Anteilsinhabern mit abweichender Meinung kann Umstrukturierungspläne      nicht blockieren, aber ihre legitimen Interessen werden gewahrt.
  • Neue Finanzmittel werden      speziell geschützt und erhöhen die Chancen auf eine erfolgreiche      Umstrukturierung.
  • Durch die präventiven      Umstrukturierungsverfahren dürften die Arbeitnehmer arbeitsrechtlich durch      die bestehenden EU-Rechtsvorschriften vollen Schutz genießen.
  • Schulungen und Spezialisierung      von Angehörigen der Rechtsberufe und Gerichte sowie der Einsatz von      Technologien (z. B. für die elektronische Antragstellung, Mitteilungen an      Gläubiger) werden die Effizienz verbessern und die Insolvenz- und      Umstrukturierungsverfahren sowie Verfahren für eine zweite Chance      verkürzen.

Hintergrund

Die Insolvenzverordnung von 2015 zielt auf die Lösung von Konflikten zwischen Gerichten und Gesetzen bei grenzübergreifenden Insolvenzverfahren ab und gewährleistet die EU-weite Anerkennung von Urteilen in Insolvenzverfahren. Sie harmonisiert nicht das materielle Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten.

Die Überprüfung der Durchführung der Empfehlung von 2014 über eine frühe Umstrukturierung und eine zweite Chance ergab, dass trotz der Reformen im Bereich der Insolvenz die Vorschriften immer noch unterschiedlich und in einigen Ländern ineffizient sind. In mehreren Mitgliedstaaten ist es nicht möglich, ein Unternehmen vor der Insolvenz umzustrukturieren. Hinsichtlich der zweiten Chance bestehen weiterhin große Unterschiede hinsichtlich der Dauer der Schuldenbefreiung.

Derartige Unterschiede in den Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten führen zu Rechtsunsicherheit, zusätzlichen Kosten für Anleger bei der Bewertung ihrer Risiken, weniger entwickelten Kapitalmärkten und weiterhin bestehenden Hindernissen für die wirksame Umstrukturierung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen in der EU, einschließlich grenzübergreifend tätiger Unternehmensgruppen.

In diesem Zusammenhang wurde im Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion von 2015 eine Gesetzgebungsinitiative auf dem Gebiet der Unternehmensinsolvenzen angekündigt, einschließlich einer frühen Umstrukturierung und „zweiten Chance“. Diese Initiative soll ausgehend von nationalen Regelungen, die gut funktionieren, die wichtigsten Hindernisse für den freien Kapitalverkehr beseitigen. In der Binnenmarktstrategie wurde die Unterstützung von Unternehmern durch eine Regelung angekündigt, die ein regulatorisches Umfeld für Unternehmensausfälle schaffen soll, ohne Unternehmer von der Erprobung neuer Ideen abzuhalten.

Im „Bericht der fünf Präsidenten" über die Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion vom Juni 2015 wurde der Bereich des Insolvenzrechts als eines der Haupthindernisse für die Integration der Kapitalmärkte im Euro-Währungsgebiet und darüber hinaus genannt.

(PM EU-Kommission vom 22.11.2016)

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