Bundestag: Erbrechtsreform verabschiedet
Der Bundestag hat am 2.7.2009 die von der Bundesregierung vorgeschlagene Reform des Erb- und Verjährungsrechts verabschiedet.
"Wir haben ein gutes Erbrecht. Es besteht in seiner heutigen Struktur seit über 100 Jahren und hat sich grundsätzlich bewährt. Auf neue gesellschaftliche Entwicklungen und geänderte Wertvorstellungen hat unser Erbrecht aber in einigen Bereichen keine zeitgemäßen Antworten - insbesondere dann, wenn es um die Gründe geht, aus denen ein Erblasser den Pflichtteil entziehen kann. Wir stärken die Testierfreiheit, damit jeder Einzelne sein Vermögen nach seinen Vorstellungen verteilen kann. Dennoch bleibt die familiäre Verantwortung innerhalb der Familien erhalten, denn eine Mindestbeteiligung der Kinder am Nachlass ihrer Eltern kann schon von Verfassungs wegen nicht entzogen werden", erläuterte Bundesministerin Zypries die Erbrechtsreform.
"Zudem helfen wir solchen Erben, deren Erbe im Wesentlichen aus einem Vermögensgegenstand besteht und die einen Pflichtteilsberechtigten auszahlen müssen. Damit der Erbe in einer solchen Situation nicht das geerbte Haus oder die geerbte Firma verkaufen muss, um den Pflichtteilsanspruch erfüllen zu können, wird die gesetzliche Stundungsmöglichkeit künftig auf alle Erben erweitert", ergänzte die Bundesjustizministerin.
"Nicht zuletzt verbessert das heute beschlossene Gesetz auch die Situation von Menschen, die nahe Angehörige pflegen oder die eine ehrenamtliche Betreuung übernehmen: Der demografische Wandel bringt mit sich, dass immer mehr Menschen Pflege und Betreuung benötigen. Zwei Drittel der auf Pflege angewiesenen Personen werden nicht im Pflegeheim, sondern im häuslichen Umfeld versorgt. Dabei leisten Angehörige oft einen unschätzbar wichtigen Beitrag. In Zukunft werden solche Pflegeleistungen im Erbrecht auch dann berücksichtigt, wenn der Abkömmling dafür nicht - wie dies bislang gesetzliche Voraussetzung war - auf eigenes Einkommen verzichtet", betonte Brigitte Zypries.
Die wichtigsten Punkte der Reform im Einzelnen
- Modernisierung der Pflichtteilsentziehungsgründe
Das Pflichtteilsrecht lässt Abkömmlinge oder Eltern sowie Ehegatten und Lebenspartner auch dann am Nachlass teilhaben, wenn sie der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hat. Der Pflichtteil umfasst die Hälfte des gesetzlichen Erbteils; diese Höhe bleibt durch die geplanten Neuerungen unberührt. Ein wesentliches Anliegen der Reform ist die Stärkung der Testierfreiheit des Erblassers, also seines Rechts, durch Verfügung von Todes wegen über seinen Nachlass zu bestimmen. Dementsprechend werden die Gründe überarbeitet, die den Erblasser berechtigen, den Pflichtteil zu entziehen:
- Die Entziehungsgründe sollen vereinheitlicht werden, indem sie künftig für Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten oder Lebenspartner gleichermaßen Anwendung finden. Bislang gelten insoweit Unterschiede.
- Darüber hinaus sollen künftig alle Personen geschützt werden, die dem Erblasser ähnlich wie ein Ehegatte, Lebenspartner oder Kind nahe stehen, z. B. auch Stief- und Pflegekinder. Eine Pflichtteilsentziehung soll auch dann möglich sein, wenn der Pflichtteilsberechtigte diesen Personen nach dem Leben trachtet oder ihnen gegenüber sonst eine schwere Straftat begeht. Nach derzeitiger Gesetzeslage ist dies nur bei entsprechenden Vorfällen gegenüber einem viel engeren Personenkreis möglich.
Beispiel: Wird der langjährige Lebensgefährte der Erblasserin durch ihren Sohn getötet oder die Tochter des Erblassers durch seinen Sohn körperlich schwer misshandelt, rechtfertigt dies künftig eine Entziehung des Pflichtteils.
- Der Entziehungsgrund des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" soll entfallen. Zum einen gilt er derzeit nur für Abkömmlinge, nicht aber für die Entziehung des Pflichtteils von Eltern und Ehegatten. Zum anderen hat er sich als zu unbestimmt erwiesen. Stattdessen soll künftig eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung zur Entziehung des Pflichtteils berechtigen. Zusätzlich muss es dem Erblasser unzumutbar sein, dem Verurteilten seinen Pflichtteil zu belassen. Gleiches soll bei Straftaten gelten, die im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen wurden.
- Maßvolle Erweiterung der Stundungsgründe
Besteht das Vermögen des Erblassers im Wesentlichen aus einem Eigenheim oder einem Unternehmen, müssen die Erben diese Vermögenswerte oft nach dem Tod des Erblassers verkaufen, um den Pflichtteil auszahlen zu können. Lösung bietet hier die bereits geltende Stundungsregelung, die jedoch derzeit eng ausgestaltet und nur dem pflichtteilsberechtigten Erben (insbes. Abkömmling, Ehegatte) eröffnet ist. Mit der Reform soll die Stundung unter erleichterten Voraussetzungen und für jeden Erben durchsetzbar sein.
Beispiel: In Zukunft kann auch der Neffe, der ein Unternehmen geerbt hat oder die Lebensgefährtin des Erblassers eine Stundung gegenüber den pflichtteilsberechtigten Kindern geltend machen, sofern die Erfüllung des Pflichtteils eine "unbillige Härte" darstellen würde.
- Gleitende Ausschlussfrist für den Pflichtteilsergänzungsanspruch
Schenkungen des Erblassers können zu einem Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteils gegen den Erben oder den Beschenkten führen. Durch diesen Anspruch wird der Pflichtteilsberechtigte so gestellt, als ob die Schenkung nicht erfolgt und damit das Vermögen des Erblassers durch die Schenkung nicht verringert worden wäre. Die Schenkung wird in voller Höhe berücksichtigt. Sind seit der Schenkung allerdings 10 Jahre verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Dies gilt auch, wenn der Erblasser nur einen Tag nach Ablauf der Frist stirbt.
Die Reform sieht nun vor, dass die Schenkung für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs graduell immer weniger Berücksichtigung findet, je länger sie zurück liegt: Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in die Berechnung einbezogen, im zweiten Jahr jedoch nur noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 usw. berücksichtigt. Damit wird sowohl dem Erben als auch dem Beschenkten mehr Planungssicherheit eingeräumt.
- Bessere Honorierung von Pflegeleistungen beim Erbausgleich
Auch außerhalb des Pflichtteilsrechts wird das Erbrecht vereinfacht und modernisiert. Ein wichtiger Punkt ist die bessere Berücksichtigung von Pflegeleistungen bei der Erbauseinandersetzung. Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, über die finanzielle Seite wird dabei selten gesprochen. Trifft der Erblasser auch in seinem Testament keine Ausgleichsregelung, geht der pflegende Angehörige heute oftmals leer aus. Erbrechtliche Ausgleichsansprüche gibt es nur für einen Abkömmling, der unter Verzicht auf berufliches Einkommen den Erblasser über längere Zeit gepflegt hat. Künftig soll der Anspruch unabhängig davon sein, ob für die Pflegeleistungen auf ein eigenes berufliches Einkommen verzichtet wurde.
Beispiel: Die verwitwete Erblasserin wird über lange Zeit von ihrer berufstätigen Tochter gepflegt. Der Sohn kümmert sich nicht. Die Erblasserin stirbt, ohne ein Testament hinterlassen zu haben. Der Nachlass beträgt 100.000 Euro. Die Pflegeleistungen sind mit 20.000 Euro zu bewerten. Derzeit erben Sohn und Tochter je zur Hälfte. Künftig kann die Schwester einen Ausgleich für ihre Pflegeleistungen verlangen. Von dem Nachlass wird zugunsten der Schwester der Ausgleichsbetrag abgezogen und der Rest nach der Erbquote verteilt (100.000-20.000 = 80.000). Von den 80.000 Euro erhalten beide die Hälfte, die Schwester zusätzlich den Ausgleichsbetrag von 20.000 Euro. Im Ergebnis erhält die Schwester also 60.000 Euro.
- Abkürzung der Verjährung von familien- und erbrechtlichen Ansprüchen
(Quelle: PM BMJ vom 2.7.2009)Änderungsbedarf hat sich auch im Verjährungsrecht ergeben. Mit dem Gesetzentwurf wird die Verjährung von familien- und erbrechtlichen Ansprüchen an die Verjährungsvorschriften des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2001 angepasst. Diese sehen eine Regel-verjährung von drei Jahren vor. Dagegen unterliegen die familien- und erbrechtlichen An-sprüche noch immer einer Sonderverjährung von 30 Jahren, von denen das Gesetz zahlrei-che Ausnahmen macht. Dies führt zu Wertungswidersprüchen in der Praxis und bereitet Schwierigkeiten bei der Abwicklung der betroffenen Rechtsverhältnisse. Die Verjährung fami-lien- und erbrechtlicher Ansprüche wird daher der Regelverjährung von 3 Jahren angepasst. Dort, wo es sinnvoll ist, bleibt jedoch die lange Verjährung erhalten.