BT: Änderung der InsO – Privilegien umstritten
Die gesetzlich festgeschriebene Bevorzugung bei Insolvenzen insbesondere von Gläubigern aus der Bankenwelt zu Lasten anderer Betroffener wird von Experten kontrovers beurteilt. Dies zeigte sich am 9.11.2016 bei einer Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.
Der BGH hatte mit Urteil vom 9.6.2016 – IX ZR 314/14 (BB 2016, 1551; vgl. dazu auch den Beitrag von Piekenbrock, BB 2016, 1795) Konstrukte gekippt, mit denen solche Privilegierung im Finanzsektor möglich war. Im Ausschuss ging es nun um den Entwurf zur Änderung der Insolvenzordnung (18/9983, 18/10263), mit der das Vorgehen wieder auf eine rechtliche Basis gestellt werden soll - und womöglich zu Ausweitungen etwa auf die Energiebranche führen kann.
Professor Christoph G. Paulus (Humboldt-Universität zu Berlin) sprach von einem "massiven Lobbyismus" der Finanzdienstleister, "der das Geschäftsmodell begründet hat". Die Gesetzesänderung bedeute also: "Wir schützen ein Geschäftsmodell der Banken." Freilich müsse er pragmatisch feststellen, dass daran nichts mehr zu ändern sei: "Umkehren geht natürlich nicht." Sein Vergleich: "Wenn wir auf einer neunspurigen Autobahn auf der Mittelspur sind, drehen wir nicht um." Aber sicherlich habe das "reduzierte Risiko" bei Insolvenzen - die deutschen Reglungen entsprechen internationalen Vorgaben - seinen Beitrag zur Finanzkrise geleistet.
Professor Johannes Köndgen (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) prangerte das Privileg ausgerechnet für "hochprofessionelle Marktakteure" und dies "zu Lasten einfacher Insolvenzgläubiger" an. Es sei "keine besonders starke Begründung", dass mit der Gesetzesänderung das Insolvenzrecht an die Vertragspraxis angepasst werden solle. Er nahm die Ausweitung auf weitere Branchen ins Visier: "In der Tat drohen hier Dammbrüche." Erst Strom, dann Rohstoffe: "Dann ist da kein Halten mehr."
Köndgen warf der Bundesanstalt für Finanzwesen (BaFin) "Kompetenzanmaßung" vor. Sie habe noch am Tage des Urteils versucht, die Entscheidung des BGH per behördlicher Allgemeinverfügung "außer Kraft zu setzen" -"ein ziemlich einmaliger Verfassungskonflikt". Paulus sprach davon, dass neben der BaFin auch zwei Ministerien kundgetan hätten: "Das Urteil unterminieren wir."
BaFin-Vertreterin Elisabeth Roegele rechtfertigte im Ausschuss die bis Ende September befristet gewesene Verfügung: Weil die Insolvenz-Privilegierung internationaler Standard sei, hätten deutsche Finanzdienstleiter sonst womöglich keine Geschäfte mehr im Ausland tätigen können oder die Transaktionen auf ausländische Töchter verlagert. Die nun in der Beratung befindliche Gesetzesänderung bringe "das deutsche Vorgehen wieder in Einklang mit europäischen Regelungen". Damit werde "die Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Finanzinstitute wiederhergestellt" - dazu die "erforderliche Rechtssicherheit" - mithin "ein sehr wichtiger Gesetzentwurf".
Auch für Lucas Flöther (Bundesrechtsanwaltskammer) ist der Text der beabsichtigten Gesetzesänderung "sehr gelungen". Dass teils "unbestimmte Rechtsbegriffe" vorkämen, sei nun mal nicht anders zu regeln. Unbestimmt ist wohl auch, welche Branchen mit Insolvenz-Privilegien rechnen können. Max Liesenhoff (Verband Deutscher Gas- und Stromhändler) sieht "jetzt endlich auch Rechtssicherheit für den Handel mit Waren".
Demgegenüber mochte Christoph Nierung (Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands) "nur dringend davor warnen, weitere Privilegien einzuführen". Er machte sich für "Gläubigergleichheit" stark. Es dürfe neben der Finanzbranche "kein Mit-Durchschlüpfen für andere Wirtschaftszweige" geben.
Professor Christoph Thole (Universität zu Köln) stufte das Urteil des BGH als "in der Sache völlig konsequent" ein. Den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf finde er "nachvollziehbar". Freilich werde darin "nicht so ganz deutlich", dass es wie bisher nur um Finanzdienstleistungen gehe. Er machte sich für eine "klare Definition" stark.
(hib-Meldung vom 10.11.2016)