Editorial
Und wieder befinden wir uns mitten in einer energiepolitischen Entwicklung, die zu weitreichenden Veränderungen in Energiewirtschaft und Energierecht führen wird. Impulsgeber sind die Ampelkoalition mit einem sich in Stellung bringenden Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und die Europäische Kommission: Gas-Package, neue Klima- und Umweltschutz-Beihilfeleitlinien (KUEBLL), eine heftig diskutierte Taxonomie-Regelung, der erwartete Delegierte Rechtsakt zu den Anforderungen an grünen Strom in der Wasserstofferzeugung. Das sind die Themen, die mit Wucht aus Europa zu uns gelangen. Dazu kommen u. a. noch das wesentlich beschleunigte Hochfahren der Stromerzeugung aus Wind und Sonne, die Weiterentwicklung des EnWG besonders im Gasbereich, eine möglichst schnelle Abschaffung der EEG-Umlage, die Versuche, die Preisexplosionen bei Gas und Strom zumindest in den Endkundenverträgen zu begrenzen, die Regulierung der Gasspeicherbewirtschaftung sowie die neue Verantwortung der Energiepreise für die allgemein hohe Inflationsrate. U. a. diese nationalen Themen werden uns im laufenden Jahr und darüber hinaus in Atem halten.
Das ZNER-Jahr beginnt mit einem Schwerpunktheft zum Thema grüner Wasserstoff: Die Fraunhofer-Forscher Dr. Christoph Kost und Julian Brandes beschäftigen sich – in ihrem energiewirtschaftlichen Beitrag – mit der Rolle des Wasserstoffs in der Transformation bis 2045: Worin könnte diese liegen? In welchen Sektoren könnte er wann in welchem Umfang eingesetzt werden? Was bedeutet das kostenmäßig? Welche Farbe könnte er wann haben? Hintergrund des Aufsatzes ist die von Fraunhofer ISE seit Jahren fortentwickelte „REMOD“- Simulation der volkswirtschaftlichen Entwicklung in der Transformation, nunmehr mit der Vorgabe, dass Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht sein muss.
Mit der zu einem Markthochlauf erforderlichen Förderung für die Erzeugung von grünem Wasserstoff beschäftigen sich Dr. Martin Altrock zusammen mit Christine Kliem. Dabei werden die aktuell diskutierten Förderansätze einer Quotenregelung, einer THG-Minderungspflicht, Ansätze für Produktkennzeichnungen und schließlich das Thema Klimaschutzverträge in den Spielarten Carbon Contracts for Difference und Contracts for Difference an den Anwendungsfällen grüner Wasserstoff und grüner Stahl dargestellt und deren rechtliche Grenzen benannt.
Ein Heft mit dem Themenschwerpunkt Wasserstoff kommt an den mit dem Markthochlauf verbundenen Fragen zu dessen Transport nicht vorbei: Letztlich werden vor allem Leitungen und Netze den vielen Wasserstoff zu den Kunden bringen müssen: Das gilt unzweifelhaft für die zukünftigen Großkunden in Industrie und Stromerzeugung. Aber auch mit Blick auf Gewerbe, Verkehr (vor allem LKW, Luft- und Schiffsverkehr) und Haushalte als Gaskunden, und damit auch in Verteilnetzen, stellen sich aktuell heiß diskutierte netzregulatorischen Fragen: Wie sollen Wasserstoff- und Gasnetz nach der neuen Gasbinnenmarkt-RL reguliert werden? Eben hiermit beschäftigen sich Prof. Christian Held, Frederik Braun und Felix Wiedemann in ihrem Beitrag zur Rechtsentwicklung der Infrastruktur für ein europäisches Wasserstoffnetzsystem.
Sehr spannend ist auch der Beitrag von Dr. Jörn Bringewat zur genehmigungsrechtlichen Zulassung von Elektrolyseuren und Wasserstofftankstellen. Es wird deutlich, dass hier dringender Anpassungsbedarf besteht: Das Verwaltungsrecht muss ertüchtigt werden für die Vielfalt von zukünftigen Wasserstofferzeugungsanlagen (und auch Tankstellen), der das aktuelle Instrumentarium nicht gerecht wird. Denn die aktuellen Anforderung etwa zur Genehmigung und Betriebssicherheit orientieren sich an den Erfordernissen der aktuellen großindustriellen Erzeugungsanlagen.
Der Aufsatzteil schließt mit dem Beitrag des langjährigen Umwelt-Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Dr. Thomas Griese zu Gesetzesvorschläge und Initiativen zur Verbesserung des Ausbaus der Windenergie. Offensichtlich ein extrem aktuelles Thema und auch deshalb ein sehr wertvoller Beitrag, der die Diskussionen in und um die neue Bundesregierung zur Windenergie aufnimmt und weiterentwickelt.
Wie immer finden Sie ausgewählte neue energiezivilrechtliche und energieverwaltungsrechtliche Entscheidungen, u. a. des EuGH zum System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten sowie zur Verzinsung von Stromsteuererstattungsansprüchen nach Unionsrecht und des BGH zur nachträgliche Herabsetzung der genehmigten Preisobergrenze für Regelarbeitsgebote durch die BNetzA, zur Sonderrechtsfähigkeit von einzelnen Solarmodulen eines Solarparks, zur Haftung einer Gemeinde bei Verweigerung ihres Einvernehmens zum Bau einer Windenkraftanlage sowie zur Nachzahlung individueller Netzentgelte. Weitere Urteile befassen sich u. a. mit den Voraussetzungen der Eigenversorgung im Rahmen einer „Scheibenpacht“ (OLG Düsseldorf), dem Aufwendungsersatzanspruch des Netzbetreibers bei „geduldeter Notstromentnahme“ (OLG Düsseldorf), der Rückforderung von Marktprämien i. R. d. EEG 2017 (OLG Schleswig) sowie der Übernahme eines Fernwärmenetzes durch das Land Berlin (OVG Berlin-Brandenburg).
Die verwaltungsrechtlichen Entscheidungen in diesem Heft betreffen u. a. die Frage einer (nicht anzunehmenden) Störung des Mornellregenpfeifers durch ein Umspannwerk, die (fehlende) Verbandsklagebefugnis noch nicht anerkannter Vereinigungen und die Zurückstellung von Windenergie-Vorhaben (alle OVG Münster), eine Veränderungssperre aus Anlass der „Feinsteuerung“ von Windenergie-Vorhaben (OVG Koblenz), die Konzentrationswirkung der BImSchG-Genehmigung im Zielabweichungsverfahren (OVG Lüneburg) sowie schließlich die fehlende Antragsbefugnis im einstweiligen Rechtsschutz gegen eine WEA-Genehmigung (OVG Schleswig).
Abschließend begrüßen wir sehr herzlich Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, LL. M., M. A. im engsten Kreis der ZNER. Wir freuen uns sehr, mit ihm eine der innovativsten und visionärsten Stimmen des aktuellen Energiediskurses als Redaktionsmitglied gewonnen zu haben. Herzlich Willkommen! Dagegen müssen wir dem neuen Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, MD Dr. Volker Oschmann, für seine langjährige Mitarbeit im Kreis der Redaktion danken. Leider machen seine neuen Pflichten eine weitere Redaktionsmitarbeit unrealistisch. Er bleibt der ZNER aber erfreulicherweise im wissenschaftlichen Beirat erhalten. Ansonsten setzen wir die im vorletzten Jahr begonnene, von Heft zu Heft rollierende Schriftleitung fort, das passt doch zur Energiewirtschaft...
Dr. Martin Altrock