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ZNER 2011, 467
Becker 

Editorial

Die ZNER hat zusammen mit EUROSOLAR am 24./25. Juni 2011 ein Hermann-Scheer-Gedächtnissymposium durchgeführt, das die Teilnehmer und die Referenten als sehr spannend empfunden haben. Wenige Tage später hat der Deutsche Bundestag über das Gesetzesbündel zur Energiewende entschieden. Die Gesetzentwürfe lagen auf dem Tisch und regten die Phantasie der Referenten und Autoren an.

Auch der Autoren: Im Interesse der Aktualität hat die Redaktion zentrale Themen des Symposiums nicht erst in der vorliegenden Nummer abgedruckt, sondern schon in den vorhergehenden. So haben Altrock und Vollprecht in Heft 3 den Aufsatz „Zur Entwicklung des Einspeisemanagements zwischen dem Vorrang Erneuerbarer Energien und dem Ausbau fluktuierender Stromerzeugungskapazitäten“ veröffentlicht. Das Thema wird die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre bestimmen und den Netzbetreibern eine Vielzahl von Problemen bescheren. Diese werden insbesondere durch die Direktvermarktung von Strom aus Erneuerbaren Energien im EEG 2012 bestimmt; so das Thema des Aufsatzes von Wustlich und Müller in Heft 4 der ZNER. Allein die Direktvermarktungsregelungen der §§ 33a bis h EEG 2012, die einen Anreiz zur besseren Marktorientierung erneuerbaren Stroms setzen sollen, weisen eine derartige Komplexität auf, dass die Clearingstelle (§ 57 EEG 2009) prospektiv tätig werden sollte, um den Beteiligten Hilfestellung zu bieten.

Vorab (Heft 4/2011, 375) erschienen ist auch der Aufsatz von Däuper/Michaels/Voß zur 13. Atomgesetznovelle, dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Die Autoren hatten sich dort insbesondere mit der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes befasst; die AKW-Betreiber hatten sich ja teilweise kampfeslustig gezeigt. Das Ergebnis war aber, dass der Gesetzgeber die Grundrechtspositionen aus Art. 14, 12 und 3 GG bedacht haben dürfte: „Erdenkliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtsgüter dürfen aufgrund der erheblichen, der Nutzung der Kernenergie inhärenten Risiken verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein“, resümieren die Autoren.

In diesem Heft erscheinen nunmehr die noch fehlenden Beiträge. Nina Scheer, Hermann Scheers Tochter und Vorstand der Hermann-Scheer-Stiftung, befasst sich mit zwei zentralen Botschaften aus Hermann Scheers „Energet(h)ischem Imperativ“, dem Buch, das kurz vor Hermann Scheers Tod erschienen war. Ihm ging es darum – und das stellt Nina Scheer sehr schön dar – aufzuzeigen, dass Desertec und Supergrid nicht etwa grüne Sprünge in die Welt der Erneuerbaren Energien sind, sondern Verhinderungsstrategien: Großprojekte, die wegen des erforderlichen Finanzvolumens nur von den Konzernen zu schultern sind – die aber gar kein Interesse an der Verwirklichung haben. So erweisen sich diese Projekte im Ergebnis als Blockaden für die Energiewende.

Der Verfasser dieser Zeilen stellte die Energiewende in den größeren historischen Zusammenhang; sie ist ja epochal: Die großen Stromkonzerne entstanden gegen Ende des vorvergangenen Jahrhunderts und wurden deswegen so mächtig, weil sie einerseits im Gemeinwohlinteresse unterwegs waren, aber – da sie weit überwiegend dem Staat oder den Kommunen gehörten – auch immer für auskömmliche Margen sorgten, für die das Monopol das Instrument war. Diese Epoche neigt sich jetzt dem Ende zu – und wirft damit die Frage nach ihren Perspektiven auf. Die derzeitigen Börsenkurse von E.ON und RWE zeigen, dass der Markt mit ihnen keinerlei Kursphantasien verbindet, was eben das Resultat der fehlenden Innovationskraft ist.

Sehr instruktiv beleuchtet das Kappel in seiner Untersuchung der „Energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg im Wandel“. Der Autor, intimer Kenner der Verhältnisse aus eigener Anschauung, befasst sich sehr differenziert und gut belegt nicht nur mit der Zukunft der Stadtwerke, sondern insbesondere mit der der EnBW. Den Hintergrund bietet die Studie von Leprich, „Perspektiven eines Energiekonzerns“, die er im Auftrag von Greenpeace verfasst hat. Sie wurde vor Fukushima und dem Machtwechsel in Baden-Württemberg abgeschlossen, stellt aber gleichwohl die Grundlagen für die allfälligen Überlegungen zur strategischen Neuausrichtung des Konzerns dar. Diese betrachtet Kappel anhand aktueller Entwicklungen, so dass Berater, die in Baden-Württemberg unterwegs sind, gut daran tun, zunächst bei Kappel die aktuellen Bedingungen zu studieren. Zu diesen Bedingungen gehört die Komplexität der baden-württembergischen Energielandschaft, die man im Urteil des VGH Mannheim vom 8.5.2008 zu den Rechtsfolgen des Auseinanderfallens des Neckar-Elektrizitätsverbands (NEV) gut studieren kann.

Sehr interessant schließlich die Konferenz zu den Bedingungen einer Energiewende in Polen, die BBH zusammen mit dem Institut für Klimawandel, Energie und Mobilität (IKEM) und der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) veranstaltet hat; die IALANA war der Impulsgeber aufgrund ihrer General Assembly im Juni in Stettin. Dabei hatte sich gezeigt, dass es durchaus nuklearkritische Haltungen bei Rechtswissenschaftlern gibt, während die polnische Regierung gerade ein „nuclear package“ beschloss – trotz Fukushima und der Umwälzungen im Nachbarland. Der polnische Schritt ist deswegen so ungewöhnlich, weil Polen mit dem beschlossenen Neubau von vier Atomkraftwerken in die Atomkraft einsteigt. Dieser Schritt ist nur zu verstehen vor polnischen Eigenheiten: 90 Prozent der Stromerzeugung findet statt auf Basis der heimischen Stein- und Braunkohle, freilich in Kraft-Wärme-Kopplung: Ausdruck der nationalen Energieautarkie. Diese soll auch unter europäischem Einfluss nicht aufgegeben werden; deswegen der Ansatz, die europäischen Klimaschutzziele auf der Basis der Atomenergie sicherzustellen. Der Anteil der Erneuerbaren Energien von knapp 3 Prozent leidet unter dem „Zertifikatsmodell“ für die Vermarktung erneuerbar erzeugten Stroms, das deren Aussichten von der Geneigtheit der großen Player abhängig macht, die aber gerade herkömmlich gepolt sind. Die Frage, wie Polens Energiezukunft in Gang kommt, ist daher durchaus schwierig zu beantworten – das zeigt der Konferenzbericht mit aller Deutlichkeit.

Peter Becker

 
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