Zusammenfassung der zersplitterten EU-Regelungen zum Schutz von geografischen Angaben im Lebensmittelbereich
Der registermäßige Schutz von geografischen Lebensmittelnamen, nämlich von geschützten Ursprungsbezeichnungen (g. U.) und geschützten geografischen Angaben (g.g.A.) ist in der EU derzeit auf vier Verordnungen aufgespalten. Weinnamen sind von der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, Spirituosennamen von der Verordnung (EU) 2019/787, Namen aromatisierter Weine und weinhaltiger Getränke von der Verordnung (EU) Nr. 251/2014 erfasst, die geografischen Namen aller anderen Lebensmittel von der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012.
Diese Rechtszersplitterung will die Kommission beenden, genauer gesagt: abmildern. Dazu hat sie einen “Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über geografische Angaben der Europäischen Union für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugnisse und über Qualitätsregelungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013, (EU) 2017/1001 und (EU) 2019/787 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012” unterbreitet. Die letzte Fassung stammt vom 3.5.2022.1 Der Vorschlag hat das interne Verfahren in der Kommission durchlaufen und liegt nun dem Parlament vor. Das letzte Dokument zu dem Vorgang ist die Stellungnahme des europäischen Datenschutzbeauftragten mit einigen kleinen Anregungen.2
Merkwürdig ist, dass sich der Titel des Verordnungsentwurfs ausdrücklich nur auf “geografische Angaben der Europäischen Union” bezieht, obwohl der Verordnungstext weiterhin auch den Schutz von Namen aus Drittstaaten ermöglicht (Art. 15 Abs. 2 des Vorschlags). Allein China hat 99 Lebensmittelnamen eingetragen, acht mehr als Deutschland. Der Verordnungstitel sollte diese bereits praktizierte Offenheit für Namen aus Drittstaaten auch signalisieren.
Der Vorschlag betont an zahlreichen Stellen die Doppelnatur des Schutzes geografischer Lebensmittelnamen. Einerseits dient dieser der gemeinsamen Agrarpolitik, andererseits sind geschützte Namen geistiges Eigentum der Erzeuger. Die von der GAP verfolgten volkswirtschaftlichen Ziele sollen also (auch) durch die Kreation eines auf den Agrarsektor beschränkten Rechts des geistigen Eigentums erreicht werden. Zwar gibt es auch eine Initiative der EU zum Schutz von geografischen Namen für nichtlandwirtschaftliche Erzeugnisse, aber auch danach soll großen industriellen Erzeugern kein Schutz möglich sein. Es wird also dabei bleiben, dass g.g.A./g.U. anders als Patente, Marken und Urheberrechte noch nicht einmal theoretisch allen Unternehmen offenstehen.
Der Verordnungsvorschlag will kein großer Wurf sein. Im Verfahren vor der Kommission waren drei Handlungsoptionen herausgearbeitet worden: Option 1 hätte nur zur Überarbeitung der existierenden Verordnungen geführt; Option 3 hätte eine Vollharmonisierung und komplette Überarbeitung bedeutet. Entschieden hat sich die Kommission für die “mittlere” Option 2, die eine Verstärkung des Schutzes und eine Verbesserung der Beteiligung von Erzeugergruppen sowie eine Vereinfachung des rechtlichen Umfeldes bewirken soll.
Diese Vereinfachung gelingt dem Entwurf schon deswegen, weil er den Schutz geografischer Namen aus drei der vier Verordnungen zu einer einzigen zusammenfasst. Warum er die vierte Verordnung, diejenige über aromatisierte Weine und weinhaltige Getränke, nicht mitnimmt, wird weder in der Begründung noch den Erwägungsgründen des Vorschlags erörtert. Klar ist immerhin, dass diese Verordnung, was den Schutz geografischer Namen angeht, kaum praktische Relevanz hat. Nur drei Namen sind danach geschützt (Nürnberger Glühwein, Thüringer Glühwein, Samoborski bermet, der Name eines kroatischen Erzeugnisses). Im Übrigen regelt diese Verordnung zahlreiche weitere Details für aromatisierte Weine und weinhaltige Getränke, die im Verordnungsvorschlag sowieso nichts zu suchen hätten.
Außer der Vereinfachung zielt der Vorschlag auf eine Verkürzung des Eintragungsverfahrens sowie auf einen besseren Schutz gegen die Verletzung geschützter Namen im Internet (Verkauf von Produktfälschungen über Online-Plattformen, verletzende Internet-Domainnamen). Außerdem können die Erzeuger danach in der Spezifikation Regelungen zur Stärkung der sozialen, ökologischen oder wirtschaftlichen Nachhaltigkeit treffen, und schließlich sollen die Erzeugervereinigungen gestärkt werden, indem die Mitgliedstaaten eine Erzeugervereinigung auf Antrag anerkennen müssen. Eine solche Vereinigung kann dann die betreffende geografische Angabe verwalten, durchsetzen und weiterentwickeln. Sie soll zudem Zugang zu allen für die Bekämpfung von Produktpiraterie zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erhalten. Diese Anerkennungsmöglichkeit gibt es zwar in Italien und anderswo bereits, in Deutschland aber nicht, so dass hier Umsetzungsregeln erforderlich sein werden.
Die Auswirkungen des Vorschlags auf die drei von ihm betroffenen älteren Geoschutz-Verordnungen sind unterschiedlich:
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Die Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 fällt ihm komplett zum Opfer. Sie regelt nur den Schutz von geografischen Namen, traditionellen Spezialitäten und sonstigen Qualitätsbezeichnungen, sodass ihr Gehalt im Vorschlag völlig aufgeht.
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Die Spirituosen-Verordnung (EU) 2019/787 enthält demgegenüber das gesamte europäische Recht für Spirituosen, die Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 regelt außer geografischen Weinnamen die gesamte gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse, betrifft also alle Agrarsektoren. Diese beiden Verordnungen werden deshalb durch den Vorschlag nur insofern geändert, als die meisten (nicht alle) ihrer Regelungen zum Schutz geografischer Namen gestrichen
und in die neue Verordnung überführt werden. Der Rest dieser Verordnungen bleibt unverändert erhalten.ZLR 2022 S. 537 (539)
Vom Vorschlag ist auch die Unionsmarkenverordnung (EU) Nr. 2017/1001 betroffen. Denn das EUIPO soll die Kommission künftig massiv unterstützen. Die Kommission kann dem EUIPO durch delegierte Rechtsakte Aufgaben übertragen. Es soll gemäß Art. 17 Abs. 5 die Prüfung von Eintragungsanträgen und deren Veröffentlichung übernehmen, es soll das Einspruchsverfahren steuern (Art. 19 Abs. 10) und das Register der geografischen Angaben führen (Art. 23 Abs. 7), es soll für Anträge auf Änderung der Produktspezifikation zuständig sein (Art. 25 Abs. 10), ebenso für das Löschungsverfahren (Art. 26 Abs. 6), es soll ein Warnsystem gegen verletzende Domainnamen installieren (Art. 34 Abs. 3) und es soll für Schutzanträge aus Drittländern zuständig sein (Art. 46 Abs. 1). Auch jetzt schon unterstützt das EUIPO beim Geo-Schutz. Die Kommission bietet die Plattform eAmbrosia für die Suche nach den durch Eintragungsverfahren geschützten Namen. Das EUIPO hat “GIview” entwickelt.3 Dort sind auch die 1.595 Drittstaat-Namen auffindbar, die nicht durch Eintragungsanträge, sondern direkt durch Listen in internationalen Abkommen der EU geschützt sind. Außerdem findet man dort die 40.000 Registrierungen, welche den rund 3.400 europäischen Namen Schutz in Drittstaaten gewähren. Das EUIPO benötigt eine solche Datenbank, weil nach der Unionsmarkenverordnung g.g.A., g.U. und g.t.S. absolute, von Amts wegen zu berücksichtigende Eintragungshindernisse sind (Art. 7 Abs. 1 j)–l) UMV).
Eine eigenartige Bestimmung, die ein geklärt geglaubtes Problem neu aufwirft, ist Art. 28 des Vorschlags. Er regelt die Auslobung von Zutaten mit geschützten Namen, also ob man für ein Sorbet, das Champagner enthält, das Wort Champagner benutzen darf. Gem. Art. 28 Abs. 1 darf darauf hingewiesen werden, dass das Verarbeitungserzeugnis die Zutat enthält, wenn dies redlich geschieht und das Ansehen des geschützten Namens nicht beeinträchtigt. Gem. Art. 28 Abs. 2 darf der geografische Name aber nicht in der Lebensmittelbezeichnung des Verarbeitungserzeugnisses benutzt werden, es sei denn der Hersteller hätte eine Vereinbarung mit einer Vereinigung, die zwei Drittel der Erzeuger vertritt. Man darf man also im Zutatenverzeichnis eines Sorbets “Champagner” erwähnen, man darf das Sorbet aber nicht “Champagner Sorbet” nennen – es sei denn die Vereinigung der Champagner-Winzer hätte das abgenickt. Schon im Anhörungsverfahren zum Entwurf wurden Bedenken gegen diese Regelung geäußert.4
Die Klausel soll offenbar Verfahren wie den “Champagner-Sorbet”-Prozess mit seinen insgesamt sechs Urteilen – vom LG hoch zum BGH5, zum EuGH6 und über den BGH7 wieder zurück zum OLG München8 – vermeiden helfen. Wenn die Vereinigung
Die durch Art. 28 Abs. 2 in gewissem Umfang (nur für Weiterverarbeitungserzeugnisse mit authentischer Zutat) ermöglichte Lizenzierung des geografischen Namens ist aber ein Systembruch. Streit darüber erscheint wahrscheinlich. Wenn etwa eine Erzeugervereinigung dem einen Verarbeiter die prominente Auslobung der g.g.A.-Zutat gestattet, dem anderen aber nicht, dann wird der benachteiligte Hersteller reklamieren, er sei durch einen Monopolisten (die Vereinigung, welche als einzige das Recht zur Gestattung der Namensnutzung hat) diskriminiert worden. Außerdem ist denkbar, dass die Vergabe des Rechts zur Namensnutzung eine Irreführung der Verbraucher bewirkt, wenn nämlich das betreffende Erzeugnis gar nicht nach der Zutat mit dem geschützten Namen schmeckt oder nur ganz wenig davon erhält – was die Erzeugervereinigung aber zum Beispiel deswegen nicht stört, weil der Verarbeiter sie für ihre Zustimmung fürstlich entlohnt.
Es fragt sich darum doch, ob nicht die von der Kommission früher entwickelten und vom EuGH als zutreffend anerkannten Voraussetzungen für die prominente Auslobung von g.g.A.-Zutaten die besseren sind: Das Erzeugnis muss eine signifikante Menge der Zutat enthalten, es darf keine weiteren Zutaten desselben Typs enthalten und es muss nach der Zutat mit dem geografischen Namen schmecken.9 Diese Grundsätze tauchten auch zuletzt im Februar dieses Jahres in den Leitlinien der Kommission für die Kennzeichnung von Spirituosen wieder auf.10 Die jetzt von der Kommission vorgeschlagene Regelung stärkt zwar die Erzeugervereinigungen, aber sie beschneidet zugleich empfindlich die Rechte derjenigen Erzeuger, die sich dem Diktat des Klubs, dem sie vermöge ihres Produktionsstandorts und des dort verwurzelten traditionellen Namens mehr oder weniger zwangsweise angehören, nicht unterwerfen wollen. Auch solche gibt es, denn sonst hätte der Hersteller des “Champagner Sorbets”, das unstreitig “echten” Champagner enthielt, keinen Champagner-Winzer als Lieferanten gefunden.
Rechtsanwalt Dr. Volker Schoene, Köln
1 | COM (2022) 134 final/2. |
2 | Dok. des Rates 11516/22 vom 19.7.2022. |
3 | Https://www.tmdn.org/giview/gi/search. |
4 | Dok. des Rates 9256/22 REV 1 vom 7.6.2022. |
5 | Beschluss v. 2.6.2016 – I ZR 268/14 |
6 | Urteil v. 20.12.2017, C-393/16, ZLR 2018, 227. |
7 | Urteil v. 19.7.2018, I ZR 268/14, ZLR 2019, 265. |
8 | Urteil v. 1.7.2021, 29 U 1698/14, ZLR 2021, 665. |
9 | EuGH, Urteil v. 20.12.2017, C-393/16, ZLR 2018, 227. |
10 | Abl. EU v. 18.2.2022, C 78, 3. |