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ZHR 175 (2011), 737-745
Marsch-Barner 

Zum Begriff der Nachhaltigkeit in § 87 Abs. 1 AktG

1. Einleitung

Der aus der Forstwirtschaft entlehnte1 Begriff der „Nachhaltigkeit“ verdankt seine Popularität neben seiner ausschließlich positiven Konnotation nicht zuletzt seiner Unschärfe, die ihn für die Verwendung in unterschiedlichen Zusammenhängen prädestiniert. Teilweise als Synonym für Generationen- und globale Gerechtigkeit verstanden und als solches zur „Jahrhundertaufgabe“ aufgewertet,2 soll die Berufung auf das Nachhaltigkeitsprinzip zum Ausdruck bringen, dass eine in der Gegenwart zu treffende Entscheidung deren mögliche Auswirkungen auf zukünftige Entwicklungen berücksichtigt. Häufig verbergen sich hinter dem Postulat der Nachhaltigkeit nicht mehr als bloße Selbstverständlichkeiten – so etwa dann, wenn es herangezogen wird, um die Notwendigkeit einer Reduzierung von Staatsschulden zu begründen.

Eine von globalen Finanzmarkt- und Schulden-Krisen geprägte wirtschaftliche Entwicklung zwingt die nationalen und supranationalen Regelgeber, kurzfristige – und oftmals alles andere als nachhaltige – Antworten auf die Frage zu geben, durch welche rechtlichen Mechanismen sich solche Krisen künftig verhindern lassen. Dieser Handlungsdruck begünstigt die Gerinnung unverbindlicher politischer Sprechblasen zu allgemeinverbindlichem Recht. Darin mag der eigentliche Grund dafür liegen, dass mit der Änderung des § 87 Abs. 1 AktG durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)3 der Begriff der Nachhaltigkeit Eingang in das Aktiengesetz gefunden hat. Rechtspolitischer Hintergrund dieser Änderung war das Bestreben, falsche Anreize bei der Vorstandsvergütung, die als eine Mitursache der Finanzmarktkrise angesehen wurden, künftig zu verhindern,4 und zugleich der Forderung nach einer Regulierung der in der öffentlichen Meinung vielfach als unanständig hoch empfundenen Vergütung von Vorständen nachzukom¬ZHR 175 (2011) S. 737 (738)men.5 Zu diesem Zweck wurde § 87 Abs. 1 AktG neu gefasst. Dabei wurden zusätzliche Kriterien für die Angemessenheit der Vergütung eingeführt und die variablen Vergütungsbestandteile an eine mehrjährige Bemessungsgrundlage gebunden. In § 87 Abs. 1 S. 2 AktG wurde zudem generell festgelegt, dass die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine „nachhaltige Unternehmensentwicklung“ auszurichten sei. Was das Gesetz unter dieser „nachhaltigen Unternehmensentwicklung“ verstehen will, ist unklar.6

Da der Begriff der nachhaltigen Unternehmensentwicklung im Aktienrecht bis dahin unbekannt war, hätte man erwarten können, dass die Gesetzesmaterialien eine nähere Umschreibung enthalten. Tatsächlich sucht man jedoch vergeblich nach einer Erläuterung. In der Begründung der für die Endfassung maßgeblichen Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages wird die vorgesehene Formulierung des Gesetzes nur wiederholt.7 Ergänzend heißt es, das Ziel der nachhaltigen Unternehmensentwicklung könne mit verschiedenen Vergütungsinstrumenten angestrebt werden. Bei variablen Vergütungsbestandteilen sei auf eine langfristige Wirkung der Verhaltensanreize zu achten. Auch eine Mischung aus kurz- und längerfristigen Anreizen sei möglich, wenn im Ergebnis ein langfristiger Verhaltensanreiz erzeugt werde. Die Langfristigkeit wird auch in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses betont. Es heißt dort gleich am Anfang, dass bei einer Ausrichtung auf kurzfristige Vergütungsparameter wie z.B. den Börsenkurs oder das Auftragsvolumen an einem bestimmten Stichtag das nachhaltige Wachstum des Unternehmens aus dem Blick gerate. Ziel des Gesetzentwurfs sei es deshalb, die Anreize der Vergütungsstruktur in Richtung einer nachhaltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken.8 Langfristigkeit und nachhaltige Unternehmensentwicklung gehören damit offenbar eng zusammen, sind aber schon begrifflich nicht das Gleiche. Eine gewisse inhaltliche Verbindung zwischen beiden ergibt sich allerdings aus dem Gesetz selbst, wenn es in § 87 Abs. 1 S. 3 AktG heißt, dass variable Vergütungsbestandteile „daher“, also wegen der zuvor beschriebenen Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung, eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollen. Die Frage ist deshalb, ob der Ausrichtung auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung eine selbstständige Bedeutung bei der Ausgestaltung der Vorstandsvergütung zukommt oder ob es sich nur um ein vielleicht schmückendes, aber rechtlich überflüssiges Beiwerk handelt.

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2. Schrifttum

Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird die Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung durch § 87 Abs. 1 S. 2 AktG unterschiedlich interpretiert. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass das Nachhaltigkeitsgebot durch die anschließenden Bestimmungen über die variablen Vergütungsbestandteile in § 87 Abs. 1 S. 3 AktG konkretisiert werde.9 Andere attestieren dem Nachhaltigkeitserfordernis dagegen eine eigenständige und weitergehende Bedeutung. Die Ausrichtung auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung soll danach die Ausrichtung auf den dauernden Bestand und die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens zum Ausdruck bringen;10 teilweise wird der Begriff der Nachhaltigkeit sogar in die Nähe eines allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips gerückt.11 Dazwischen liegen die Ansichten, welche die Nachhaltigkeit hauptsächlich negativ als Vermeidung von Anreizen zu kurzfristigen Erfolgen, insbesondere sogenannten Strohfeuern, und als Verbot des Eingehens bestandsgefährdender Risiken definieren.12

Dafür, dass der Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit eine eigenständige Bedeutung zukommt, sprechen der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes. § 87 Abs. 1 S. 2 AktG steht als ausdrückliche Verpflichtung („ist“) des Aufsichtsrates als dem für die Festsetzung der Vorstandsvergütung zuständigen Organ zwischen der allgemeinen Beschreibung der Angemessenheitskriterien und der besonderen Ausgestaltung der variablen Vergütung. Zweifel an der eigenständigen Bedeutung ergeben sich jedoch daraus, dass die Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung im Gesetzgebungsprozess an keiner Stelle näher reflektiert wird. Daher ist völlig offen, welchen Inhalt eine solche Ausrichtung haben soll. Wenn hierzu vertreten wird, dass es darum gehe, den Bestand und damit die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens im Auge zu behalten, so ist damit nicht viel gewonnen. Denn beides gehört unabhängig vom VorstAG zu den grundlegenden Pflich¬ZHR 175 (2011) S. 737 (740)ten des Vorstandes bei der Leitung des Unternehmens.13 Dass die Struktur der Vorstandsvergütung dieser Pflichtenlage entsprechen muss, ihr jedenfalls nicht entgegenstehen darf, ist eine Selbstverständlichkeit und keine Erkenntnis, die sich erst aus dem VorstAG ergibt. Die eigentliche, auch praktisch wichtige Frage ist vielmehr, ob sich aus der Regelung in § 87 Abs. 1 S. 2 AktG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung der Vergütungsstruktur ergeben, die nicht schon durch die übrigen Regelungen des § 87 Abs. 1 AktG abgedeckt sind. Solche Anforderungen könnten z.B. darin bestehen, dass die variablen Vergütungsbestandteile an die Entwicklung des Unternehmenswertes gekoppelt werden müssen,14 dass erfolgsbezogene Vergütungen bei negativen Erfolgsbeiträgen durch Malus-Regelungen reduziert werden15 oder dass bestimmte Nachhaltigkeitsziele in die Zielvereinbarungen aufgenommen werden.16 Welche Maßnahmen hier im Einzelnen in Betracht kommen, mag dem Ermessen des Aufsichtsrates überlassen bleiben. Der Fantasie sind dabei nur wenige Grenzen gesetzt.17 Anlass zu Bedenken gegen eine Ausweitung des Nachhaltigkeitsgedankens muss jedoch geben, dass sich in den Materialien des VorstAG zu alledem nichts findet.

3. Deutscher Corporate Governance Kodex

Der Deutsche Corporate Governance Kodex, der unter anderem auch das geltende Aktienrecht beschreiben will, trägt zur inhaltlichen Konturierung des Nachhaltigkeitsbegriffs nichts bei. In Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 1 DCGK wird die Formulierung des § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG lediglich wiederholt. Dies wird mangels anderweitiger Anhaltspunkte dahin verstanden, dass es nach dem Kodex wie nach der gesetzlichen Regelung um die Bestandserhaltung und die Vermeidung bestandsgefährdender Risiken geht.18

An anderer Stelle des Kodex werden Vorstand und Aufsichtsrat als verpflichtet angesehen, das Unternehmen mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöp¬ZHR 175 (2011) S. 737 (741)fung zu leiten (Abs. 2 der Präambel sowie Ziff. 4.1.1 DCGK).19 Nachhaltige Unternehmensentwicklung und nachhaltige Wertschöpfung liegen zwar beieinander, sind aber nicht deckungsgleich. Zudem ist zweifelhaft, ob sich im Aktiengesetz überhaupt eine Rechtsgrundlage für eine beständige Steigerung des Unternehmenswertes finden lässt. Für eine „nachhaltige“ Strukturierung der Vorstandsvergütung lassen sich daraus jedenfalls keine weiteren Schlüsse ableiten.

4. Vergleich mit anderen Rechtsquellen

Näheren Aufschluss über die Bedeutung der Nachhaltigkeit in § 87 Abs. 1 S. 2 AktG könnten vielleicht andere Rechtsquellen ergeben, in denen dieser Begriff ebenfalls im Zusammenhang mit der Vorstandsvergütung verwendet wird. Zu denken ist vor allem an die Änderungen des KWG und des VAG durch das Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen vom 21.07.2010.20 Danach müssen die Vergütungssysteme für die Geschäftsleiter, die Mitarbeiter und bei den Versicherungsunternehmen auch für die Aufsichtsratsmitglieder, auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sein (§§ 64b Abs. 1 VAG, 25a Abs. 1 Nr. 4 KWG). Nach den dazu erlassenen Vergütungs-Verordnungen für Institute und Versicherungsunternehmen müssen die Vergütungssysteme jeweils so ausgestaltet sein, dass der variable Teil der Vergütung eine Vergütung für den aus der Tätigkeit sich ergebenden nachhaltigen Erfolg des Unternehmens darstellt.21 Mit der Ausrichtung auf die nachhaltige Entwicklung bzw. den nachhaltigen Erfolg wird also nur die variable Vergütung angesprochen. Eine generelle Ausrichtung der Vergütung auf Nachhaltigkeit ist dagegen nicht vorgesehen. In den allgemeinen Anforderungen der beiden Verordnungen wird der neugefasste Abs. 1 von § 87 AktG zwar nahezu wörtlich wiedergegeben. Der zweite Satz ist dabei aber jeweils weggelassen.22 Die Ausrichtung der Vergütung auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung ist damit kein allgemeines, übergreifendes Ziel. Die Umsetzung dieses Postulats erfolgt vielmehr über die besonderen Anforderungen, die in beiden Verordnungen jeweils für die variable Vergütung aufgestellt sind. Diese besonderen Anforderungen gelten dabei nur für bedeutende Unternehmen, die eine bestimmte Größenordnung erreichen.23 Sie gelten außerdem nur für bestimmte, für das Risikoprofil der Institute bzw. Versicherungsunternehmen besonders wichtige Mitarbeiter und Geschäftsleiter.

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Ein ähnlicher Zusammenhang ergibt sich aus der Empfehlung der EU-Kommission zur Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften, die am 30. 4. 2009, also wenige Monate vor der Verabschiedung des VorstAG, veröffentlicht wurde.24 Nach dieser an die Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlung soll die Struktur der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung der „langfristigen Unternehmensentwicklung“ – im englischen Text: „long-term sustainability of the company“ – dienen und gleichzeitig sicherstellen, dass sich die Vergütung an der Leistung orientiert.25 Im Abschnitt über die Vergütungspolitik heißt es sodann mit Bezug auf die variable Vergütung, diese sollte an im Voraus festgelegte, messbare Leistungskriterien geknüpft sein, die ihrerseits der langfristigen Unternehmensentwicklung dienen. Nicht die „nachhaltige“, sondern die langfristige Unternehmensentwicklung ist danach das wesentliche Kriterium, auf das sich die Vergütung insgesamt ausrichten soll. Umgesetzt werden soll dieses Kriterium bei der entsprechend ausgestalteten variablen Vergütung. Ebenso wie der deutsche Gesetzgeber sieht offenbar auch die Kommission in der Nachhaltigkeit kein übergreifendes Prinzip der Vergütungsstruktur.

Dieses Verständnis wird gestützt durch die sonstige Verwendung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ im Kontext der Vergütung von Vorständen bzw. Verwaltungsratsmitgliedern in den Dokumenten der Kommission. So wird etwa im jüngst veröffentlichten Grünbuch „Europäischer Corporate Governance Rahmen“ festgestellt, dass eine Konzentration auf kurzfristige Leistungskriterien einen negativen Einfluss auf die „langfristige Nachhaltigkeit“ des Unternehmens zeitige.26 Gemeint ist mit dieser tautologisch anmutenden Formulierung wohl die langfristige Entwicklung bzw. der dauerhafte Bestand des Unternehmens. Eine über die Formulierung einer vagen rechtspolitischen Zielvorstellung hinausgehende eigenständige Bedeutung kann dem Begriff der Nachhaltigkeit insoweit nicht entnommen werden.27 Bemerkenswert ist, dass ZHR 175 (2011) S. 737 (743)in der englischen Sprachfassung schlicht von „long-term sustainability“ die Rede ist. Dieser Begriff wird auch in der Kommissionsempfehlung (s.o.) verwendet, in deren deutscher Sprachfassung aber nicht mit „langfristiger Nachhaltigkeit“, sondern mit „langfristiger Unternehmensentwicklung“ übersetzt. Klarer als der Begriff der „long-term sustainability“ ist der im Grünbuch „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik“ mehrfach gebrauchte Begriff der „long-term viability“ – im deutschen Text „langfristige Überlebensfähigkeit.28 Dieser Begriff kann nur so verstanden werden, dass Vergütungsregelungen keine Anreize für Risiken schaffen sollen, die den Bestand des Unternehmens gefährden. Der so verstandenen „long-term viability“ sind auch weite Teile des am 5. 4. 2011 veröffentlichten und im Auftrag der Kommission erstellten Reports der Reflection Group On the Future of EU Company Law gewidmet.29

5. Nachhaltigkeit in der Unternehmenskommunikation

Zum richtigen Verständnis der Ausrichtung der Vergütung für die Vorstände börsennotierter Unternehmen könnte schließlich auch beitragen, wie der Begriff der Nachhaltigkeit in der Kapitalmarktkommunikation verwendet wird. Schon seit geraumer Zeit veröffentlichen die großen börsennotierten Unternehmen einen sog. Nachhaltigkeitsbericht, in dem sie ihr gesellschaftliches Engagement als „Good Corporate Citizen“ darstellen. Dabei geht es vor allem um den Umweltschutz, das soziale Engagement und eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung (Environment, Social, Governance). Diese Berichte, die zum Teil freiwillig extern geprüft werden, sind als Information für Investoren und Geschäftspartner gedacht, die ihre Zusammenarbeit mit dem Unternehmen an die Erfüllung bestimmter Nachhaltigkeitskriterien binden. Das zugrundeliegende Nachhaltigkeits-Management kann dabei zertifiziert werden. Außerdem gibt es bestimmte Ratings und Indizes, in welche die Unternehmen je nach Nachhaltigkeitsleistung aufgenommen werden können. Bei dieser Art der Ausrichtung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung steht die Ökologie als Teil der unternehmerischen Verantwortung im Vordergrund.30 Interne Vergütungsfragen spielen dabei bislang keine Rolle. Rückschlüsse auf die Vergütungsstruktur der Vorstände lassen sich daraus mithin nicht ziehen.

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Neben diesen Marketing-Aktivitäten der Publikumsgesellschaften sind auch die Nachhaltigkeits-Aktivitäten der Bundesregierung zu erwähnen, die im Jahre 2001 einen umfangreichen Bericht zu einer Strategie der nachhaltigen Entwicklung31 vorgelegt und im selben Jahr den „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ eingesetzt hat. Dieser Rat hat erst kürzlich, im Oktober 2011, den sog. „Deutschen Nachhaltigkeitskodex“ verabschiedet, der als verbindlicher Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen über ihren Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften gedacht ist.32 Die Befolgung dieses Kodex ist frei; der Vorschlag einer gesetzlichen Verpflichtung entsprechend § 161 AktG hat sich zum Glück nicht durchgesetzt. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung rät den Unternehmen aber zur Anwendung. Nach dem Vorbild des Deutschen Corporate Governance Kodex sollen die Unternehmen – freiwillig – erklären, ob und inwieweit sie dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex entsprechen und etwaige Abweichungen erklären (comply or explain). Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit soll die Entsprechenserklärung von einem unabhängigen Dritten testiert werden. Diese Entsprechenserklärung sollen die Unternehmen dann auf ihrer Homepage und gegebenenfalls auch im Geschäfts- oder Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen.33

Interessanterweise geht der Nachhaltigkeitskodex auch auf die Vergütung ein. Nach seiner Ziff. 8 mit der Überschrift „Anreizsysteme“ sollen die Unternehmen offen legen, „wie sich die Zielvereinbarungen und Vergütungen für Führungskräfte und Mitarbeiter auch an der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen und an der dauerhaften Wertschöpfung orientieren.“ Außerdem soll offengelegt werden, „inwiefern die Nachhaltigkeitsperformance Teil der Evaluation der obersten Führungsebene (Vorstand/Geschäftsführung) durch das Kontrollorgan (Aufsichtsrat/Beirat) ist.“ Diese Bestimmungen suggerieren, dass Nachhaltigkeit und dauerhafte Wertschöpfung notwendiger Bestandteil der Zielvereinbarungen mit den Führungskräften einschließlich Vorstand sein müssten. Dies ist tatsächlich jedoch nicht der Fall. Die Sicht des Nachhaltigkeitskodex ist auch deshalb schief, weil sie die Vergütung nur unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeitszielen bewertet und dabei andere wesentliche Aspekte wie den Entlohnungscharakter oder die Angemessenheit ausblendet. Eine solche betont einseitige Betrachtung wird der komplexen gesetzlichen Regelung in keiner Weise gerecht.

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6. Schlussbemerkung

Fasst man die verschiedenen Aspekte zusammen, so lässt sich festhalten, dass die Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung nur für die Unternehmen der Finanzbranche näher ausformuliert worden ist. Für die börsennotierten Unternehmen außerhalb dieses Bereichs bleibt die Ausrichtung auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung dagegen ein blasses Postulat, das bis auf die Vorgaben für die variable Vergütung in § 87 Abs. 1 S. 3 AktG keine weitere Ausprägung erfahren hat. Selbst diese Regelung ist nur eine unverbindliche Sollvorschrift.34 Dies alles spricht dafür, § 87 Abs. 1 S. 2 AktG restriktiv auszulegen. Der Aufsichtsrat ist nicht verpflichtet, die Vorstandsvergütung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der nachhaltigen Unternehmensentwicklung zu strukturieren. Der Aufsichtsrat muss auch nicht die gesamte variable Vergütung auf spezielle Nachhaltigkeitsziele ausrichten. Dem Nachhaltigkeitsgedanken wird vielmehr ausreichend Rechnung getragen, wenn Teile der variablen Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben und dabei für außerordentliche Entwicklungen eine Begrenzungsmöglichkeit vorgesehen wird (§ 87 Abs. 1 S. 3 AktG). Dem entsprechend kann auch allein eine feste Vergütung vereinbart werden. Diese kann auch mit einer kurzfristigen variablen Vergütung kombiniert werden; es dürfen nur keine Anreize für kurzfristige Erfolge zu Lasten der künftigen Unternehmensentwicklung gesetzt werden. Im Übrigen hat der Aufsichtsrat bei der Gestaltung der Vergütungsstruktur ein weites Ermessen.

Mit einem solchen einschränkenden Verständnis lässt sich auch der These begegnen, dass der Aufsichtsrat mit der Ausrichtung der Vorstandsvergütung auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung in die alleinige Zuständigkeit des Vorstands für die Strategie des Unternehmens eingreife.35 Da der Aufsichtsrat nicht verpflichtet ist, die gesamte Struktur der Vorstandsvergütung auf eine wie immer verstandene Nachhaltigkeitsstrategie auszurichten, ist die Gefahr eines Zuständigkeitskonflikts nicht automatisch gegeben. Zuständig für die Festlegung der Unternehmensstrategie ist und bleibt der Vorstand. Will der Aufsichtsrat die strategische Ausrichtung des Unternehmens durch entsprechende Ziele bei der Vergütung berücksichtigen, so ist er an die Vorgaben des Vorstands gebunden. Er kann diese Vorgaben nicht dadurch ändern oder unterlaufen, dass er über bestimmte Vergütungsparameter eigene strategische Ziele festsetzt.

Reinhard Marsch-Barner

1

Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Wagner, AG 2010, 774, 776.

2

Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, 2005, S. 9.

3

Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31. 7. 2009, BGBl. I (2009), S. 2509.

4

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 17. 3. 2009, BT-Drs. 16/12278, S. 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 17. 6. 2009, BT-Drs. 16/13433, S. 1.

5

Wilsing/Paul, GWR 2010, 363, die interessanterweise darauf hinweisen, dass die Neuregelung zu einer im Durchschnitt höheren Festvergütung der Vorstandsmitglieder geführt hat.

6

Selbst nach Einschätzung von Herrn Seibert vom BMJ ist der Begriff „schillernd“, vgl. Seibert WM 2009, 1489, 1490.

7

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (Fn. 4), S. 10.

8

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (Fn. 4), S. 1.

9

Mertens/Cahn in: Kölner Komm AktG, 3. Aufl., § 87 Rdn. 1 und 22; Seibt in: K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2. Aufl., § 87 Rdn. 12; Wilsing/Paul, GWR 2010, 363, 364; Heidel in: Heidel (Hrsg.), AktienR, 3. Aufl., § 87 Rdn. 7.

10

So insbesondere Wagner, AG 2010, 774, 776, 779.

11

Siehe Kocher/Bednarz, Der Konzern 2011, 77, 78: „Nachhaltigkeit soll den langfristigen Erhalt des Unternehmens, ein gesundes Wachstum, auskömmliche Erträge, die Vermeidung existenzgefährdender Risiken, die Eigenkapitalvorsorge für schlechtere Zeiten und die für den langfristigen Erfolg unerlässliche Beachtung der verschiedenen Interessen der Stakeholder sicherstellen.“; ähnlich bereits Seibert, WM 2009, 1489, 1490.

12

In diesem Sinne etwa Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 721; Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, S. 2ff.; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1982; Lingemann, BB 2009, 1918, , 1919.

13

Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 76 Rdn. 13; KölnerKommAktG/Mertens/Cahn (Fn. 9), § 76 Rdn. 21.

14

Vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 5 der Instituts-Vergütungsverordnung (InstitutsVergV) vom 6. 10. 2010, BGBl. I (2010), S. 1374, und § 4 Abs. 3 Nr. 2 Versicherungs-Vergütungsverordnung (VersVergV) vom 6. 10. 2010, BGBl. I (2010), S. 1379.

15

Vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 6 der InstitutsVergV sowie § 4 Abs. 3 Nr. 4 VersVergV und Begr RegE zum Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen, BR-Drs. 74/10, S. 9 und 11.

16

Dafür z. B. Wagner, AG 2010, 774, 778.

17

Vgl. z. B. die Incentivierungsbeispiele von Wagner, AG 2010, 774, 778 unter V.2 sowie Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1982f.

18

Vgl. Ringleb in: Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder (Hrsg.), Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl., Rdn. 722a.

19

Siehe dazu aus betriebswirtschaftlicher Sicht Lingnau/Kreklow, ZCG 4/11, S. 192ff.

20

BGBl. I (2010), S. 950.

21

Vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 3 InstitutsVergV und § 3 Abs. 1 Nr. 3 VersVergV.

22

Vgl. § 3 Abs. 4 S. 2 und 3 InstitutsVergV und § 3 Abs. 2 S. 1 und 2 VersVergV.

23

Vgl. §§ 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 InstitutsVergV und §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1 VersVergV.

24

Empfehlung zur Ergänzung der Empfehlungen 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften vom 30. 4. 2009.

25

Vgl. Erwägungsgrund (6) der Empfehlung vom 30. 4. 2009 (Fn. 24).

26

KOM(2011) 164/3, S. 10; siehe dazu die Beiträge von Jahn, AG 2011, 454, und Jung, BB 2011, 1987.

27

In Fn. 40 des Grünbuchs werden Nachhaltigkeit und Langfristigkeit dann sprachlich wieder getrennt: Darin beschreibt die Kommission das Feedback auf eine im Rahmen des Grünbuchs „Corporate Governance in Finanzinstituten“ durchgeführte Konsultation. In den Antworten auf diese Konsultation sei in der Regel die Auffassung vertreten worden, dass Anreize für Verwaltungsratsmitglieder angemessen strukturiert sein müssen, um eine langfristige und nachhaltige Unternehmensleistung zu fördern. Das Beiwort „nachhaltig“ hat hier aber ebenso wenig eigenständige Bedeutung wie der Begriff der „Unternehmensleistung“, der an anderer Stelle des Grünbuchs (S. 8) ausdrücklich im Sinne von wirtschaftlichem Erfolg verstanden wird, nämlich soweit es um den positiven Effekt von Frauen auf die Unternehmensleistung geht.

28

KOM (2010), 284 endg., S. 10 und passim.

29

Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_report_en.pdf.; s. dazu Hellwig/Behme, AG 2011, 740.

30

Vgl. zur Normierung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung Haller/Ernstberger, BB 2008, 2516ff. und zur Auswertung der Nachhaltigkeitsberichte die Pwc-Studie: Unternehmerische Verantwortung im Zeitalter der Transparenz vom März 2011.

31

Perspektiven für Deutschland – Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Bericht von 2001.

32

Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) vom Oktober 2011, veröffentlicht unter www.nachhaltigkeitsrat.de.

33

Vgl. die Empfehlung des Rates für Nachhaltige Entwicklung vom 13. 10. 2011.

34

Mertens, AG 2011, 57, 59ff.

35

Dauner-Lieb/Preen/Simon, DB 2010, 377.

 
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