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ZHR 186 (2022), 779-787
Burgi 

Public Enforcement im Recht der nachhaltigen Unternehmensführung

Mechanismus, Kontext, Perspektiven

I. Was ist und was bedeutet “Public Enforcement” für das privatwirtschaftliche Unternehmen einerseits, für den Staat bzw. die EU andererseits? Die Beschäftigung mit dieser Frage ist aufgrund der fulminanten Weiterentwicklung von Nachhaltigkeit bzw “ESG”1 als Faktor der Unternehmensführung aktuell indiziert. Schon länger werden die Relationen innerhalb der Rechtsregime Privatrecht und Öffentliches Recht nicht mehr nur rechtstechnisch betrachtet und auf Norm- bzw. Wertungswidersprüche hin abgeklopft.2 Vielmehr ist eine funktionale, an der Wirkungsweise der beiden Regime ansetzende Analyse erkenntnisleitend, die es ermöglicht, nach Dysfunktionalität und Komplementarität zu fragen. In der Wissenschaft vom Öffentlichen Recht wird dies mit dem Leitbegriff des “Verbunds” beschrieben,3 aber auch die Privatrechtswissenschaft interessiert sich vermehrt für funktionale Zuordnung und Kohärenz, insbesondere, aber nicht nur im Kapitalmarktrecht.4 Wenngleich die primäre Funktion des Privatrechts unverändert darin besteht, das Gemeinwohl “nur” mittelbar dadurch zu fördern, dass sich die privaten Akteure innerhalb der ihnen durch das Recht gezogenen Grenzen halten, wird ihm jedenfalls in Teilbereichen auch eine Steuerungs-5 bzw. Regulierungsfunktion6 zugemessen.

In solchen Teilbereichen sind Bestände einer “Publifizierung des Privatrechts” erkennbar,7 indem Verstöße gegen privatrechtliche Vorgaben nichtZHR 186 (2022) S. 779 (780) ausschließlich mit privatrechtlichen Instrumenten (insbesondere Haftungsansprüchen) sanktioniert werden, sondern parallel ein behördlicher Durchsetzungs- und Sanktionsapparat bereitgestellt wird. Ein Beispiel aus neuerer Zeit bildet das Datenschutzrecht, wo die Schadensersatzhaftung für Datenschutzverstöße neben die repressiven Befugnisse der Datenschutzbehörden tritt.8 Im Regulierungsrecht finden sich weitere Beispiele für ein solches (nicht immer kohärentes) Nebeneinander, namentlich im Kapitalmarktrecht und im WpÜG.9 Auch die Versuche, die Unbilligkeit von Entgelten für den Netzzugang unter Berufung auf § 315 BGB auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen, um ein nach Einschätzung des Konkurrenten nicht hinreichend effektives Vorgehen der Bundesnetzagentur gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen gleichsam auf diesem Umwege zu Fall zu bringen, gehören hierher.10

Von solchen Parallelstrukturen bei der Durchsetzung und Sanktionierung sind diejenigen Situationen zu unterscheiden, in denen Verstöße gegen materiellrechtliche Pflichten nicht nur parallel, d.h. privat- und öffentlich-rechtlich sanktioniert werden, sondern in denen allein das jeweils andere Rechtsregime die Instrumente der Rechtsdurchsetzung bereitstellt. Dazu gehört zum einen die (bekanntere) Erscheinungsform des sog. Private Enforcement in Gestalt privatrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 33 GWB zur Durchsetzung von Verstößen gegen die (teilweise öffentlich-rechtlichen) Vorschriften des GWB, der Art. 101 oder 102 AEUV und sogar gegen Verfügungen der Kartellbehörden (also gegen Verwaltungsakte).11 Namentlich im Hinblick auf das europäische Kartellrecht sind sowohl die EU-Kommission als auch der deutsche Gesetzgeber seit längerem um eine Stärkung dieses Mechanismus bemüht.12 So diente die zur Umsetzung der Kartellschadens-Richtlinie 2014/104/EU13 ergangene neunte GWB-Novelle der Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung, indem die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs erleichtert werden sollte. Das UWG setzt schon seit jeher überwiegend zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher VerhaltensvorgabenZHR 186 (2022) S. 779 (781) auf privatrechtliche Instrumente und kannte lange Zeit gar keine behördlichen Zuständigkeiten.14 Bei all dem geht es nicht lediglich um eine Parallelstruktur im Sinne eines Nebeneinander von Public und Private Enforcement innerhalb des gleichen Rechtsgebiets, vielmehr werden explizit bestimmte öffentlich-rechtliche Pflichten gleichsam “über Kreuz” mit privatrechtlichen Instrumenten durchgesetzt.15

Die umgekehrte Erscheinungsform, das sog. Public Enforcement, ist demgegenüber ein vergleichsweise neuerer und bislang deutlich weniger beachteter Crossover-Mechanismus. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass im Privatrecht wurzelnde materiellrechtliche Pflichten explizit durch Behörden mit öffentlich-rechtlichen Instrumenten durchgesetzt und ggf. sanktioniert werden. Dieser Mechanismus, sein Kontext und vor allem die sich hieraus ergebenden Perspektiven bzw. rechtliche Grenzen im höherrangigen Recht sollen hier skizziert werden.

II. Konzentriert man sich auf die Durchsetzung und Sanktionierung privatrechtlich begründeter Pflichten mit öffentlich-rechtlichen Instrumenten im zuletzt beschriebenen Sinne, dann hatte man es bis vor kurzem mit einem sehr überschaubaren Anwendungsbereich zu tun. So wurde teilweise eine behördliche Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen dahingehend ins Spiel gebracht, dass (unter Orientierung an Vorbildern aus den USA und Australien)16 die BaFin die Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen Vorstand bzw. Aufsichtsrat in die Hand nehmen könnte. Damit sollte bezweckt werden, dass auch dort, wo die eigentlich berufenen Akteure untätig bleiben, eine Aufarbeitung von Verstößen gegen unternehmensrechtliche Vorgaben ermöglicht wird.17 Im Energieregulierungsrecht befugt § 65 Abs. 1 EnWG die Bundesnetzagentur dazu, gegenüber Unternehmen vorzugehen, deren Verhalten gegen die “Bestimmungen” dieses Gesetzes verstößt, unabhängig davon, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder um privatrechtliche Bestimmungen handelt. Dazu gehören u.a. auch die unternehmensrechtlichen Vorschriften über das Unbundling.

In eine ganz andere Dimension wird das Public Enforcement nun ab dem 1. 1. 2023 vorstoßen, und zwar mit dem Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Durch dieses Gesetz werden zunächst (nochZHR 186 (2022) S. 779 (782) auf der Ebene privatrechtlicher, unternehmensbezogener Vorgaben) mehrere organisationsbezogene Elemente der allgemein in § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG statuierten “menschenrechtlichen” oder “umweltbezogenen” Sorgfaltspflichten statuiert. So müssen die Unternehmen ein “Risikomanagement” einrichten (§ 4 LkSG), eine “angemessene Risikoanalyse” durchführen (§ 5 LkSG), “Präventions- und Abhilfemaßnahmen” ergreifen (§§ 6 und 7 LkSG) und ein “Beschwerdeverfahren” (§ 8 LkSG) etablieren. Teil des Risikomanagements nach § 4 Abs. 3 LkSG kann etwa die “Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten” sein.18

Während das LkSG keine zivilrechtliche Haftung begründet,19 setzt es zwecks Durchsetzung und ggf. Sanktionierung auf ein Public Enforcement im oben skizzierten Sinne, d.h. auf verwaltungsverfahrensrechtliche Pflichten (der Unternehmen) und hierauf bezogene Befugnisse des zuständigen BAFA. In §§ 12 ff. LkSG werden in detaillierter Weise die Rechtsbeziehungen zwischen den Unternehmen und dieser Behörde normiert. Diese ist nach Maßgabe einer noch zu erlassenden Rechtsverordnung zuständig für die Prüfung der nach § 10 LkSG einzureichenden Berichte (§ 13 LkSG). Nach § 15 LkSG trifft sie “geeignete und erforderliche Anordnungen und Maßnahmen”, um Verstöße gegen Pflichten festzustellen, zu beseitigen oder zu verhindern. In § 15 S. 2 Nr. 1–3 LkSG bzw. § 16 werden hierzu verschiedene Befugnisse normiert: Betretensrechte, die Möglichkeit Personen zu laden sowie Auskunfts- und Herausgabepflichten bzw. Duldungs- und Mitwirkungspflichten (§§ 17 und 18 LkSG). Ein interessantes (für die Unternehmen aber ein überaus problematisches) Instrument besteht in dem jährlich zu erstattenden “Rechenschaftsbericht” nach § 21 LkSG, in dem auf festgestellte Verstöße und angeordnete Abhilfemaßnahmen hingewiesen und diese erläutert werden sollen. Als Sanktion ist neben einem umfangreichen Bußgeldkatalog (§ 24 LkSG) und einem gegenüber der Vorgabe in § 11 Abs. 3 des VwVG von 25.000 Euro auf 50.000 Euro erhöhten Zwangsgeld (§ 23 LkSG) eine Vergabesperre vorgesehen (in § 22 LkSG), die intensiver wirkt als der in § 124 Abs. 1 GWB im allgemeinen Vergaberecht vorgesehene bloße Ausschluss im einzelnen Vergabeverfahren.20

Wenngleich der teilweise erhobene Vorwurf, das BAFA werde hierdurch zu einer “gleichsam allmächtigen Menschenrechtsbehörde”21 angesichts der sachlichen Beschränkung auf reine Organisations- und Dokumentationspflichten übertrieben erscheint, handelt es sich insgesamt doch um ein neues Paradigma des Crossover von materiellen, privatrechtlichen Pflichten einer-ZHR 186 (2022) S. 779 (783)seits, deren Durchsetzung und Sanktionierung durch öffentlich-rechtliche Instrumente andererseits.

Dieser Mechanismus erfährt in zweifacher Hinsicht eine Veränderung, wenn der von der Kommission der EU am 23. 2. 2022 vorgelegte Vorschlag für eine Corporate Sustainability Due Diligence Directive (nachfolgend CSDDD)22 verabschiedet und sodann auch von der Bundesrepublik umzusetzen sein wird. Strukturell vergleichbar mit dem LkSG werden hierdurch ebenfalls verschiedene organisationsbezogene Pflichten als Teilelemente der in Art. 4 des Vorschlags zugrunde gelegten Sorgfaltspflichten in der Lieferkette konstituiert (Risikomanagement, Beschwerdeverfahren etc.). Im Unterschied zum LkSG sollen die Mitgliedstaaten aber sicherstellen, dass Unternehmen für Schäden haften müssen, wenn sie die geregelten organisationsbezogenen Pflichten zur Vermeidung potenzieller negativer Auswirkungen und zur Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen verletzt haben und als Folge dieses Versäumnisses negative Auswirkungen eingetreten sind (Art. 22 CSDDD). Insoweit sieht die Richtlinie also jedenfalls auch ein Private Enforcement vor. Zusätzlich aber ist nach Art. 17 CSDDD eine “nationale Aufsichtsbehörde” zu bestimmen, der die in den Art. 18 ff. CSDDD zugrunde gelegten Aufsichtsbefugnisse einzuräumen sind; es ist davon auszugehen, dass in Deutschland hiermit wiederum das BAFA betraut wird. Diese Befugnisse reichen von Auskunftsverlangen, Ermittlungs- und Kontrollmaßnahmen bis einschließlich Betretensrechten, und sie können/müssen in Verwaltungsakte zur Beendigung von Verstößen bzw. zur Abhilfe von festgestellten Verstößen münden. Über das LkSG hinausgehend ist jede verhängte Sanktion zu veröffentlichen (sog. naming and shaming; vgl. Art. 20 Abs. 4 CSDDD) und können Unternehmen nicht “nur” von öffentlichen Aufträgen, sondern auch von Subventionsmaßnahmen (vgl. Art. 24 CSDDD) ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der zu schaffenden Bußgeldbestimmungen beschränkt sich der Richtlinienvorschlag nicht auf die sonst übliche Formulierung, dass Sanktionen “effektiv, verhältnismäßig und abschreckend” sein müssen (so Art. 20 Abs. 1 S. 2 CSDDD). Vielmehr wird explizit vorgegeben, dass Bußgelder “umsatzbezogen” kalkuliert werden müssen.23

Die zweite Veränderung des Enforcement-Mechanismus (gegenüber dem LkSG) besteht darin, dass der Richtlinienvorschlag sich nicht darauf beschränkt, Sorgfaltspflichten in der sowieso bereits weit verstandenen “Lieferkette” auszugestalten. Vielmehr enthält er darüber hinaus unmittelbar organisationsbezogene Pflichten zur (teilweisen) Ausrichtung der Geschäftsorganisation zwecks Beachtung des öffentlichen Interesses der “Eindämmung des Klimawandels”, und konkret werden die Unternehmen zur Festlegung einesZHR 186 (2022) S. 779 (784) “Plans” verpflichtet, mit dem sie sicherstellen, “dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft . . . vereinbar” sind. In diesem Plan soll u.a. ermittelt (werden), “inwieweit der Klimawandel ein Risiko für die Unternehmenstätigkeit darstellt bzw. sich darauf auswirkt”, Art. 15 Abs. 2 CSDDD. Hierbei handelt es sich schon nicht mehr um eine zwingend innerhalb des gesellschaftsrechtlichen Rahmens umzusetzende Pflicht. Vielmehr könnte der deutsche Umsetzungsgesetzgeber auch erwägen, sie (ähnlich wie aus dem Regulierungsrecht bekannt) unmittelbar öffentlich-rechtlich vorzugeben. In beiden Fällen würden jedenfalls gemäß Art. 17 Abs. 1 CSDDD die verwaltungsverfahrensrechtlichen Pflichten gegenüber der zuständigen Behörde und deren beeindruckendes Befugnisarsenal (und damit das Public Enforcement) einsetzen.

In Art. 15 Abs. 2 CSDDD wird diese organisationsbezogene Pflicht zur Aufstellung eines Plans dahingehend präzisiert, dass dann, wenn der Klimawandel als ein “Hauptrisiko oder eine Hauptauswirkung der Unternehmenstätigkeit” ermittelt wurde, die Unternehmen “Emissionsreduktionsziele” in ihren Plan aufnehmen müssen. Durch die Kombination dieser beiden ersten Abs. des Art. 15 CSDDD werden die Unternehmen letztlich in das gleiche Pflichtenprogramm eingesetzt wie die meisten Staaten es in Umsetzung der internationalen Klimaabkommen für den öffentlichen Sektor normiert haben (die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise in §§ 3 ff., 9 Bundes-Klimaschutzgesetz). Auch zur Durchsetzung der Pflicht nach Art. 15 Abs. 2 CSDDD sieht Art. 17 Abs. CSDDD ein Public Enforcement vor.

III. Das hierdurch endgültig auf der Agenda des Unternehmensrechts gelandete “Public Enforcement” befindet sich seinerseits innerhalb eines größeren Kontexts öffentlich-rechtlicher Elemente des Unternehmensrechts. Wenngleich dessen Kernbestand das Gesellschaftsrecht, das Bürgerliche Recht, das Handelsrecht, das Bilanz-, das Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie das Arbeits- und das Insolvenzrecht und das Steuerrecht bilden, hat schon das im Hinblick auf Banken und Versicherungen seit jeher unter dem Begriff “Aufsichtsrecht” gebündelte Kapitalmarktrecht gezeigt, dass man es dort mit einem Verbund der Regelungsinstrumente zu tun hat.24 In diesem Portfolio befinden sich neben dem ja auf die Ebene der Durchsetzung und Sanktionierung beschränkten Mechanismus des Public Enforcement zahlreiche unmittelbar organisationsbezogene Pflichten: Im Umwelt- und Datenschutzrecht (namentlich mit der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Bestellung eines Umwelt- bzw. Datenschutzbeauftragten), in Gestalt der entflechtungsrechtlichen Vorgaben im Regulierungsrecht der Netzwirtschaften25 oder in Bezug auf Un-ZHR 186 (2022) S. 779 (785)ternehmen in Krisenszenarien (Treuhandverwaltung nach § 17a EnSiG,26 Unternehmen im Anwendungsbereich des Gesetzes zur Entwicklung eines Finanzmarkt- und eines Wirtschaftsstabilitätsfonds (WStFG)).27

In der Summe dieses Normenbestandes kann m.E. durchaus vom Verwaltungsrecht als einer zusätzlichen Schicht des Unternehmensrechts gesprochen werden, wenn man unter letzterem im Anschluss an Karsten Schmidt28 und Windbichler29 die Gesamtheit der Rechtsnormen, die für das Zusammenwirken von Arbeitnehmern, Kapitalgebern und Managern in der abgegrenzten Einheit Unternehmen sowie für die Außenbeziehungen dieser meist gesellschaftsrechtlich abgegrenzten Einheit zur Verfügung stehen, versteht.30

IV. Die in den Anwendungsbereich des LkSG und erst recht in den des CSDDD fallenden (bereits mittelgrößeren) Unternehmen müssen sich auf den Mechanismus des Public Enforcement frühzeitig einstellen. In jedem Fall gehen mit ihm erhebliche bürokratische Aufwendungen in Gestalt von Nachweis- und Dokumentationspflichten einher. Dabei ist davon auszugehen, dass über den sog. trickle-down-Effekt die entsprechenden Anforderungen auch an die (vielfach kleinen und mittleren) Zuliefererunternehmen weitergeleitet werden.31 Geht man davon aus, dass die durch das LkSG und durch die CSDDD erfolgte Begründung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten als solche mit höherrangigem Recht vereinbar ist, weil grundsätzlich legitime Zwecke verfolgt werden und die Sorgfaltspflichten aufgrund der Beschränkung des unmittelbaren Anwendungsbereichs auf große Unternehmen nicht unverhältnismäßig sind,32 rückt umso mehr die Ebene des Enforcement in den Mittelpunkt der verfassungs- und im Falle des CSDDD auch der europarechtlichen Würdigung.

Sowohl bei der Durchsetzung des LkSG als auch bei der noch ausstehenden Finalisierung des CSDDD sowie bei dessen Umsetzung in nationales Recht wird jedenfalls im Auge zu behalten sein, dass die unternehmerische Organisationsautonomie keinen substanziellen Schaden nimmt. Nach dem Grundverständnis der europäischen Wirtschaftsgrundrechte (insbes. Art. 15, 16 und 17 der EU GR-Charta) und der Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 GG (Eigentum) sind Staat und Privatunternehmen nicht in gleicher Weise und Intensität für die Verwirklichung des Gemeinwohls (und damit auch von Nachhaltigkeitszielen) verantwortlich. Im Gegenteil bilden letztere den primären Sitz für die gerade im Interesse von Klima- und Menschenrechtsschutz in Lieferketten so dringend benötigte Innovations- und Transformationskraft derZHR 186 (2022) S. 779 (786) Wirtschaft, die das BVerfG in seinem Klimabeschluss vom 24. 3. 2021 ausdrücklich bekräftigt hat.33 Bei der verwaltungsrechtlichen Durchsetzung und Sanktionierung der Sorgfaltspflichten dürfen diese nicht durch die Hintertür erweitert und intensiviert werden. Diese Forderung ist für jede rechtsstaatliche Verwaltung selbstverständlich, wenn sie sich im herkömmlichen Terrain der Durchsetzung und Sanktionierung öffentlich-rechtlicher Pflichtenprogramme bewegt. Mit dem Public Enforcement im hier beschriebenen Sinne werden aber auch die Verwaltungsbehörden vor neue Herausforderungen gestellt. Sie bestehen vor allem darin, dass das durchzuführende materiellrechtliche Pflichtenprogramm nicht in der gewohnten Weise verwaltungsrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen (d.h. nach dem Muster “wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht . . ., dann kann/muss die zuständige Behörde dieses oder jenes anordnen”) strukturiert ist, sondern an das primär gesellschaftsrechtlich verfasste Unternehmensrecht, also einen ganz anderen Kontext mit anderen normativen Strukturen, anknüpft.

Zwei ganz konkrete verfassungsrechtliche Herausforderungen betreffen das Verhältnis zu bereits bestehenden fachrechtlichen Vorgaben insbesondere im Umweltrecht (nebst dort bestehenden fachbehördlichen Enforcement-Zuständigkeiten) sowie die dereinst erforderliche Einsetzung (voraussichtlich) des BAFA als nationale Aufsichtsbehörde im Zuge der Umsetzung der CSDDD. Letzteres Problem ergibt sich aus Art. 17 Abs. 8 CSDDD, wonach die Kommission den Mitgliedstaaten vorgeben möchte, die “Unabhängigkeit der Überwachungsbehörden” zu gewährleisten. Bislang ist das BAFA gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 LkSG bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben der Rechts- und Fachaufsicht durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unterworfen, und bekanntlich bereitet die Einsetzung immer weiterer Behörden mit Unabhängigkeit (nicht nur gegenüber den Unternehmen im Markt, sondern auch) gegenüber politischen Stellen der Exekutive und der Legislative (wie zuletzt vom EuGH34 im Hinblick auf die Bundesnetzagentur bei der Regulierung der Energiemärkte gefordert) dem Legitimationsgebot aus Art. 20 Abs. 2 GG erhebliche Probleme.35

Akuter und für die Unternehmen unmittelbar relevanter ist die Gefahr, dass die Ermächtigungsgrundlage des § 15 S. 2 Nr. 3 LkSG, die Eingriffsbefugnisse auch im Hinblick auf den eigenen Geschäftsbereich der Unternehmen (d.h. nicht nur für Aktivitäten in der weltweiten Lieferkette, sondern unmittelbar am Unternehmenssitz) eröffnet, eine Art Parallelzuständigkeit zu den bereits bestehenden Eingriffsbefugnissen der regelmäßig auf Landesebene angesiedelten Umweltbehörden begründet. So könnte es durchaus geschehen, dass ein Unternehmen im Hinblick auf eine angeblich bodenschutzrechtlich relevanteZHR 186 (2022) S. 779 (787) Einwirkung auf die Trinkwassergewinnung sowohl über das LkSG als auch über die für das Wasser- und Bodenrecht zuständige Landesbehörde (möglicherweise mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen) in die Pflicht genommen wird.36 Einen gangbaren Weg dürfte hier die teleologische Reduktion des § 15 LkSG dahingehend bilden, die Enforcement-Befugnisse des BAFA gegenständlich auf Verstöße im Hinblick auf die globalen Lieferketten zu beschränken und sie im Übrigen hinter den Enforcement-Befugnissen der sachlich jeweils zuständigen nationalen (Umwelt-)Behörden zurücktreten zu lassen.37

“Public Enforcement” ist nach all dem ein voraussetzungsvolles und anspruchsvolles Konzept, dem in Wissenschaft und Praxis mehr Aufmerksamkeit als bislang zuteilwerden sollte. Denn es ist nicht auszuschließen, dass es in den kommenden Jahren (aus der Sicht der die jeweiligen politischen Ziele formulierenden Gesetzgeber auf EU- und auf nationaler Ebene) zu einem erhöhte Durchschlagskraft verheißenden Mechanismus für weitere Bereiche des nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensrechts und darüber hinaus avanciert.

Martin Burgi

1

Monographisch Mittwoch, Nachhaltigkeit und Unternehmensrecht, 2022; ferner Harbarth, FS Ebke, 2021, S. 307; Strohn, ZHR 185 (2021) 629; Schön, ZfPW 2022, 207.

2

Vgl. hier nur K. F. Röhl/H. C. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 585 ff.

3

Ausführlich und m.w. N. Voßkuhle/Eifert/Möllers/Burgi, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 3. Aufl. 2022, § 18 Rdn. 35 ff.

4

Vgl. hier nur Hellgardt, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008; Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012, S. 50 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 2012.

5

Grundlegend Wagner, AcP 206 (2006) 352.

6

Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S. 558 u.ö., sowie die Beiträge auf der Zivilrechtslehrertagung 2019 (v.a. Habersack, AcP 220 (2020) 594), über die Wagner/Dauner-Lieb, AcP 220 (2020) 453 ff., berichten.

7

Näher Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014. Karsten Schmidt, ZHR 186 (2022) 471, 472, hat jüngst von “öffentlich-rechtlicher Überformung” gesprochen und das seit jeher auch darauf gerichtete Erkenntnisinteresse der ZHR beschrieben.

8

Näher dazu Hellgardt, ZEuP 2022, 7 ff.

9

Vgl. etwa Forschner, Wechselwirkungen von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, 2013, und Thaten, Die Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht am Beispiel der Corporate Governance von Banken und Versicherungen, 2016; Wagner, FS Köndgen, 2016, S. 649.

10

Die Einzelheiten sind insoweit umstritten; auch der BGH EuZW 2020, 286, konnte bislang nicht endgültig Klarheit schaffen; zu den Einzelheiten Kahl/Ludwigs/Burgi, Hdb. des Verwaltungsrechts IV, 2022, § 104 Rdn. 49.

11

Näher hierzu Zimmer/Höft, ZGR 2009, 662, 688; Ackermann, ZHR 79 (2015) 539 ff.; Köhler, WRP 2020, 803, 805.

12

Näher Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 11. Aufl. 2021, § 5 Rdn. 676.

13

ABl. L 349/1.

14

Näher Dreher/Kulka (Fn. 12), § 4 Rdn. 506 f.; Schröder, Die Verwaltung 50 (2017) 309, 326 ff.

15

Kritisch Roth, JZ 2016, 1134 ff.; Jung, Die private Durchsetzung im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2017; weiterführend Ackermann, FS Köndgen, 2016, S. 1 ff. (aus der Perspektive der ökonomischen Analyse); Schröder, Die Verwaltung 50 (2017) 309, 321 ff.

16

Dazu jüngst Abetz, Die Sanktionierung gesellschaftsinterner Vorstandspflichten, 2021, S. 132 ff.

17

Befürwortend etwa Schneider, EuZW 2013, 682, 683; ablehnend u.a. Luther, FS Schneider, 2011, S. 763, 769; Spindler, AG 2013, 889, 900; skeptisch auch Bachmann, 70. DJT, 2014, Bd. I, E, S. 180 f.

18

Hierzu Ruttloff/Wagner/Hahn/Freihoff, CCZ 2022, 20 ff.

19

Zur Entstehungsgeschichte Wagner, ZIP 2021, 1095, 1098; Schmidt, CCZ 2022, 214, 215; zu völkerrechtlichen Hintergründen und darauf bezogenen Bindungsmechanismen Wiater, JZ 2022, 859.

20

Zu den Unterschieden im Einzelnen Burgi, Vergaberecht, 3. Aufl. 2021, § 16 Rdn. 29 f.

21

In dieser Richtung Ehmann, ZVertriebsR 2021, 141, 150.

22

COM (2022), 71 final.; aus neuerer Zeit hierzu Hübner/Habrich/Weller, NZG 2022, 645 ff.; Nietsch/Wiedmann, CCZ 2022, 12 ff.

23

Zu den einzelnen Befugnissen der behördlichen Durchsetzung Bettermann/Hoes, WM 2022, 697, 703 ff.

24

Ausführlich Dreher, ZGR 2010, 496; Weber-Rey, ZGR 2010, 543, und aus öffentlich-rechtlicher Sicht Augsberg, Die Verwaltung 49 (2016) 369.

25

Zum Ganzen monographisch Rast, Unternehmerische Organisationsfreiheit und staatlich auferlegte Gemeinwohlbindungen, 2022; klassisch Spindler, Unternehmensorganisationspflichten. Zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Regelungskonzepte, unveränderte Auflage 2011.

26

Kment, NJW 2022, 2880.

27

Dazu Noack, DB 2020, 1328.

28

Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 1 II 4b.

29

Windbichler, Gesellschaftsrecht, 24. Aufl. 2017, § 1 Rdn. 6 ff.

30

Ausführlich demnächst Burgi/Habersack, Handbuch Öffentliches Unternehmensrecht, 2023, i.E.

31

Ausführlich hierzu Burgi, WiVerw 2021, 97.

32

Ebenso Altenschmidt/Helling/dies., LkSG, 2022, Einl. Rdn. 3.

33

BVerfG NVwZ 2021, 1723, 1747, Rdn. 243; vertiefend Burgi, NVwZ 2021, 1401.

34

EuGH EuZW 2021, 893.

35

BVerfGE 107, 59, 86 ff. Vgl. nur Masing/Marcou, Unabhängige Regulierungsbehörden, 2010.

36

Hierauf haben bereits Nietsch/Wiedmann, NJW 2022, 1, 4, aufmerksam gemacht.

37

So überzeugend Altenschmidt/Helling/dies. (Fn. 32), § 15 Rdn. 16 ff.

 
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