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ZHR 183 (2019), 2-6
Schmidt 

Insolvenzverschleppungsrisiken: kein Fall für die D&O-Versicherung?

– Eine Nachlese zum Editorial in ZHR 175 (2011), 433

Sind Kampfhunde zähmbar? Das nicht schmeichelhaft gemeinte Attribut eines haftungsrechtlichen Kampfhunds wurde dem § 64 S. 1 GmbHG und seinen Schwestervorschriften – den §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 130a HGB – vor geraumer Zeit zugeschrieben.1 Nach den Bestimmungen müssen Vorstände und Geschäftsführer Zahlungen erstatten, die sie im Zustand der Zahlungsunfähigkeit2 oder Überschuldung aus dem Gesellschaftsvermögen geleistet haben. Kern der hier aufgegriffenen Gesetzesschelte war: Wer das Liquiditätsmanagement von Handelsgesellschaften in etwa zu durchschauen glaubt, wird in diesen Bestimmungen eine zur Organhaftung führende Zustandsverantwortlichkeit der Leitungsorgane einer materiell insolventen Handelsgesellschaft für Liquiditätsabflüsse aus überschuldetem Gesellschaftsvermögen erkennen.3 Mit dem Gerechtigkeitsanliegen einer Organhaftung, so die Kritik, hat eine solche von einem Schadenseintritt unabhängige Haftung nur wenig zu tun.4 Als Bestandteil der Insolvenzverschleppungshaftung sollte sie in das Schadensersatzrecht für Insolvenzverschleppungsfälle (re-)integriert5 oder – noch besser! – de lege ferenda als Sondertatbestand eliminiert werden!

Neuerdings sorgt nun die Haftung für verbotene Zahlungen im Zustand der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung für noch ganz andere Aufregung: Mehrere Oberlandesgerichte haben entschieden, dass diese Haftung, weil eben keineswegs mit dem Schadensersatz artgleich, durchZHR 183 (2019) S. 2 (3) eine D&O-Versicherung nicht gedeckt sei.6 Dass dies Besorgnisse auslöst7, auch auf Widerspruch stößt8, überrascht nicht. Umso mehr sei deshalb an das in ZHR 175 (2011), 433 veröffentlichte Editorial erinnert und mit ihm an die Forderung: “Weg mit den ,Zahlungsverboten’ in Insolvenzverschleppungsfällen!”9

Nur vorsorglich sei zur Abwehr kurzschlüssiger Einwände klargestellt, dass es naturgemäß nicht darum gehen kann, die nach dem Gesetz “verbotenen” Zahlungen aus überschuldetem Gesellschaftsvermögen kurzerhand zu “erlaubten” zu machen. Wer sich eines Verbotsverstoßes – z.B. gegen das Verbot der Insolvenzverschleppung – schuldig macht, kann nicht erlaubterweise den hierdurch verursachten Schaden vergrößern. Tut er dies dennoch und mehrt er den Schadensumfang, muss er dafür geradestehen. Bei dieser Regel über die haftungsausfüllende Kausalität soll es bleiben, und die so angelegte Haftung gilt es zu optimieren. Aber die “Zahlungsverbote” wollen mehr, wollen jedenfalls etwas anderes, weshalb ja der BGH so folgenreich von “Haftungsregeln eigener Art” spricht, die mit Schadensersatz nichts zu tun haben.10 Hier liegt der Schlüssel zu allen Merkwürdigkeiten der Haftungsrechtsprechung: zu ihrer drakonischen Härte ebenso wie zu ihren verstörenden Inkonsistenzen – alles wahrhaftig höchst “eigenartig”!

Die Dominanz der “Zahlungsverbote” in der Zivilgerichtspraxis bei Insolvenzverschleppungsfällen ist eng mit einer Marginalisierung der Schadensersatzhaftung für Insolvenzverschleppungsschäden verbunden. Im Grundsatz ist anerkannt, dass die in § 15a InsO geregelte Insolvenzantragspflicht zum Schutz der benachteiligten Gläubiger durch Schadensersatzansprüche sanktioniert ist.11 Kaum abzustreiten ist allerdings, dass diese Haftung für individuelle Gläubigerklagen theoretisch bleiben muss, weil kein Einzelgläubiger im Insolvenzfall einen riskanten und aufwendigen Prozess führen wird, um seine kümmerliche Ist-Insolvenzquote zu einer hypothetisch geschätzten Soll-Quote aufgestockt zu sehen, wie sie ohne schuldhafte Verschleppung zu-ZHR 183 (2019) S. 2 (4)stande gekommen wäre.12 Die aus genau diesem Grund im Interesse aller Insolvenzgläubiger vorgesehene Insolvenzverwalterklage auf Gesamtschadensersatz (§ 92 InsO)13 ist aber ihrerseits totes Recht, seit das Urteil BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 diese Gesamtschadensliquidation auf die schon bei Eintritt der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorhandenen sog. Altgläubiger beschränkt hat. Dass eine solche Prozessführung für den Insolvenzverwalter auf eine lebensfremde Zumutung hinausliefe – der Verwalter wird weder willens noch auch nur imstande sein, diese Gläubigergruppe zu identifizieren – wurde schon mehrfach dargelegt.14 Unvergleichlich einfacher ist es dann doch, alle Liquiditätsabflüsse zu addieren und, gestützt auf die “Zahlungsverbote”, zum Vorteil aller Gläubiger einzuklagen.15 Deshalb ist es kein Zufall, dass die Karriere der gesetzlichen Zahlungsverbote nach hundertjährigem Dornröschenschlaf16 etwa vor 20 Jahren einsetzte. Seither liegt die Realität der Verschleppungshaftung ganz bei den Zahlungsverboten, womit die Schadensersatzhaftung wegen Insolvenzverschleppung zum akademischen Seminarthema abgestiegen ist. Dabei darf es nicht bleiben.

Mit Blick auf den aktuellen Anlass – die Frage nach der Haftpflichtversicherung – mag es naheliegen, das Problem als ein rein versicherungsrechtliches zu lösen und sich mit dessen befriedigender Lösung zu begnügen.17 So könnte – was immer die “wahre” Natur dieser Ansprüche sei – aus dem Wortlaut des § 130a Abs. 2 HGB gefolgert werden, dass auch das Gesellschaftsrecht eine Nähe der “Zahlungsverbote” zur Schadensersatzpflicht nahelegt, was freilich den BGH nicht davon abgehalten hat, die Sonderdogmatik der “Zahlungsverbote” auf den genuinen Anwendungsbereich des § 130a HGB zu erstrecken.18 Auch im Übrigen fällt es schwer, den Streit um die D&O-Versicherung aus der Grundlagenungewissheit um die Verschleppungshaftung so ganz herauszuhalten.

Rechtspraktisch wie auch dogmatisch und rechtspolitisch liegt der Kardinalfehler der “Zahlungsverbote” darin, dass sie nicht auf das Dauerdelikt der Insolvenzverschleppung und nicht auf sich periodisch entwickelnde Ver-ZHR 183 (2019) S. 2 (5)schleppungsschäden, sondern auf einzelne Zahlungen blicken.19 Dieser Blick passt zu den gegen Leistungsempfänger gerichteten Anfechtungsregeln, nicht jedoch zur Haftung von Vorständen und Geschäftsführern für kollektive Gläubigerschädigung. In den vergangenen Jahren ist – auch in dieser Zeitschrift20 – viel über den Abbau haftungsrechtlicher Auswüchse nachgedacht worden.21 Dieser Spur folgend, hat der II. Zivilsenat Zahlungsvorgänge von den Zahlungsverboten freigestellt, die sich als schlichtes Hin- und Herzahlen darstellen.22 Auch begründen Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen dann keine Ansprüche gegen den verantwortlichen Vorstand oder Geschäftsführer mehr, wenn sie bereits durch eine erfolgreiche Anfechtung gegenüber dem Empfänger neutralisiert sind.23 Doch gut gemeintes Kurieren am Symptom beseitigt den geschilderten Kardinalfehler der “Zahlungsverbote” eben nicht. Nicht einmal eine verlässliche Therapie steht zu Gebote. Vor Jahr und Tag hat der II. Zivilsenat des BGH entschieden, dass die insolvenzrechtliche Privilegierung der sog. Bargeschäfte auf die Organhaftung wegen verbotener Zahlungen nicht analog anwendbar ist,24 weil die Zahlungsverbote nur vor einer Gläubigerbenachteiligung durch Verminderung der Aktivmasse schützten.25 § 142 InsO schütze mit der Bevorzugung der sog. Bargeschäfte einzelne vorleistende Gläubiger, während das Zahlungsverbot die Gläubiger der insolventen Gesellschaft schütze.26 So recht zu verstehen ist diese Dichotomie nicht, denn wer wollte leugnen, dass auch das Anfechtungsrecht die Gläubiger schützt, wenn auch zum Nachteil des Anfechtungsgegners. Ihn schützt nur § 142 InsO, und zwar gegen (!) das Anfechtungsrecht, weshalb die sinngemäße Übertragung auf die Haftung für “verbotene Zahlungen” so fern gar nicht läge.

Doch hat sich, was die Geschäftsleiterhaftung für “verbotene Zahlungen” anlangt, das Gesamtbild seit dem Editorial in ZHR 175 (2011), 433 um Nichts verbessert. Die D&O-Diskussion hat, ganz im Gegenteil, nur noch eins draufgesetzt. Deshalb sei die Forderung hier wiederholt: “Weg mit denZHR 183 (2019) S. 2 (6) ,Zahlungsverboten’” und her mit haftungsrechtlichen Instrumenten für einen effektiven Ausgleich des in der Insolvenzverschleppungsphase herbeigeführten Gesamtgläubigerschadens, wie sie, bisher sträflich vernachlässigt, mit § 130a Abs. 2 HGB und mit § 92 InsO längst bereitliegen!

Karsten Schmidt

1

Karsten Schmidt, NZG 2015, 129: “Ist der haftungsrechtliche Kampfhund zähmbar?”

2

Die vermeintliche Absurdität dieses Tatbestands (Zahlung bei Zahlungsunfähigkeit) ist eine nur scheinbare, allemal auf der Basis des Zahlungsunfähigkeitskonzepts von BGHZ 163, 134 = NJW 2005, 3062.

3

Ähnlich Altmeppen, ZIP 2015, 949, 953 f., 956; NZG 2016, 521, 523 f.; ZIP 2016, 366 f.

4

Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2180 (und öfter).

5

So mit unterschiedlichen Lösungskonzepten Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 64 Rdn. 42 ff.; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 12. Aufl. 2015, § 64 Rdn. 15 ff.; Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rdn. 11.28 ff.

6

OLG Celle, BeckRs 2016, 125428; OLG Düsseldorf, NZG 2018, 1310 = ZIP 2018, 1542 = BB 2018, 2321 mit BB-Komm. Laschet; s. auch Jaschinsky/Wentz, GmbHR 2018, 1289 ff.

7

Umfassende Nachweise bei Bauer/Malitz, ZIP 2018, 2149.

8

Vgl. Armbrüster/Schildbach, ZIP 2018, 1853, 1857 f.; Bauer/Malitz, ZIP 2018, 2149 ff.; Brinkmann, FS Bergmann, 2018, S. 93 ff.; Geissler, GWR 2018, 285 f.; Markgraf/Henrich, NZG 2018, 1290, 1295; Mielke/Urlaub, BB 2018, 2634.

9

Dagegen freilich Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387, , 395.

10

BGHZ 146, 264, 278 = ZIP 2001, 235, 239, st. Rspr.; s. auch Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 448 f.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 64 Rdn. 5; Gehrlein/Born/Simon/Sandhaus, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 64 Rdn. 4

11

Umfangreiche Nachweise bei Wagner, in: MünchKommBGB, 7. Aufl. 2017, § 823 Rdn. 139.

12

Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rdn. 11.17.

13

Vgl. Begr. RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 139.

14

Vgl. z.B. Karsten Schmidt, ZHR 175 (2011), 433, , 434 (und öfter).

15

Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 2005, 2177, 2178 (und öfter).

16

Gerechnet seit der ADHGB-Novelle von 1884 (Art. 241 Abs. 3 ADHGB) oder seit dem GmbH-Gesetz von 1892 (§ 64 Abs. 2 a.F.).

17

Dazu etwa Armbrüster/Schildbach, ZIP 2018, 1853, 1858 f.; Bauer/Malitz, ZIP 2018, 2149, 2149 f.; s. auch Brinkmann, in: FS Bergmann, 2018, S. 93, 101 ff.

18

BGH, GmbHR 2007, 936 = ZIP 2007, 1501; BGH, GmbHR 2007, 596 = NZG 2007, 462 = ZIP 2007, 1006.

19

Vgl. Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2015, Rdn. 11.40; Karsten Schmidt, ZHR 174 (2011), 433, , 440 (und öfter); zust. Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 64 Rdn. 42.

20

Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 ff.

21

Angaben bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 9. Aufl. 2019, § 64 Rdn. 16 ff.

22

BGH v. 18. 11. 2014 – II ZR 231/13, GmbHR 2015, 137 = NZG 2015, 149; dazu z.B. Altmeppen, ZIP 2015, 949; Hans-Fr. Müller, DB 2015, 723; Karsten Schmidt, NZG 2015, 129.

23

BGHZ 206, 52, 61 = ZIP 2015, 1480, 1483, Rdn. 30; auf die bloße Möglichkeit, den Schaden durch Anfechtung zu beheben, kann der für Zahlungen in Anspruch Genommene nach BGHZ 131, 325 = GmbHR 1996, 221 nicht verweisen.

24

BGH, BB 2017, 2130 = GmbHR 2017, 969 = ZIP 2017, 1619.

25

Ebd. Rdn. 13.

26

Ebd. Rdn. 14.

 
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