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ZHR 170 (2006), 213-217
Kübler 

Gesellschaftsrecht – Das Land des Lächelns zeigt die Zähne

I. Die Entwicklung des japanischen Gesellschaftsrechts verdient aus mehreren Gründen unser Interesse. Seine ursprüngliche Regelung im Handelsgesetz von 1899 war stark von den Entwürfen zum deutschen HGB geprägt1. Nach 1945 dominierten amerikanische Einflüsse vor allem im Kapitalmarkt- und im Antitrustrecht2; sie hatten aber nicht zur Folge, dass sich die Organisation der japanischen Wirtschaft dem von der Publikumsgesellschaft dominierten amerikanischen Modell angeglichen hätte. Vielmehr überwiegen die Parallelen zur deutschen Nachkriegsentwicklung. Die Struktur der keiretsu beruhte auf einem Verflechtungsmuster3, das sich dem der Deutschland-AG vielfältig vergleichen lässt. Es entsprach übereinstimmenden Schwierigkeiten: Nach der Niederlage mussten zerstörte Industrien wieder aufgebaut und die Kriegsproduktion auf die Herstellung friedlicher Güter umgestellt werden. Angesichts der generellen Verarmung stand dafür ein Primärmarkt für Eigenkapital nicht mehr zur Verfügung. Deshalb dominierten in beiden Ländern andere Formen der Unternehmensfinanzierung: Bankdarlehen, die Nichtausschüttung von Gewinnen, und schließlich die Einbehaltung von Lohnbestandteilen, die erst sehr viel später als Betriebspensionen, Ruhestandsabfindungen oder altersmäßig gestaffelte Erhöhungen der Bezüge ausgezahlt wurden4. Die Verflechtung schützte zugleich gegen die drohende Übernahme durch ausländisches Kapital. Diese Bedingungen prägten das Gesellschaftsrecht beider Länder in vielfältiger Weise5.

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Damit sind die Gemeinsamkeiten nicht erschöpft: die strukturelle Nähe spiegelt sich in der wirtschaftlichen Entwicklung. In den 50’er und 60’er Jahren bescherte die „reconstruction economy“ den (Wieder-)Aufstieg in die Spitzenklasse der Industrieländer; die Schatten der 70’er Jahre ließen sich noch mit den Ölschocks erklären; aber ein Jahrzehnt später war die Befürchtung nicht mehr von der Hand zu weisen, dass die um sich greifende Stagnation und der beginnende Abstieg nicht nur durch externe Ursachen, sondern auch und überwiegend durch überlieferte Strukturen bewirkt wurde6. Damit gewann die Einsicht an Boden, dass das vielseitig verkrustete Gesellschaftsrecht der Wiederaufbauphase den Anforderungen der globalisierten Kapitalmärkte immer weniger gewachsen war. Auch wenn sich einzelne Firmen im grenzüberschreitenden Wettbewerb glänzend behaupten konnten, ließ sich nicht mehr ausschließen, dass Rezession und Arbeitslosigkeit auch die wachsenden Finanzierungsprobleme vor allem mittlerer und kleiner Firmen spiegelte. Deshalb lassen sich in beiden Ländern zunehmende Bestrebungen der Reform des Gesellschaftsrechts beobachten, auf die hier nicht detailliert eingegangen werden kann.

II. Zu berichten ist aber, dass es in Japan im letzten Jahr zu einer weitreichenden und durchgreifenden Reform des Gesellschaftsrechts gekommen ist7. An die Stelle der bisherigen Regelungen, die teils noch im Handelsgesetz von 1899 und im Übrigen in Sondergesetzen enthalten waren, ist mit dem „Gesetz über die Handelsgesellschaften“ oder Gesellschaftsgesetz (GesG)8 eine umfassende Kodifikation dieses Rechtsgebiets getreten. Auch sie kann hier nicht in Einzelheiten vorgestellt werden; es soll und muss genügen, auf einige der aus deutscher Sicht besonders wichtigen Änderungen hinzuweisen:

1. Einen Schwerpunkt der Reform bildet die Verfassung der Aktiengesellschaft. Hier zielt die Neuregelung auf Flexibilisierung durch Erweiterung der Organisationsautonomie: Den Aktionären wird größere Freiheit eingeräumt, die Binnenstruktur der Gesellschaft in der Satzung ihren Bedürfnissen entsprechend auszugestalten9. Traditionell waren drei Organe vorgeschrieben: die Hauptversammlung, der Verwaltungsrat (board) und ein Prüferrat, der nicht nur die Rechnungslegung, sondern auch die Geschäftsführung durch den Verwaltungsrat und die von ihm berufenen Geschäftsführer zu beaufsich¬ZHR 170 (2006) S. 213 (215)tigen hatte. Schon 2002 wurde den Gesellschaften erlaubt, diesen Prüferrat nach amerikanischem Muster durch drei Ausschüsse des Verwaltungsrats zu ersetzen10: Neben die herkömmliche „Gesellschaft mit Prüferstruktur“ tritt die Alternative der „Gesellschaft mit Ausschussstruktur“11. Die Kodifikation aus dem letzten Jahr unterscheidet nunmehr zwischen großen und kleinen sowie zwischen Publikums- und geschlossenen Gesellschaften12, und sie führt zugleich das neue Organ eines Abschlussprüfers (accounting consultant) ein, dem die Überwachung der Rechnungslegung obliegt. Für die große Publikumsgesellschaft bleibt es dabei, dass sie zwischen Prüferrat und Ausschussstruktur wählen kann; entscheidet sie sich für Letzteres, dann muss die Mehrheit des Verwaltungsrats aus independent directors bestehen, die – entgegen der japanischen Tradition – keine Angestellten der Gesellschaft sein dürfen; und die Berufung eines Abschlussprüfers ist vorgeschrieben. Für die übrigen Realtypen wird der Gestaltungsspielraum schrittweise erweitert. Er ist am größten für die kleine geschlossene Gesellschaft13. Sie kann eine einzelne Person mit der Funktion des Verwaltungsrats (und zugleich der Außenvertretung) betrauen. Behält sie einen Verwaltungsrat, der aus mehreren Personen besteht, und verfügt sie über keinen Prüferrat, dann muss sie zusätzlich einen Abschlussprüfer (accounting consultant) bestellen. Allein die Option der „Gesellschaft mit Ausschussstruktur“ bleibt ihr verschlossen; dafür ist freilich auch kein Bedarf ersichtlich. Bezieht man die Bestimmungen für die große geschlossene und die kleine Publikumsgesellschaft ein, dann bietet sich ein – zumindest auf den ersten Blick – wenig übersichtliches Bild. Das ändert indessen nichts an dem Befund, dass die Gestaltungsräume ganz wesentlich erweitert worden sind.

2. Für die Aktiengesellschaft wurde das gesetzliche Mindestgrundkapital abgeschafft; nunmehr ist es erlaubt, eine AG mit einem Grundkapital von lediglich einem Yen zu gründen. Die Schwellen waren zuletzt 1990 auf 10 Mio. Yen für die AG und 3 Mio. Yen für die GmbH festgelegt worden. Zudem mussten Einlagen in dieser Höhe nicht sofort, sondern im Laufe einer Übergangszeit von fünf Jahren eingebracht werden. Japan lässt sich nunmehr von der auf die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte gestützten Einsicht leiten, dass ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestkapital den Gläubigern keinen wirksamen Schutz gewährt, dass es nichts über die tatsächliche finanzielle Lage der Gesellschaft aussagt und keine Gewähr für ausreichende Liquidität ZHR 170 (2006) S. 213 (216)bietet14. Auch die Bestimmungen über die Sicherung der Kapitalaufbringung und -erhaltung sind gelockert. Für die Gewinnausschüttung genügt nunmehr ein Beschluss des Verwaltungsrats, wenn die Satzung dieses vorsieht. Ausschüttungen sind aber generell unzulässig, wenn das Nettovermögen den Betrag von 3 Mio. Yen unterschreitet15. Man kann das als funktionales Äquivalent eines gesetzlichen Mindestkapitals verstehen, sollte aber nicht übersehen, dass die Gründung der Gesellschaft wesentlich erleichtert worden ist.

3. Mit dem Wirksamwerden des Gesellschaftsgesetzes ist das japanische GmbH-Gesetz außer Kraft getreten. Deshalb ist es nicht mehr möglich, eine GmbH zu gründen. Die bestehenden Gesellschaften16 werden künftig als (kleine und geschlossene) Aktiengesellschaften behandelt. Das erscheint angesichts der erwähnten Entrümpelung des Aktienrechts unproblematisch: Die der Satzungsautonomie eröffneten Gestaltungsräume lassen jede erdenkliche Ausprägung der (bisherigen) GmbH zu. Das Ergebnis entspricht dem amerikanischen Modell: Es gibt eine Grundform der Kapitalgesellschaft, deren flexibler Rahmen einem von der kleinen Einmanngesellschaft bis zur großen PublikumsAG reichenden Spektrum der Organisationsbedürfnisse angemessene Strukturregelungen ermöglicht. Die nach dem Zweck der Abschaffung der GmbH befragten japanischen Kollegen17 betonten vor allem die Elimination nicht länger plausibler Diskrepanzen von GmbH- und Aktienrecht und mehr noch den Wegfall zeitraubender und kostspieliger Umwandlungen von der GmbH zur AG oder von dieser zur GmbH.

4. Durch das Gesellschaftsgesetz neu eingeführt wurde die Limited Liability Company (LLC), die sich an der gleichnamigen Rechtsform des amerikanischen Rechts orientiert, anders als diese aber der Körperschaftsbesteuerung unterliegt. Sie wird nicht als Ersatz für die GmbH verstanden18, von der sie sich in mehrfacher Hinsicht unterscheidet. Die Haftung aller Gesellschafter ist auf den Betrag der jeweils übernommenen Einlage beschränkt. Künftige Dienste der Gesellschafter sind weiterhin nicht einlagefähig. Stimmrechte und Gewinnansprüche sind aber nicht mehr zwingend an die Höhe der Beteiligung geknüpft; in der Satzung können abweichende Regelungen getroffen werden19. Das erleichtert die Gründung von start up-Gesellschaften: Den mittellosen Erfindern kann über eine symbolische Beteiligung von einem Yen eine Rechtstellung eingeräumt werden, die der der Kapitalgeber weit gehend entspricht.

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5. Dem Zweck, die Entstehung derartiger Unternehmen zu fördern, dient vor allem die Limited Liability Partnership (LLP), die als Abwandlung der unserer GbR entsprechenden Gesellschaft des Zivilgesetzes durch ein Sondergesetz geschaffen wurde. Sie ist keine juristische Person und deshalb nicht körperschaftsteuerpflichtig. Bei ihr sind künftige Dienst- und Arbeitsleistungen einzelner Gesellschafter einlagefähig, deshalb kann den vermögenslosen Informatikern oder Ingenieuren eine Stellung eingeräumt werden, die sich mit der der Kapitalgeber deckt. Auch diese Neuerung orientiert sich an amerikanischen Vorbildern und Erfahrungen; Japan hofft auf neue Initiativen in den Bereichen vor allem der Informations- und der Biotechnologie20.

III. Soweit ein kursorischer Überblick; er lässt viele Fragen offen, die von Berufeneren zu beantworten sind. Wichtig ist zunächst die Einsicht, dass Japan einen gewaltigen Schritt auf dem Wege der Modernisierung seines Gesellschaftsrechts vollzogen hat. Dass es sich dabei zunehmend an den USA orientiert, und dass es seine kontinentaleuropäischen Transplantate, einschließlich der GmbH, abgestoßen hat, mag man bedauern. Man sollte bei dieser Empfindung aber nicht lange verharren, sondern sich der Frage nach den Gründen der Reform stellen. Japan hat zwei wirtschaftlich schwierige Jahrzehnte hinter sich, die die Auflösung der keiretsu beschleunigt haben. In seiner Nachbarschaft verschärft sich der Wettbewerb; die chinesische Herausforderung bedarf keiner Erläuterung. In dieser Lage ändern sich die Zielperspektiven der Rechtspolitik: Die wenig reflektierte Bindung an dogmatische Traditionsmuster weicht der nüchternen Erwägung, dass sich das Gesellschaftsrecht im Wettbewerb auf globalisierten Faktor- und Produktmärkten zu bewähren hat. Japan ist nach wie vor einer der härtesten Konkurrenten Deutschlands; dafür ist nur an den Fahrzeug- und den Maschinenbau zu erinnern. Das kann nicht bedeuten, dass wir die japanische Reform kopieren sollten. Die Essenz der durch sie vermittelten Botschaft lautet, dass die Gründung, die Leitung und die Finanzierung vor allem kleinerer Unternehmen wesentlich erleichtert wird; so wächst ihre Fähigkeit, rasch auf neue Herausforderungen zu reagieren. Damit kontrastiert ein deutsches Kapitalgesellschaftsrecht, das an völlig überregulierten, zeitaufwändigen und kostenträchtigen Regimes der Corporate Governance und der Unternehmensfinanzierung festhält. Japan stellt uns die Frage, wie lange wir uns das noch leisten können.

Friedrich Kübler

1

Dazu Murakami, Einführung in die Grundlagen des japanischen Rechts, 1974, S. 49ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 289ff.

2

Zweigert/Kötz (Fn. 1), S. 292ff.; Tanaka, The Japanese Legal System, 1976, S. 249ff.

3

Dazu Aoki, Information, Incentives and Bargaining in the Japanese Economy, 1988, S. 116ff.; Gerlach, Alliance Capitalism. The Social Organisation of Japanese Business, 1992, S. 3ff.; Gilson/Roe, 102 Yale L. J. 871, 879 (1993); Colin Mayer, 154 JITE 144, 154ff. (1988).

4

Für sie wurden Rückstellungen gebildet, die die erwirtschaftete Liquidität sowohl dem Steuerfiskus wie den Ansprüchen der (Alt-)Aktionäre entzogen und damit langfristiges Fremdkapital schufen, über das das Management weit gehend unkontrolliert verfügen konnte. Die Aktionäre wurden durch – in Deutschland steuerfreie – Kurssteigerungen entschädigt; die Verfügung wurde durch die Ausgabe werthaltiger Bezugsrechte erleichtert.

5

Dazu näher Kübler, 2 EBOR 669, 678ff. (2001) m.w.N.

6

Japan wurde zunächst härter getroffen: Die „bubble economy“ implodierte in einem Zeitraum, in dem die Schuldenfinanzierung der Wiedervereinigung die deutsche Konjunktur noch einmal kurzfristig zum Flackern brachte. Mittlerweile überwiegen die Ähnlichkeiten.

7

Dazu und zum Folgenden Takahashi/Shimizu, ZJapanR 2005, 35ff.; Dernauer, ZJapanR 2005, 123ff. Den Hinweis auf diese sehr lesenswerten Abhandlungen verdanke ich Herrn Kollegen Baum vom MPI für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg.

8

Gesetz Nr. 86, 2005, verabschiedet am 29. 6. 2005, verkündet im Amtsblatt vom 26. 7. 2005, in Kraft getreten im April 2006; dazu Takahashi/Shimizu (Fn. 7), 36.

9

Dazu näher Dernauer (Fn. 7), 141f.

10

Dabei handelt es sich um einen Nominierungsausschuss, einen Prüfungsausschuss und einen Vergütungsausschuss.

11

Oder „one-tier Company with Committee system“; dazu Takahashi/Shimizu (Fn. 7), 39; Dernauer (Fn. 7), 144.

12

Letzteres entspricht der amerikanischen Unterscheidung von „public“ und „close“ corporation“.

13

Dazu Dernauer (Fn. 7), 146.

14

Dernauer (Fn. 7), 150.

15

Dazu Dernauer (Fn. 7), 152. Der Betrag entspricht ungefähr 18000 Euro.

16

Ihre Zahl wird von Dernauer (Fn. 7), 127 für 2001 mit 1423 Mio. (gegenüber 1048 Mio. AG’en) angegeben.

17

Die ich im März 2006 auf einer von der Waseda-Universität veranstalteten Tagung zur Gesellschaftsrechtsvergleichung getroffen habe und denen ich für vielfältige Informationen Dank schulde.

18

Dernauer (Fn. 7), 128.

19

Dernauer (Fn. 7), 135.

20

Dernauer (Fn. 7), 137.

 
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