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ZHR 188 (2024), 177-185
Mayen 

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, ein Instrument der Wirtschaftsaufsicht

Was war das für eine schwere Geburt! – Der Vorschlag einer Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)1 stand erst ante portas, dann vor dem Abgrund und nun doch im europäischen Gesetzblatt. Und in der Tat: Man hat es sich nicht leicht gemacht. Die Trilogverhandlungen waren am 14. 12. 2023 abgeschlossen worden. Der Richtlinienvorschlag vom 23. 2. 2022 musste lediglich noch an das Verhandlungsergebnis angepasst werden. Alle schienen sich einig. Da entdeckt plötzlich eine kleine Gruppe unbeugsamer Parlamentarier die Lieferkette als Thema der Rechtspolitik und organisiert den Widerstand. Und für eine kurze Zeit hatten sie das Momentum für sich. Aber dann verpuffte der Widerstand so schnell, wie er sich formiert hatte. Am 15. 3. 2024 hat der Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) im Rat einem Kompromiss zugestimmt, der im Wesentlichen den Anwendungsbereich entschärft. Er umfasst nun Unternehmen mit 1000 Beschäftigten (statt 500) und einem Umsatz von mindestens 450 Mio. Euro (statt 150 Mio. Euro). Das Konzept der schrittweisen Einbeziehung von Unternehmen, die die Kriterien für den Anwendungsbereich nicht erfüllen, aber in den Risikobranchen tätig sind, wurde aufgegeben. Die im Richtlinien-Vorschlag neu vorgesehene Haftung ist nicht verändert worden. Nachdem auch der Rechtsausschuss (JURI) am 19. 3. 2024 zugestimmt hat, steht noch die Entscheidung des Europäischen Parlaments aus, die für den 24. 4. 2024 erwartet wird. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen nur den Anwendungsbereich der Richtlinie.

Damit müsste das bestehende deutsche LkSG2 nur um einige wenige Regelungen ergänzt werden. Indessen ist das bestehende Gesetz alles andere als ein gelungener Wurf. Insbesondere die zahlreichen öffentlich-rechtlichen, namentlich auch verfassungsrechtlichen Fragen wurden bisher überwiegend vernachlässigt3 – verwunderlich genug angesichts des öffentlich-rechtlichen Cha-ZHR 188 (2024) S. 177 (178)rakters der Vorschriften. Ein Grund mehr, den Zeitpunkt zu nutzen und die Diskussion über das LkSG als Instrument der staatlichen Wirtschaftsaufsicht anzustoßen. Denn die damit verbundenen Fragen sind nicht nur zahlreich, sondern auch ergebnisrelevant.4

I. Das LkSG ist öffentliches Recht

Zunächst: Das LkSG ist öffentliches Recht. Zum einen ist es Risikoverwaltungsrecht. Seine Regelungen haben das Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen, sie zu minimieren oder zu beenden (§ 3 Abs. 1 S. 1 HS. 2 LkSG). § 2 Abs. 2 LkSG definiert das “menschenrechtliche Risiko” anhand der klassischen Elemente des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs: Es handelt sich um einen “Zustand, bei dem aufgrund tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen eines der folgenden [scil. im Gesetz sodann aufgelisteten gesetzlichen] Verbote droht”. 5

Das LkSG ist – zum anderen – Wirtschaftsaufsichtsrecht. Es erlegt den Unternehmen in den §§ 3 bis 10 LkSG unmittelbar geltende Pflichten auf, deren Einhaltung von der zuständigen Aufsichtsbehörde überwacht wird. Die überwachten Pflichten werden zwar “Sorgfaltspflichten” genannt. Tatsächlich sind es aber Handlungspflichten zur Vermeidung oder Beseitigung künftiger bzw. schon eingetretener Menschenrechtsverletzungen: § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG. Sie reichen von der Einrichtung eines Risikomanagements und der Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen über die Abgabe einer Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie des Unternehmens sowie die Verankerung von Präventionsmaßnahmen bzw. Abhilfemaßnahmen bis hin zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, regelmäßigen Dokumentationen und Berichterstattungen gegenüber der Aufsichtsbehörde.6

Ein gesetzlich geregeltes Angemessenheitsprinzip schließlich begrenzt den Umfang der Handlungspflichten, die den Unternehmen auferlegt sind. § 3 Abs. 2 LkSG listet dabei im Stile von Abwägungsbelangen Kriterien auf, die das BVerfG für die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Gefahrenabwehr zugrunde legt.

II. Unmittelbare Drittwirkung der Menschenrechte?

§ 3 Abs. 1 S. 1 LkSG begründet formal betrachtet Sorgfaltspflichten für die Unternehmen. Ausweislich der Gesetzesbegründung lassen sich diese Sorgfaltspflichten zusammenfassen als Pflicht zur Achtung der Menschenrechte.ZHR 188 (2024) S. 177 (179) Diese Achtungspflicht ist einer von drei Gewährleistungsgehalten, die durch die Menschenrechte gegenüber den Staaten begründet wird. Dieser Teilabschnitt aus dem Schutzbereich der Menschenrechte wird durch § 3 Abs. 1 S. 1 LkSG gewissermaßen perspektivisch geschwenkt und nunmehr im Horizontalverhältnis gegen die Unternehmen gewendet. Die Menschenrechte erlangen so eine Wirkung, die für die deutschen Grundrechte durch Art. 1 Abs. 3 GG ausgeschlossen wird.

Das ist indes kein Anwendungsfall des Art. 1 Abs. 3 GG. Das dort verankerte grundsätzliche Verbot unmittelbarer Drittwirkung7 betrifft nur die Grundrechte des Grundgesetzes. Die Menschenrechtsübereinkommen wurzeln hingegen im Völkerrecht und gelten nach ihrer Transformation in das deutsche Recht zwar mit völkerrechtlichem Inhalt, aber im Range eines einfachen Bundesgesetzes weiter. Nach dem Grundsatz völkerrechtsfreundlicher Auslegung des Grundgesetzes sind die Menschenrechte aber auch Auslegungshilfe für die Auslegung von Grundrechten des Grundgesetzes. Insoweit strahlen sie über ihren Einfluss auf die Grundrechte des Menschenrechtsträgers mittelbar auch auf den Prozess der Ausgleichung der kollidierenden Grundrechtspositionen ein.8 Voraussetzung ist allerdings, dass bereits eines der Grundrechte des Grundgesetzes für die Position des Menschenrechtsträgers streitet. Eine unmittelbare Drittwirkung hingegen kann den völkerrechtlichen Menschenrechten konstruktionsbedingt auf diese Weise nicht vermittelt werden. Dem steht das Verbot unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG entgegen, das als elementare Entscheidung des Verfassungsgebers Vorrang vor dem Gebot völkerrechtsfreundlicher Auslegung des Grundgesetzes hat. Ganz in diesem Sinne hat das BVerfG in der Entscheidung zum Stadionverbot argumentiert.9 Seine Anerkennung einer mittelbaren Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG begründet das Bundesverfassungsgericht maßgeblich mit dem Gedanken, dass der auf das Hausrecht gestützte Ausschluss von Veranstaltungen “für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben” entscheide,10 was es wiederum normativ abstützt auf das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben gem. Art. 15 Abs. 1a des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte11 sowie die Stellungnahme des Committee on Economic, Social and Cultural Rights.12

ZHR 188 (2024) S. 177 (180)

III. Das LkSG als Quelle staatlicher Grundrechtseingriffe

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die §§ 3 bis 10 LkSG zahlreiche Grundrechtseingriffe beinhalten bzw. dazu ermächtigen. Das gilt übrigens auch, wenn das LkSG zivilrechtliche Sachverhalte regeln sollte. Auch der Privatrechtsgesetzgeber ist durch Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Grundrechte entfalten sich hier im Staat-Bürger-Verhältnis in ihrer Funktion als Eingriffsabwehrrechte.13 Die Grundsätze der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte finden keine Anwendung.14

Den klassischen Fall eines imperativ-finalen Grundrechtseingriffs finden wir in § 4 Abs. 1, 3 und 5, den §§ 5, 6 Abs. 1 bis 4, ferner in den §§ 7bis 10 LkSG. Hier werden die Unternehmen verpflichtet, die dort genannten Maßnahmen einzurichten, festzulegen, durchzuführen usw. Das sind echte Handlungspflichten, die keines weiteren Umsetzungsaktes bedürfen, sondern ihre Verpflichtungswirkung unmittelbar entfalten. Angesichts von Wortlaut, Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte15 ist es nicht nachvollziehbar, wenn dennoch vertreten wird, hiermit werde den Unternehmen keine Verpflichtung auferlegt, sondern eine Verantwortung zugewiesen.16 Und es ist unerheblich, ob die Sorgfaltspflichten in § 3 Abs. 1 S. 2 LkSG nun als Bemühens-, Verfahrens- oder Erfolgspflichten auszulegen sind. Wie dem auch immer sein mag: Es sind staatliche Handlungspflichten – und damit sind es Grundrechtseingriffe.

Weitere Grundrechtseingriffe “verstecken” sich hinter Bestimmungen, die als solche zunächst die Unternehmen zu Eingriffen in Rechte der Zulieferer ermächtigen, konkret: zu Kontrollmaßnahmen (§ 6 Abs. 3 Nr. 4 LkSG) und zur Überprüfung von Abhilfemaßnahmen beim Zulieferer (§ 7 Abs. 4 LkSG). Der eigentliche Eingriff erfolgt hier zwar unmittelbar durch die Unternehmen. Sie tun dies aber, weil sie durch den Staat dazu gesetzlich verpflichtet wurden. Zuzurechnen sind diese Maßnahmen deshalb dem Staat als mittelbar-faktischer Grundrechtseingriff, weil sie in Zielrichtung und Wirkung einem unmittelbaren Grundrechtseingriff gleichkommen.17

ZHR 188 (2024) S. 177 (181)

IV. Öffentlich-rechtliche Einwände, Fragen und Anregungen

Die festgestellten Grundrechtseingriffe lösen einen speziellen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsbedarf aus. Eine staatliche Maßnahme, die als Grundrechtseingriff eingeordnet wird, (i) unterliegt einer inhaltlichen Begründungs- und Rechtfertigungslast, sie bedarf (ii) einer formellen gesetzlichen Eingriffsermächtigung und muss (iii) materiell insbesondere den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen. Hier nun beginnen die öffentlich-rechtlichen Einwände, Fragen und Anregungen, die gegenüber dem LkSG nach geltender Rechtslage angezeigt sind.

1. Zur Legitimation der Sorgfaltspflichten

Der deutsche Gesetzgeber ist davon ausgegangen, die Unternehmen würden aufgrund “ihrer Verantwortung in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte verpflichtet, durch die Implementierung der Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen”18. Damit aber unterstellt die Begründung des Regierungsentwurfs, dass die “Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen” (UNLP) Grundlage für eine unmittelbare Drittwirkung der Menschenrechte seien. Denn mit dem Begriff der “unternehmerischen Verantwortung” bezieht sich der Gesetzentwurf auf das Konzept der Säule II der UNLP.

Tatsächlich haben die Leitprinzipien der UN weder die Legitimation noch selbst den Anspruch, die bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen über Menschenrechte zu ändern oder zu ergänzen. Die Leitprinzipien sind “nicht so auszulegen, dass durch sie neue völkerrechtliche Verpflichtungen geschaffen oder etwaige Rechtsverpflichtungen eines Staates eingeschränkt oder untergraben würden, die dieser nach dem Völkerrecht mit Bezug auf die Menschenrechte eingegangen ist oder denen er unterworfen sein mag”19.

Stattdessen enthalten sie “globale Standards erwarteten Verhaltens”20. Nicht der Normbefehl eines demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist daher der Geltungsgrund für die Leitprinzipien, sondern der faktische Erwartungsdruck, dass sich die Unternehmen erwartungskonform verhielten. Das aber begründet keine normative Wirkung der Leitprinzipien, sondern ist allenfalls Beleg für einen mittelbar-faktischen Grundrechtseingriff, der von dem Erwartungsdruck bezüglich der Einhaltung der UNLP ausgeht.21

Dessen ungeachtet und contra legem misst der Gesetzgeber den UNLP eine normative Kraft zu, die ihnen nicht zukommt und deren Legitimation völlig im Dunkeln bleibt. Formulierungen wie die, es handele sich um “völkerrecht-ZHR 188 (2024) S. 177 (182)liches Soft Law”22 oder gar um “unverbindliche Verpflichtungen”23, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Annahme des Gesetzgebers auf nichts anderes als eine faktische Erwartungshaltung stützt. Indessen erzeugt eine Erwartung allein noch keine Legitimation. Dennoch wird sie im Falle des LkSG zum Legitimationsgrund für eine Transformation der Menschenrechtsgarantien, die völkerrechtlich lediglich die Staaten verpflichten, zu Sorgfaltspflichten privater Unternehmen, deren Einhaltung durch die staatliche Wirtschaftsaufsicht überwacht wird.

Wie aber kann die legitimatorische Lücke ausgefüllt werden, die der Gesetzgeber zurückgelassen hat? Viele sehen den legitimatorischen Ersatz in der Figur der Inpflichtnahme der Bürger. Indessen reicht dieser Legitimationsstrang nicht weit genug. Denn eine Inpflichtnahme des Bürgers zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben trägt die Legitimation nicht in sich, sondern setzt sie voraus. Das BVerfG fordert hierfür eine besondere Verantwortungs- und Sachnähe derjenigen BürgerInnen, die in die Pflicht genommen werden. Das aber ist nicht für “die Unternehmen” schlechthin der Fall, sondern auf solche beschränkt, die selbst Menschenrechte verletzen bzw. sich daran beteiligen.

Es ist auch in der Sache nicht erkennbar, weshalb den deutschen Wirtschaftsunternehmen eine besondere Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zukommen soll, die in anderen Ländern begangen werden können, weil der dortige Staat seiner völkerrechtlichen Pflicht zur Achtung der Menschenrechte nicht nachkommt. Eine besondere Verantwortungsnähe für ein solches Staatsversagen kommt allein jenen Unternehmen zu, die dieses Defizit in den jeweiligen ausländischen Staaten ausnutzen und selbst Menschenrechte verletzen bzw. sich daran beteiligen. Dies kann man aber nicht kollektiv der Gesamtheit der deutschen Unternehmen vorwerfen.

Vielmehr ist allein maßgeblich, ob zwischen dem Grundrechtseingriff und dem verfolgten Ziel ein Zusammenhang besteht.24 Der Beitrag des Eingriffs zur Gefahrenabwehr ist gering, wenn der Eingriff erfolgt, ohne dass der Betroffene einen Anlass hierfür gegeben hätte. Dafür ist auch relevant, ob eine spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr besteht. Es kann indes keine Rede davon sein, dass die Gesamtheit aller Wirtschaftsunternehmen in Deutschland, die mehr als 3000 Arbeitnehmer beschäftigen, gleichsam kollektiv eine besondere Sach- und Verantwortungsnähe für die internationale Achtung der Menschenrechte hätte. Man mag über eine besondere Nähe bei Unternehmen nachdenken, die im Ausland produzieren lassen oder die in signifikanter Weise die von ihnen benötigten Vorleistungen und Produkte im Ausland einkaufen. Aber dies gilt nicht unterschiedslos für alle Unternehmen in Deutschland. Auch der Schwellenwert von 3000 beschäf-ZHR 188 (2024) S. 177 (183)tigten Arbeitnehmern stellt die erforderliche besondere Sach- und Verantwortungsnähe des vom Anwendungsbereich des LkSG erfassten Personenkreises nicht her.

2. Verfassungsrechtliche Konsequenzen für das Angemessenheitsprinzip des § 3 Abs. 2 LkSG

Verfassungsrechtliche Konsequenzen ergeben sich aus der Anwendung des Gesetzesvorbehalts und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schließlich für die Anwendung des § 3 Abs. 2 LkSG. Erforderlich sind eine verfassungskonforme Auslegung und gesetzliche Nachschärfungen.

  • Die einfachgesetzliche Verankerung des Angemessenheit-Prinzips in § 3 Abs. 2 LkSG hat eine Doppelfunktion: Sie richtet sich zum einen an die Unternehmen und gibt ihnen Maßstäbe vor, die sie bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten beachten müssen. Sie ist zum anderen Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der auferlegten Sorgfaltspflichten für die Unternehmen sowie die Zulieferer. In der letztgenannten Funktion ist das Angemessenheitsprinzip verfassungsrechtlich notwendige Bedingung für die Wirksamkeit der in den §§ 3 bis 10 LkSG auferlegten gesetzlichen Pflichten. Da diese in die Grundrechte der Unternehmen eingreifen, muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass sie den Anforderungen der Verfassung, insbesondere auch des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen. Die Auffassung, das Angemessenheitsprinzip des § 3 Abs. 2 LkSG dürfe mit dem öffentlich-rechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gleichgesetzt werden,25 überzeugt daher nicht.

  • In dieser Funktion ist § 3 Abs. 2 LkSG aber unzureichend ausgestaltet. Denn er gilt nur für Maßnahmen, die das Unternehmen auf der bereits implementierten Plattform aus Risikomanagementsystem, Risikoanalyse, Grundsatzerklärung sowie Präventiv- und Abhilfemaßnahmen festlegt. Er gilt nicht für die vorgelagerte Implementierung dieser Maßnahmen. Auch die Implementierungspflicht unterliegt aber den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

  • Soweit das Gesetz die Unternehmen zu Maßnahmen berechtigt, die in Grundrechte der Zulieferer eingreifen, ist die bestehende gesetzliche Regelung nicht hinreichend präzise. § 6 Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 5 S. 1 LkSG bedürfen daher der Konkretisierung, die namentlich auch dem Umstand Rechnung trägt, dass miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen. In diesen Fällen besteht im Zweifel eine Pflicht zur gesetzlichen Regelung.26

Wird hierbei in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen (so etwa bei der Überprüfung der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen beim Zulieferer), müssen Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs inZHR 188 (2024) S. 177 (184) der Ermächtigung bereichsspezifisch, d.h. in einer dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung genügenden Weise präzise und normenklar festgelegt werden.27 Notwendig ist die Vorgabe von Abwägungsregeln, aus denen sich etwa ergibt, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Menschenrechten welche Ermittlungen gegen Zulieferer im Rahmen der Risikoanalyse rechtfertigen.

V. Die CSDDD – was ändert sich?

Die inhaltlich auffälligste Neuerung betrifft die Haftung. Das deutsche Recht hat in § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG die zivilrechtliche Haftung für eine Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz explizit ausgeschlossen. Demgegenüber sieht Art. 22 Abs. 1 CSDDD vor, dass Unternehmen für Schäden haften, wenn sie die Verpflichtungen aus den Art. 7 und 8 nicht erfüllt haben und als Ergebnis des Versäumnisses negative Auswirkungen eingetreten sind, die hätten vermieden werden müssen und zu Schaden geführt haben.

Noch bedeutsamer ist hingegen die weitgehende Verdrängung des deutschen Verfassungsrechts durch das Unionsrecht. Denn mit dem Inkrafttreten der CSDDD wird bei der Anwendung des LkSG nunmehr Unionsrecht i.S.v. Art. 15 Abs. 1 S. 1 GRCh durchgeführt . Raum für die Anwendung des nationalen Verfassungsrechts besteht daher nur dort, wo der Unionsgesetzgeber Umsetzungsspielräume lässt.28 Im Fall der CSDDD sind solche Umsetzungsspielräume allenfalls für Detailfragen eröffnet.

Nach Art. 52 GRCh müssen auch die Eingriffe in Unionsgrundrechte die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gesetzesvorbehalts wahren. Ebenso wie im deutschen Verfassungsrecht verlangt der Gesetzesvorbehalt auch eine hinreichende Bestimmtheit der Regelung, wobei die Bestimmtheitsanforderungen mit zunehmender Eingriffsintensität steigen. Besondere Anforderungen gelten auch nach dem EU-Recht bei Eingriffen in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten (Art. 7, 8 GRCh). Nationale Rechtsvorschriften, die eine Vorratsspeicherung personenbezogener Daten vorsehen oder zulassen, müssen daher stets objektiven Kriterien genügen, die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen.29 Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss eine Hierarchie zwischen diesen Zielen entsprechend ihrer jeweiligen Bedeutung bestehen und die Bedeutung des mit einer solchen Vorschrift verfolgten Ziels muss im Verhältnis zur Schwere des da-ZHR 188 (2024) S. 177 (185)raus resultierenden Eingriffs bestehen.30 Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten überschreitet selbst dann die Grenzen des absolut Notwendigen, wenn sie den Zielen der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dienen.31

Sicherlich wird man diese besonders scharfen Anforderungen nicht eins zu eins auf das Lieferkettenrecht übertragen können. Denn sie sind dem dortigen Sachverhalt geschuldet, der durch besonders hohe Eingriffsintensität gekennzeichnet ist. Der EuGH verweist auf die große Menge von Verkehrs- und Standortdaten, die durch eine Maßnahme allgemeiner und unterschiedsloser Vorratsspeicherung kontinuierlich gespeichert werden können, sowie den sensiblen Charakter der Informationen, die diese Daten liefern können.32 Im Fall des Lieferkettenrechts ist eine vergleichbare Eingriffsintensität wohl nicht zu erwarten. Andererseits weisen die vom Gesetz erfassten Fälle eine große Spannbreite auf. Bei großen weltweit tätigen Konzernen mit zahlreichen Zulieferern ist gut vorstellbar, dass man hier z.B. die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie des Unternehmens mit Hilfe eingriffsintensiver Maßnahmen der Datenverarbeitung auf Vorrat prüft, um so etwa behördliche Nachfragen jederzeit beantworten zu können. Das Gesetz enthält hier bisher keine Vorkehrungen, welche normenklar die Grenzen aufzeigt, unter denen eine solche Vorratsdatenspeicherung light noch zulässig wäre.

VI. Fazit und Ausblick

Als Fazit bleibt einmal mehr ein Plädoyer für eine aktivere Rolle des öffentlichen Rechts im Wirtschaftsrecht. Im mittlerweile auf einen stattlichen Umfang angewachsenen Schrifttum zum LkSG stehen zivil- und gesellschaftsrechtliche Erörterungen klar im Vordergrund. Öffentlich-rechtliche Aspekte werden (zu) selten behandelt. Dabei zeigen die Auffassungen etwa zum Angemessenheitsprinzip des § 3 Abs. 2 LkSG, dass die hinreichende Sensibilität für das verfassungsrechtliche Potenzial des Lieferkettenrechts vielfach fehlt. Der Gesetzgeber ist jedenfalls aufgefordert anzuerkennen, dass grundlegende Rechte nicht nur den betroffenen Menschenrechtsträgern zustehen, sondern auch den in die Pflicht genommenen Unternehmen.

Thomas Mayen

1

Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der RL (EU) 2019/1937 vom 23. 2. 2022, COM(2022) 71 final.

2

Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG) vom 23. 7. 2021 (BGBl. I, S. 2021).

3

Einzige Ausnahmen bisher sind die Kommentierungen von Uwer in Spießhofer/Späth/, LkSG, 2024 (im Erscheinen) zu § 2 LkSG und von Spießhofer (ebd.) zu § 3 LkSG.

4

Eingehend hierzu nunmehr Mayen in: Leyens/Seibt, Handbuch Lieferkettenrecht, 2024, § 2 passim (im Erscheinen).

5

Spießhofer/Späth/Uwer (Fn. 3), § 2 Rdn. 45; Schönfelder in: Grabosch, Das neue LkSG, 2021, § 4 Rdn. 8.

6

Vgl. im Einzelnen § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 i.V.m. §§ 4 bis 10 LkSG.

7

Eingehend dazu Mayen (Fn. 4), § 2 Rdn. 103 ff.

8

In diesem Sinn auch Dürig/Herzog/Langenfeld, GG, Stand: 102. EL, Art. 3 Abs. 3 Rdn. 90.

9

BVerfGE 148, 276.

10

BVerfGE 148, 276, 283 f.

11

BGBl. II 1976, 428.

12

UN Doc E/C.12/GC/21, Ziff. 13 und 16.

13

Vgl. dazu Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen (Fn. 8), Art. 1 Abs. 3 Rdn. 69 ff.

14

Eingehend dazu Mayen (Fn. 4), § 2 Rdn. 55 ff.

15

In der Begründung des Regierungsentwurfs ist ausdrücklich die Rede von “Handlungspflichten” (BT-Drs. 19/28649, S. 23).

16

Wie hier Spießhofer/Späth/Uwer (Fn. 3), Rdn. 11; a.A. Stöbener de Mora/Noll, NZG 2021, 1237, 1238.

17

Vgl. hierzu BVerfGE 105, 252, 273; 105, 279, 303; 110, 177, 191; 113, 63, 76; 116, 135, 153; 116, 202, 222; 118, 1, 20; 148, 40, Rdn. 28.

18

BT-Drs. 19/28649, S. 2.

19

UNLP S. 1.

20

Vgl. den Kommentar zu Leitprinzip 11 UNLP.

21

Zur Konstruktion und den Voraussetzungen des mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffs vgl. Mayen in: GS Sachs, 2024, passim.

22

Vgl. dazu Dürig/Herzog/Scholz/Herdegen (Fn. 8), Art. 25 Rdn. 45.

23

Kahl/Waldhoff/Walter/Tomuschat, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: März 2019, Art. 25 Rdn. 42.

24

EuGH NVwZ 2022, 1697, 1701 – Vorratsdatenspeicherung.

25

So aber Gehling/Ott/Mader, LkSG, 2022, § 3 Rdn. 33.

26

BVerfGE 83, 130, 142.

27

Vgl. BVerfGE 100, 313, 359 f., 372; 110, 33, 53; 113, 348, 375.

28

BVerfGE 121, 1, 15; 125, 260, 306 f.; 152, 152, 168 ff., Rdn. 41 ff. und Ls. 1.; 156, 11, 35 f., Rdn. 63 ff.; 157, 30, 109 f., Rdn. 141. Dies gilt auch dann, wenn der Beschwerdeführer sich darauf beruft, dass ein (vermeintlich) bestehender Gestaltungsspielraum verkannt wurde, vgl. BVerfGE 129, 78. 90 f.

29

EuGH NVwZ 2022, 1697, Rdn. 69 f.; BVerwG NJW 2024, 98, Rdn. 28.

30

EuGH NVwZ 2022, 1697, Rdn. 71; BVerwG NJW 2024, 98, Rdn. 29.

31

EuGH NVwZ 2022, 1697, Rdn. 74; BVerwG NJW 2024, 98, Rdn. 31.

32

EuGH NVwZ 2022, 1697, Rdn. 57 bis 62.

 
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