Der Glücksspielbegriff: Neue Herausforderungen für ein überkommenes Verständnis
Aus der juristischen Definition des Glücksspiels hat sich in jahrelanger Übung das Begriffspaar Glücksspiel – Geschicklichkeitsspiel gebildet. Es beschreibt einen im Merkmal der Zufallsabhängigkeit wurzelnden Gegensatz, der Spiele anhand der maßgeblichen Ursache für ihren Ausgang voneinander abgrenzt und einer eigenen Terminologie zuführt. Als Gradmesser fungiert die Frage, ob überwiegend der Zufall oder das Geschick des Einzelnen über Gewinn und Verlust des Spiels entscheidet.
Im Zusammenhang mit dem Glücksspielbegriff und seiner Abgrenzung zu anderen Spielformen bahnen sich inzwischen weitere Begriffe den Weg in den juristischen Sprachgebrauch, ohne dass ihre Konturen bereits umrissen sind. In den Erläuterungen zum jüngst in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag 2021 heißt es, sein Regelungsbereich beschränke sich auf „‚echte‘ Glücksspiele“.1 Andere Bereiche, in denen die Definition des Glücksspiels nicht erfüllt sei, wie etwa „simuliertes Glücksspiel“, seien vom Anwendungsbereich des Staatsvertrages nicht erfasst. Ebenso findet sich der Begriff des simulierten Glücksspiels in der Begründung zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes.2
Unausgesprochen differenziert der Normgeber zwischen „echten“ und „unechten“ Glücksspielen. Was aber macht ein Spiel, das nicht sämtliche Merkmale der rechtlichen Definition des Glücksspiels erfüllt, zum „unechten“ Glücksspiel? Entlang welcher Begriffsmerkmale verläuft die Abgrenzung, ohne den Wortsinn des Begriffs auszuhöhlen? Sinnbildlich für die terminologische Unklarheit steht das vom Normgeber benannte Beispiel des simulierten Glücksspiels. An welchem Merkmal der Glücksspieldefinition grenzt es sich negativ vom „echten“ Glücksspiel ab? Was zeichnet es gleichzeitig aus?
So unausgereift und irreführend die Terminologie auch sein mag, sie lenkt das Augenmerk auf eine wichtige Thematik.3 Die Zeit hat Nachahmungen klassischer Glücksspiele hervorgebracht, bei denen die Teilnahme am Spiel keinen Geldeinsatz erfordert. Stattdessen genügt die Hingabe einer virtuellen Währung oder virtueller Gegenstände aus Computerspielen (sog. Skin Gambling). Gleichsam existieren vom Zufall abhängige Spiele, bei denen der mögliche Gewinn im Betrag einer virtuellen Währung oder in einem virtuellen Gegenstand besteht. Dabei stellt sich in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen die Frage, ob die Merkmale der rechtlichen Definition des Glücksspiels erfüllt sind. Dies betrifft insbesondere die Begriffe des Entgelts bzw. Einsatzes und des Gewinns. Der Glücksspielbegriff sieht sich mithin einer Belastungsprobe ausgesetzt.
Es ist an der Zeit, mit Hilfe der Glücksspielrechtswissenschaft das Verständnis des Glücksspielbegriffs aufzuhellen und seine Konturen zu schärfen. Zugleich ist es erforderlich, sich den Neuentwicklungen unter dem Blickwinkel der Suchtgefährdung und -prävention sowie des Spieler- und Jugendschutzes zu widmen. Denn die dortigen Erkenntnisse sind unabhängig von der Reichweite des juristischen Glücksspielbegriffs von Bedeutung. Handelt es sich auch dann um Glücksspiel im Rechtssinne, wenn etwa Einsatz oder Gewinn nicht in Geld besteht, können sie bei der Frage der Erlaubnisfähigkeit relevant sein. Fehlt es dagegen an einem der juristischen Begriffsmerkmale, können die Erkenntnisse dem Gesetzgeber Anlass für eine ergänzende Regulierung geben.
Zu kurzsichtig ist es in jedem Fall, wenn sich der Normgeber mit der Feststellung zufriedengibt, die Regulierungsmechanismen des Glücksspielstaatsvertrages seien für die Regulierung des Bereichs der Computer- und Videospiele nur bedingt geeignet, und die weitere Entwicklung bloß abwartet, ohne sich mit offenbar gewordenen Problemen zu beschäftigen.4
Dr. Lennart Brüggemann, Münster*
1 | Dazu und zum Folgenden Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 32, abgedruckt in LT-Drs. Hessen 20/3989. |
2 | BT-Drs. 19/24909, S. 44. |
3 | Kritisch zum Begriff des simulierten Glücksspiels etwa Liesching, ZfWG 2020, 313, , 314. |
4 | Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 32. |
* | *Auf Seite VII erfahren Sie mehr über den Autor. |