Von Stopfaggregaten und Schaumstoffsystemen
Erste obergerichtliche Entscheidungen zum GeschGehG
RA Dr. Axel Oldekop (re.)
RA Daniel Hoppe (li.)
Seit fast genau zwei Jahren gewöhnen wir uns an das Geschäftsgeheimnisschutzgesetz (GeschGehG). Es ist ein zäher Prozess. Dies ist der juristischen Abstraktheit der Materie und der Konkretheit der Verletzungshandlungen geschuldet. Ein Geheimnis kann nun einmal so gut wie alles sein. Das GeschGehG ist dabei manchmal in der Anwendung sperrig. Nach wie vor kämpfen wir mit der Formulierung des § 4 Abs. 3 GeschGehG. Bislang ungelöst ist die vom Gesetzgeber für das Strafverfahren gestellte Denksportaufgabe, die Angemessenheit von Geheimhaltungsmaßnahmen zu prüfen, die zur Tatzeit (eigentlich) noch gar nicht verlangt waren. Lange werden wir nach dem tieferen Sinn der Regelung der ausschließlichen Zuständigkeit am Sitz des Beklagten suchen müssen. Feststellbar ist immerhin, dass seit der Einführung des GeschGehG dem Geheimnisschutz in der Beratungs- und Prozesspraxis eine größere Bedeutung zukommt. Auch bei den Gerichten scheint das Thema stärker in den Fokus zu geraten.
Dabei bestätigen die ersten obergerichtlichen bzw. sogar höchstrichterlichen Urteile zum neuen Recht (OLG Hamm, 15.09.2020 – 4 U 177/19, WRP 2021, 223 – Stopfaggregate; OLG Stuttgart, 19.11.2020 – 2 U 575/19, WRP 2021, 242 – Schaumstoffsysteme; OLG Frankfurt a. M., 27.11.2020 – 6 W 113/20, WRP 2021, 356; OGH, 26.01.2021 – 4 Ob 188/20 f, WRP 2021, 503 – Flüsteraggregat, mit Anm. Alexander) die Erfahrung, dass die größte Gefahr für die Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens von seinen Mitarbeitern ausgeht. Die Urteile zeigen auch, wie komplex die gerichtliche Verfolgung von Geschäftsgeheimnisverletzungen ist, wie unterschiedlich Gerichte die Herausforderungen bewältigen und welche Mühe man darauf verwenden kann (vgl. die lehrbuchhafte – wenn auch nicht kritikfreie – Entscheidung des OLG Stuttgart).
Womöglich zu hoch hängt der österreichische OGH die Trauben in der „Flüsteraggregat“-Entscheidung: Er verneint den kommerziellen Wert und damit den Geschäftsgeheimnischarakter geheimer technischer Zeichnungen, welche ausgeschiedene Mitarbeiter einer Herstellerin für Gleisbaumaschinen als Vorlage für eigene Maschinenkonstruktionen herangezogen hatten, weil nicht die Verwendung der fremden Zeichnungen, sondern erst die (auch) auf deren Grundlage geschaffenen Weiterentwicklungen der Beklagten die Wettbewerbsposition der Klägerin bedrohe. Das ist eine recht unglückliche Vermischung des Geheimnischarakters mit der Definition des rechtsverletzenden Produkts. Hier klingt eine mit dem Geheimnisschutz unvereinbare Parallele zum in Österreich in der Praxis anerkannten patentrechtlichen Versuchsprivileg an. Mit Blick auf die deutsche Rechtsprechung würde man den Geheimnischarakter wohl anders beurteilen. Das Potential der geheimen Konstruktionszeichnungen wird schon dann ausgenutzt, wenn sich der Verletzer eigene Aufwendungen erspart, um an die darin enthaltene Information zu gelangen (vgl. BGH, 07.07.1958 – I ZR 73/57, GRUR 1958, 297 – Petromax I), oder jedenfalls dasselbe technische Ergebnis nicht in derselben Zeit oder nicht so zuverlässig erreicht hätte (BGH, 03.05.2001 – I ZR 153/99, WRP 2001, 1174 – Spritzgießwerkzeuge; BGH, 19.12.1984 – I ZR 133/82, GRUR 1985, 294 – Füllanlage). Nicht anders liegt es, wenn Wettbewerber eigene Mühen aufwenden müssen, um den Ausgangspunkt für eigene Entwicklungen zu schaffen. Auf die Art und Weise, wie die geschützte Information durch den vermeintlichen Verletzer verwendet wird, sollte es für die Einordnung als Geschäftsgeheimnis nicht ankommen.
Die Entscheidungen des OLG Hamm und des OLG Stuttgart setzen sich näher mit den angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen auseinander. Die Literatur hat sich intensiv bemüht, Kriterien zu entwickeln, um diesen unbestimmten Rechtsbegriff handhabbar zu machen. Die richterliche Anwendung dieser Kriterien wurde daher mit Spannung erwartet. In den genannten Entscheidungen legen die Gerichte keinen besonders nachsichtigen Maßstab an. Bemerkenswert sind dabei u. a. zwei Aspekte: Zum einen kommt sowohl für das OLG Hamm (15.09.2020 – 4 U 177/19, WRP 2021, 223, Rn. 161 ff.) als auch für das OLG Stuttgart (19.11.2020 – 2 U 575/19, WRP 2021, 242, Rn. 172) dem Umstand eine erhebliche Bedeutung zu, dass das betroffene Unternehmen bekannt gewordene Sicherheitslücken nicht geschlossen hatte. Zum anderen spielt auch die konsequente Beachtung der eingeführten Geheimhaltungsmaßnahmen seitens der Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Jedes Geheimhaltungskonzept ist nur so gut wie seine praktische Umsetzung.
Für die Geheimnisinhaber besteht weiterhin Handlungsbedarf. Immerhin hebt das OLG Stuttgart zutreffend hervor (19.11.2020 – 2 U 575/19, WRP 2021, 242, Rn. 158 ff.), dass es für den Fortbestand der Wiederholungsgefahr bei einer noch unter dem UWG begangenen Verletzung nicht darauf ankommen kann, ob der Geheimnisinhaber bereits damals die neuen Schutzanforderungen erfüllte. Dies würde eine unzulässige unechte Rückwirkung darstellen, da dem Geheimnisinhaber zum Zeitpunkt der Tatbegehung ein Unterlassungsanspruch auch ohne Geheimhaltungsmaßnahmen zustand. Der Ansatz des OLG Hamm, bei der Beurteilung des Unterlassungsanspruchs in Altfällen auf Geheimhaltungsmaßnahmen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des GeschGehG abzustellen (15.09.2020 – 4 U 177/19, WRP 2021, 223, Rn. 159 ff.), wird sich deshalb nicht durchsetzen können.
Mit dem GeschGehG sollte ein in sich stimmiger Schutz von Geschäftsgeheimnissen erreicht werden, die gerichtliche Durchsetzung dieses Schutzes bleibt aber eine Herausforderung.
RA Dr. Axel Oldekop, München und RA Daniel Hoppe, Hamburg