Verbraucherschutz braucht eine stärkere behördliche Komponente
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes
Im Juni 2017 hat das Bundeskartellamt im Zuge der 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erstmalig Kompetenzen im wirtschaftlichen Verbraucherschutz erhalten (vgl. dazu bereits Mundt, Editorial WRP Heft 07/2017). Diese vom Gesetzgeber als „erster Schritt“ bezeichnete Neuregelung umfasst Befugnisse zur Einleitung von verbraucherrechtlichen Sektoruntersuchungen und zur Beteiligung an Zivilrechtsstreitigkeiten im Verbraucherrecht als amicus curiae. Eingriffsbefugnisse wurden dem Bundeskartellamt nicht eingeräumt. Grund hierfür war in erster Linie das Fehlen hinreichender Erkenntnisse zu konkreten Defiziten in der bisherigen Durchsetzungspraxis. Ein vom Bundesministerium für Wirtschaft in Auftrag gegebenes Gutachten von Podszun/Busch/Henning-Bodewig wird hierzu in Kürze Aufschluss geben.
Von den neuen Befugnissen hat das Bundeskartellamt unmittelbar Gebrauch gemacht und im Oktober und Dezember 2017 Sektoruntersuchungen zu „Vergleichsportalen“ und „Smart-TVs“ eingeleitet. Aus objektiver Warte wird damit untersucht, ob in den entsprechenden Wirtschaftszweigen verbraucherrechtliche Probleme bestehen. Hierzu müssen die befragten Unternehmen dem Amt umfassend Auskunft erteilen, etwa zu ihrem Geschäftsmodell und dem Zustandekommen von Rankings (Vergleichsportale) oder zum Umgang mit Nutzerdaten (Smart-TVs). Die Ergebnisse werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern wertvolle Informationen über die Funktionsweise sowie Handlungsempfehlungen für einen bewussteren Umgang mit diesen digitalen Diensten liefern. Den betroffenen Unternehmen können die Ergebnisse Ansätze für freiwillige Anpassungen bieten. Die Untersuchungen können insoweit eine Erkenntnisgrundlage schaffen, die es erlaubt, den Verbraucherschutz hier effektiver auszugestalten, ohne vorschnell eine starre und insbesondere im dynamischen Digitalsektor ggf. zu träge Regulierung vorzunehmen.
Wenn in den Koalitionsvertrag vom März 2018 (S. 135) ein ganzer Strauß digitaler Vorhaben im Bereich des Verbraucherschutzes aufgenommen wurde – vor allem Transparenz in Bezug auf Algorithmen, künstliche Intelligenz, dynamische Preisbildung sowie hinsichtlich Rankings, Bewertungen und Verflechtungen bei Vergleichsportalen – so muss dies deshalb mitnichten als Auftrag zur Schaffung neuer Regulierungsvorschriften verstanden werden. Vielmehr ergibt ein näherer Blick auf diese Punkte, dass sie mit den vorhandenen materiellen Rechtsgrundlagen des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes durchaus bereits angegangen werden könnten. Transparenz als Grundlage für geschäftliche Entscheidungen zu gewährleisten, ist ein Kernanliegen des Lauterkeitsrechts. Dass dessen Bestimmungen ebenso gut auf digitale Sachverhalte wie Influencer-Marketing oder Vergleichsportale anwendbar sind, war bereits Gegenstand wissenschaftlicher Beiträge in dieser Zeitschrift (vgl. Henning-Bodewig WRP 2017, 1415 und Alexander WRP 2018, 765). Dennoch ist ein wirklich fairer Wettbewerb in diesem Bereich bislang nicht realisiert. Dies ist nicht etwa den privaten Akteuren anzulasten, deren nachhaltigen Anstrengungen wir ein hohes Schutzniveau in Deutschland zu verdanken haben. Vielmehr trifft man in der digitalen Welt mitunter auf Sachverhalte, bei denen die private Rechtsdurchsetzung aufgrund von Nachweisschwierigkeiten an Grenzen stößt. Beispielsweise basieren viele digitale Geschäftsmodelle auf Algorithmen und/oder verschlüsselten Datenströmen. Da hierbei in aller Regel Geschäftsgeheimnisse betroffen sind, die für private Kläger praktisch nicht zugänglich sind, ist die behördliche Rechtsdurchsetzung klar im Vorteil.
Komplementäre behördliche Kompetenzen in Bezug auf solche Sachverhalte wären das passende Gegenstück zur politisch gewollten Nachjustierung des zivilrechtlichen Durchsetzungsregimes. Gemeint ist die vom Gesetzgeber in Angriff genommene Einschränkung privater Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Abmahnmissbrauch (vgl. zum Für und Wider nur Reppelmund, Editorial WRP Heft 05/2018 und Schotthöfer, Editorial, WRP Heft 07/2018). Die Bundesregierung will nach eigenem Bekunden so schnell wie möglich einen Gesetzentwurf mit geeigneten und wirkungsvollen Maßnahmen vorlegen (vgl. BT-Drucks. 19/3510, S. 3).
Nicht zuletzt wird das Thema behördlicher Eingriffsbefugnisse aufgrund europäischer Vorgaben ohnehin auf die gesetzgeberische Agenda kommen. Das EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetz (VSchDG) muss an die novellierte Verordnung zur Consumer Protection Cooperation (CPC-Verordnung) angepasst werden, die verstärkt auf koordinierte Aktionen eines europäischen Behördennetzwerks setzt und erweiterte Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse bei grenzüberschreitenden Verbraucherrechtsverstößen verlangt – ein Schutzniveau, das man Inländern nicht ohne Weiteres wird vorenthalten können. Auch mit dem von der Europäischen Kommission initiierten sog. „New Deal for Consumers“ wird dieser Weg der Stärkung behördlicher Durchsetzungsmöglichkeiten voraussichtlich weiter intensiviert.
Es sprechen daher sehr gute Gründe dafür, die Rolle des Bundeskartellamtes komplementär und im Dialog zu den traditionellen Akteuren auszubauen (vgl. grundlegend Köhler, WRP 2018, 519 ff.). So könnte durch eine Ergänzung der zivilrechtlichen durch die behördliche Rechtsdurchsetzung ein umfassender und wirksamer Verbraucherschutz gewährleistet werden, ohne dass die bisherigen Akteure der Rechtsdurchsetzung in ihren Möglichkeiten beeinträchtigt und ohne dass die große Zahl der sich lauter verhaltenden Unternehmen in der digitalen Wirtschaft durch neue Regulierungsvorschriften eingeengt werden müssten. Die laufende Legislaturperiode bietet dem Gesetzgeber genügend Gelegenheiten zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, Bonn