Umweltschutz und Wettbewerb
Prof. Dr. Andreas Heinemann
„Grünes Kartellrecht“ war in Fachkreisen lange Zeit eine Bezeichnung, die den Problemen an der Schnittstelle von Wettbewerb und Immaterialgüterrecht vorbehalten war. Das „Grüne“ an diesem Themenkreis leitet sich von der einprägsamen Farbe der einschlägigen Fachvereinigung ab. In neuerer Zeit wird mit dem Begriff – in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch – auch der Einfluss von Umweltfragen auf die Anwendung des Kartellrechts bezeichnet. Dieses steht heute unter dem Verdacht, schlecht für die Umwelt zu sein, weil es privatem Umweltschutz durch Unternehmenskooperation im Weg stehe. Derzeit wird von der Europäischen Kommission, die unter Präsidentin von der Leyen den European Green Deal zu einer von sechs Prioritäten bestimmt hat, abgeklärt, wie der Beitrag der Wettbewerbspolitik zu den ambitionierten Umweltzielen ausfallen soll.
Eine Pionierrolle kommt der niederländischen Wettbewerbsbehörde ACM zu: Sie hat einen Entwurf von Leitlinien zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen zur Diskussion gestellt, der in einer Version vom Januar 2021 vorliegt. Der Text lotet nicht nur anerkannte Spielräume für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aus, sondern testet auch die Grenzen des geltenden Rechts. Am weitesten geht der Vorschlag, unter bestimmten Bedingungen eine Effizienzrechtfertigung auch dann zuzulassen, wenn zwar nicht die Betroffenen, wohl aber die Gesellschaft insgesamt für die Wettbewerbsbeschränkung kompensiert wird.
Historische Beispiele mahnen demgegenüber zur Zurückhaltung. In den USA ermöglichte die rule of reason lange Zeit eine Gegenüberstellung von wettbewerbsbeeinträchtigenden Effekten und Vorteilen nicht-wettbewerbsbezogener Art. Dies öffnete den Weg zur Einbeziehung inkommensurabler Schutzgüter und zu Abwägungen ohne greifbaren Maßstab. Erst durch den Purismus der Chicago School wurde die rule of reason auf eine rein wettbewerbsbezogene Prüfung reduziert, was heute schulübergreifend als Errungenschaft begrüßt wird.
Ähnlich war die Entwicklung in der Schweiz, wo bis 1996 die sogenannte „Saldomethode“ galt: Zur Ermittlung der „volkswirtschaftlichen oder sozialen Schädlichkeit“ hatte die Wettbewerbsbehörde nützliche und schädliche Auswirkungen gegeneinander abzuwägen und hierbei auch nicht-wettbewerbliche Faktoren zu berücksichtigen wie z. B. die Auswirkungen auf die verschiedenen Landesteile oder auf die Arbeitnehmer. Auch der Umweltschutz war relevant, was der Fall des damaligen Zementkartells veranschaulicht: Eine landesweite Kartellierung wurde gebilligt, da die verabredeten Gebietsaufteilungen zu einer Verkürzung der Transportwege führten. Das „neue“ schweizerische Kartellgesetz, das in diesem Jahr seinen 25-jährigen Geburtstag feiert, schob solchen Abwägungsexzessen einen Riegel vor. Die schweizerische Wettbewerbskommission kann nur noch wettbewerbsbezogene Gesichtspunkte heranziehen. Eine ausnahmsweise Zulassung aus überwiegenden öffentlichen Interessen ist der Regierung vorbehalten. Im Unterschied zur Ministererlaubnis in Deutschland sind in der Schweiz solche Ausnahmegenehmigungen nicht nur für die Zusammenschlusskontrolle, sondern für das gesamte Kartellrecht möglich, also auch für Unternehmenskooperationen.
Für das Verhältnis von Umwelt- und Wettbewerbsschutz sollte die folgende Hierarchie gelten: Nachhaltigkeit ist in erster Linie durch eine geeignete Umweltpolitik und -gesetzgebung zu erreichen. Ist der umweltrechtliche Rahmen richtig gesetzt, wirkt Wettbewerb umweltschonend, da knappe Ressourcen möglichst sparsam genutzt werden und Verschwendung vermieden wird. Von einer vollständigen Internalisierung negativer Externalitäten sind wir allerdings weit entfernt. Hier besteht Raum für private Initiative, also für Anstrengungen von Unternehmen, über die aktuellen regulatorischen Anforderungen hinauszugehen. Dies kann einseitig erfolgen, nämlich dadurch, dass sich ein Unternehmen durch nachhaltigere Produkte oder Produktionsverfahren gegenüber den Kunden profiliert. Aber auch Kooperation zwischen Unternehmen kann zu Fortschritten bei der Nachhaltigkeit führen. Einfache Initiativen werden häufig keine kartellrechtlichen Tatbestände erfüllen, z. B. Umweltlabels, die jedermann offenstehen, keine Ausschließlichkeit beanspruchen und auf Preiselemente verzichten. Liegt hingegen eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vor, ist eine Effizienzrechtfertigung erforderlich, wobei die – oben geschilderten – wettbewerbsschädlichen Fehler der Vergangenheit zu vermeiden sind.
Es geht also darum, Wettbewerb und Kooperation auszutarieren. Diese Aufgabe ist für das Kartellrecht nicht neu und auch beim Thema der Nachhaltigkeit zu bewältigen. Wenig hilfreich ist es hingegen, einen unversöhnlichen Gegensatz zwischen Umweltschutz und Wettbewerb zu konstruieren. Wettbewerb sollte immer auch als Teil der Lösung gesehen werden.
Prof. Dr. Andreas Heinemann, Zürich/Bern