Pionierin unter den Kartellbehörden
RA Sebastian Louven
In welchem Verhältnis zueinander stehen Datenschutzrecht und Kartellrecht? Diese Frage beschäftigt Experten beider Rechtsgebiete und die Öffentlichkeit gleichermaßen – spätestens seitdem das Bundeskartellamt am 02.03.2016 mit einer bemerkenswerten Pressemitteilung über die Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens gegenüber dem Unternehmen Facebook informierte. Demnach bestand damals schon der Verdacht, dass das Unternehmen (O-Ton) „gegen das Datenschutzrecht“ verstoße und damit seine Marktmacht missbrauche. Die Vermengung der beiden Rechtsgebiete verschaffte der Diskussion über das Kartellrecht in der Informationsgesellschaft einen enormen Schub.
Fast drei Jahre später, am 07.02.2019, teilte der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, die Ergebnisse des Verfahrens mit: Das Unternehmen verfüge über eine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Leistungen sozialer Netzwerke. Diese Marktmachtstellung missbrauche das Unternehmen, indem es von seinen Nutzern weitreichende Datenverarbeitungsbefugnisse verlange, die sich auch auf Datenquellen außerhalb des sozialen Netzwerks selbst erstreckten. Dies verstoße gegen „Wertungen“ europäischer Datenschutzvorschriften. Diesen Konditionenmissbrauch müsse das Unternehmen innerhalb eines Jahres abstellen und innerhalb der nächsten vier Monate Lösungsmöglichkeiten vorstellen. Im weiteren Verlauf bezeichnete Mundt dieses Vorgehen als einen Einstieg in eine „Art innerer Entflechtung“. Dass dies nicht das Ende, sondern erst der Anfang einer Debatte ist, ließ sich bereits an der umgehend von Facebook eingelegten Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf absehen, die begleitet wird von einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.
Zunächst ist da die Frage, inwiefern überhaupt Datenschutz über das Kartellrecht durchgesetzt werden kann. Die ersten Äußerungen der Behörde wurden schnell in Richtung einer akzessorischen Prüfung (über-)interpretiert, nach der ein Kartellrechtverstoß in dem Datenschutzrechtverstoß eines marktmächtigen Unternehmens gesehen werden könnte. Dass dies nicht ganz so einfach sein kann, zeigten die zwischenzeitlich ergangenen BGH-Entscheidungen Pechstein (BGH, 07.06.2016 – KZR 6/15, WRP 2016, 1014) und VBL-Gegenwert II (BGH, 24.01.2017 – KZR 47/14, WRP 2017, 563). Insbesondere in letzterer wurde klargestellt, dass nicht gar jeder positive Verstoß eines marktmächtigen Unternehmens gegen außer-kartellrechtliche Vorschriften gleichzeitig einen tatbestandsmäßigen Konditionenmissbrauch darstellt. Stattdessen „kann“ in nach anderen Vorschriften rechtswidrigen Geschäftsbedingungen ein Marktmachtmissbrauch liegen, wenn diese als solche auf den Missbrauch zurückgehen.
Doch wie lässt sich dies in der Praxis rechtsfehlerfrei prüfen? Das Bundeskartellamt machte hierzu bereits in seinen ersten Einschätzungen Ende 2017 deutlich, dass es bei der Bewertung der Geschäftsbedingungen des Unternehmens „die Wertungen zwingenden europäischen Datenschutzrechts“ berücksichtigen werde. Warum sollen diese Wertungen aber wiederum ein wettbewerbliches und damit kartellrechtliches Problem sein? Teilweise wird hierzu angeführt, Verbraucher- wie Datenschutzrecht stellten eine Grenze des im Wettbewerb Zulässigen dar. Das lässt sich aber nur schwer begründen, denn ansonsten wäre jedes marktbeherrschende Unternehmen aus kartellrechtlichen Gründen zur vollkommenen Rechtstreue verpflichtet. Vielleicht aber wäre von vornherein der Verzicht auf datenschutzrechtliche Erwägungen hilfreicher gewesen, um stattdessen die Angemessenheit der Geschäftsbedingungen unter rein wettbewerblichen Gesichtspunkten zu prüfen. Denn der Konditionenmissbrauch verbietet seinem Wortlaut nach nicht rechtswidrige Geschäftsbedingungen, sondern lediglich solche, die vom wirksamen Wettbewerb abweichen. Weichen aber umfangreiche, gar ausplündernde Datenverarbeitungsbefugnisse bei digitalen Plattformen allgemein vom Wettbewerb ab? Das Bundeskartellamt löst dies mit der – wohl in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht – nicht vorliegenden Kenntnis der Nutzer über die umfangreiche Datenverarbeitung. Offen bleibt die Bewertung der Geschäftsbedingungen „außerhalb“ des rechtlichen Wertungsbereichs der DSGVO.
Neben der kartellrechtlichen Perspektive mutet dieses Verfahren auch aus der Perspektive des Datenschutzrechts sonderbar an. Zunächst ist da der Umstand, dass das Verfahren noch vor der DSGVO mit einem konkreten Verdacht eingeleitet wurde. Dass das Bundeskartellamt sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen derart umfangreichen Überblick über eine damals noch nicht europäisch vereinheitlichte Materie zumutet, erstaunt. Bedeutsam ist neben der Frage des materiell-rechtlichen Prüfkonzepts dabei die praktische Herausforderung, wenn das Bundeskartellamt zwar nicht als Datenschutzbehörde tätig wird, gleichwohl aber in irgendeiner Weise das materielle Datenschutzrecht zumindest auch prüft. Es bleibt somit spannend. Insgesamt ist dieses Verfahren aber jedenfalls ein publikumswirksamer erster großer Testlauf der Behörde für die 9. GWB-Novelle. Mit diesem Verfahren wagt sich das Bundeskartellamt weit vor in unbekanntes Terrain bei der Durchsetzung des Kartellrechts und erntet damit national wie international, kartellrechtlich wie auch darüber hinaus enorme Beachtung.
RA Sebastian Louven, Oldenburg