Nach der Reform ist vor der Reform
RAin Uta Wichering
Gesetzgebung ist mitunter eine diffizile Aufgabe: Aktualisierungen sind aus vielerlei Gründen nötig, sei es durch europäische Entwicklungen in Form von neuen Richtlinien und/oder Verordnungen, sei es durch technische, politische, gesellschaftliche oder sonstige auch praktische Anforderungen. Im Verlauf der Gesetzesentstehung ist der Gesetzgeber mit vielfältigen, naturgemäß oft widerstreitenden Interessen konfrontiert. Es gleicht einem Balanceakt, all diesen Interessen gerecht zu werden und sie unter den einen sprichwörtlichen Hut zu bekommen. So weit, so bekannt, so schwierig!
Das UWG hat erstaunlich lange eine Art Dornröschen-Schlaf halten können und blieb in seiner Ursprungsfassung von 1909 bis zur großen Reform im Jahre 2004, die neben einer Europäisierung vor allem die Kodifizierung richterrechtlicher Grundsätze zum Ziel hatte, weitgehend unverändert. Nahezu überholt wurde die 2004er-Reform durch die am 11.05.2005 erlassene Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken RL 2005/29/EG, die tiefgreifende Änderungen erforderte und mit dem UWG 2008 umgesetzt wurde. Die bei dieser Umsetzung verbliebenen Unstimmigkeiten sollte die Reform 2015 bereinigen.
Eine Sache blieb dem Gesetzgeber aber ein Dorn im Auge: Der (vermeintliche?) Abmahnmissbrauch im Wettbewerbsrecht. Augenscheinlich durch die „terminologische Vermischung“ mit den seit Anfang der 2000er Jahre im Urheberrecht vermehrt aufkommenden Abmahnungen gegenüber Privatpersonen war freilich auch ein gesellschaftlicher Fokus auf dieses Institut entstanden. Nicht zuletzt die Digitalisierung veränderte auch die Forensik der Feststellung von Rechtsverstößen, aber auch ihre Bandbreite. Abhilfe wollte das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs 2020 schaffen, im Wesentlichen in Kraft seit dem 02.12.2020. Wegen der ganz grundlegenden Änderungen für das UWG (Anspruchsberechtigung, § 8 Abs. 3 UWG; Missbrauchstatbestand, § 8c UWG; Vertragsstrafe § 13a UWG und die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands, § 14 Abs. 2 UWG) wurde bereits die Gesetzesentstehung kritisch begleitet. Dazu nur beispielhaft folgende Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift, die Ausdruck einer regen Rezeption sind: Pres/Löffel, WRP Editorial Heft 11/2018, Fritzsche, WRP 2018, 1277; Hohlweck, WRP 2020, 266, Kochendörfer, WRP 2020, 1513, Rätze, WRP 2020, 1519.
Am 26.03.2021 fand das 19. Frankfurter Symposium der WRP zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs 2020 statt. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit dem Vortrag „Entstehungsgeschichte, Zweck und wesentlicher Inhalt des GSFW“ von Ministerialrat Jörg Rosenow vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin, der zusammen mit Regierungsdirektorin Christina Motejl mit der Erstellung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs befasst war. So wurden interessante Einblicke direkt aus erster Hand in die Historie und die „praktische Einbettung“ des Gesetzgebungsverfahrens gegeben. Der Vortrag machte durchaus deutlich, wie schwer es mitunter auch „für Berlin“ ist, derart praktisch verhaftete Vorschriften und Regelungsbereiche in ein abstraktes, ausgewogenes Konzept zu gießen. Ein Blick hinter die Kulissen, der die – freilich wiederum – auch interessengeleitete Aufarbeitung der Prozesse in der Fachöffentlichkeit und in den Fachmedien zumindest partiell in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Im Weiteren wurden konkrete Probleme des neuen Gesetzes beleuchtet: Auf „Die Neuerungen des GSFW zum Abmahnmissbrauch“ blickte Rechtsanwalt Stefan Michel, Kleiner Rechtsanwälte Stuttgart, der insbesondere über die neu gestaltete Vorschrift des § 8c UWG berichtete. Richter am BGH, I. Zivilsenat, Karlsruhe Jörn Feddersen widmete sich den umstrittenen Bereichen „Neuerungen bei Vertragsstrafe und fliegendem Gerichtsstand.“ Dr. Reiner Münker, Hauptgeschäftsführer der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V., fragte „Abmahnung und Klagebefugnis – was bedeuten die Neuregelungen für die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung?“ Mit den „Auswirkungen der Neuregelungen in der ersten und zweiten Instanz“ schloss Richter am OLG Köln Dr. Martin Hohlweck die Vortragsreihe. Referenten und Teilnehmer diskutierten anschließend munter die diversen praktischen Schwierigkeiten mit den neuen Vorschriften.
Als Fazit bleibt: Gerade in einem Gesetzgebungsverfahren sind reger Austausch und konstruktive Diskussionen für praktikable Lösungen nötig. Eingriffe in ein so altes, bewährtes und spezielles Gesetz, wie es das UWG nun einmal ist, und das über eine so lange Historie verfügt, die tiefes Verständnis der Materie erfordert, müssen mit Bedacht erfolgen. Der Begriff des drohenden „Kollateralschadens“ fiel während der Veranstaltung – mit Recht – einige Male. Gerade beschleunigte Prozesse in der Praxis sorgen für eine rasche Manifestation von Ungleichgewichten und machen eine zeitgerechte Justierung (Stichwort: Evaluation) wohl nahezu unmöglich. Dennoch: Von außen betrachtet fällt es sehr viel leichter, Fehler und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen und „Lösungen“ zu präsentieren. Noch frühzeitiger, ggf. gar dauerhafter, breiter, offener und fachlich-praktischer Diskurs der befassten Ressorts der Bundesregierung mit sämtlichen betroffenen Seiten und Akteuren mag hier ins Auge gefasst werden und kann sicher gewinnbringend in künftigen Vorhaben eingesetzt werden. Ein reines „Projektdenken“, das – sei es ungewollt – in einem gewissen „gedrängten Aktionismus“ endet, kann einen ausgewogenen Gesetzgebungsprozess in unserer Zeit vielleicht schlicht nicht mehr nachhaltig abbilden. Konstante Gremienarbeit im Sinne oder in Richtung einer Ressortforschung könnte hier hilfreich sein.
Für das UWG bleiben die Zeiten derweil stürmisch: Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht liegt schon als Regierungsentwurf vor – auch hier wurde bereits intensiv diskutiert (noch zum Referentenentwurf vgl. Köhler, WRP 2021 129, Alexander, WRP 2021, 136 und zum Regierungsentwurf Scherer, WRP 2021, 561). Die WRP wird auch hierfür weiter bestmöglich eine Plattform für konstruktiven Austausch bieten.
RAin Uta Wichering, Bonn