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WRP 2021, I
Buchmann 

Much ado about something: Der Verbraucherindividualanspruch im neuen § 9 Abs. 2 UWG

Abbildung 1

RA Prof. Dr. Felix Buchmann

Da ist er wieder. Ein Individualanspruch für Verbraucher in einem Gesetz, das nach seinem Konzept dem kollektiven Verbraucherschutz dient. Man mag ihn einen (Pyrrhus-)Sieg für den Verbraucherschutz nennen oder achselzuckend als bedeutungslos hinnehmen. Gut 17 Jahre lang sah das UWG in seinem damaligen § 13a a. F. vor 2004 ein Rücktrittsrecht vor, wenn ein Abnehmer durch eine unwahre und zur Irreführung geeignete Werbeangabe zu einem Vertragsschluss bestimmt wurde. Mit der großen UWG-Reform im Jahr 2004 verschwand dieser Anspruch aus dem UWG. Der Gesetzgeber hatte sich dabei ausführlich mit der Regelung auseinandergesetzt und festgestellt, dass für sie praktisch nicht nur kein Anwendungsbereich bestehe, sondern Wertungswidersprüche zu den Regelungen im BGB dagegensprächen: „Die Gewährleistungsrechte bei Sachmängeln sind aber an bestimmte Voraussetzungen und Fristen gebunden. Dieses abgestimmte Regelungskonzept wäre gestört, wenn man im UWG ein allgemeines Vertragsauflösungsrecht normieren würde.“ (RefE v. 23.01.2003, S. 24).

§ 9 Abs. 2 UWG n. F., der durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht am 28.05.2022 in Kraft tritt, sieht künftig einen individuellen Schadensersatzanspruch für Verbraucher vor, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig unter Verstoß gegen § 3 UWG zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wurde. Der Impetus zu dieser (erneuten) Einführung eines individuellen Verbraucherrechts in das UWG kommt dieses Mal freilich nicht von einem autonomen nationalen Gesetzgeber, sondern ist sein Wunsch, wegen der anstehenden Bundestagswahl in buchstäblich letzter Sekunde die Vorgaben des neuen § 11a UGP-Richtlinie umzusetzen, der durch Art. 3 Nr. 5 der Modernisierungsrichtlinie (EU) 2019/2161 geändert worden war.

Aber was ist eigentlich der Wille des europäischen Normgebers? Die noch im New Deal for Consumers vorgeschlagene Regelung zum Verbraucherschadensersatz war inhaltlich deutlich klarer. Ein vertraglicher Rechtsbehelf sollte mindestens ein Kündigungsrecht, während ein außervertraglicher Rechtsbehelf mindestens einen Schadensersatzanspruch vorsehen sollte (COM (2018) 185 final, Art. 1 Nr. 4). Der verabschiedete Wortlaut von Art. 11a UGP-Richtlinie ist hingegen diffus: „Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, haben Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrags.“ Die Frage, was vom nationalen Gesetzgeber nun eigentlich verlangt wird, erinnert an das „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Dilemma. Dies zeigt insbesondere das bescheidene Wort „gegebenenfalls“, mit dem der Schadensersatz mit einem Anspruch auf Preisminderung und Beendigung des Vertrags verknüpft wird. Die deutsche Umsetzung hat auf eine Regelung verzichtet, die einem Verbraucher aufgrund eines Lauterkeitsverstoßes auch ein Recht auf Preisminderung oder Vertragsbeendigung einräumt. Im Referentenentwurf für das neue Gesetz wurde dies damit begründet, dass das Wort „gegebenenfalls“ einen Ermessensspielraum einräume und nur die Schaffung eines Schadensersatzanspruchs – der bestehen muss, ganz gleich, ob ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht – verbindlich sei. Mit dieser Interpretation wird elegant eine ganze Reihe von praktisch kaum lösbaren weiteren Konflikten mit den Ansprüchen eines Verbrauchers aus dem BGB vermieden (vgl. dazu Köhler, WRP 2021, 129 ff.).

Es bleibt die Frage, ob diese Interpretation wirklich richtig ist. Berücksichtigt man die Tatsache, dass ein Schadensersatzanspruch sowohl im Falle eines Vertragsschlusses als auch im Falle eines nicht geschlossenen Vertrags bestehen soll, wird deutlich, dass das Wort „gegebenenfalls“ doch genau diese Unterscheidung widerspiegelt. Ist es folglich nicht dahingehend auszulegen, dass zusätzlich zum Schadensersatz für den Fall eines geschlossenen Vertrags ein Recht zur Minderung und zur Vertragsbeendigung gegeben sein soll? Denn für den Fall, dass kein Vertrag geschlossen wurde, bedarf es dieser Rechte nicht, so dass diese Ansprüche für diesen Fall eben nicht gegeben sind. Ein Blick in die anderen sprachlichen Fassungen „where relevant“, „le cas échéant“, „se pertinente“ und „cuando proceda“ von Art. 11a UGP-Richtlinie impliziert eher eine Interpretation mit „soweit einschlägig“. Auch Erwägungsgrund 16 der Modernisierungsrichtlinie spricht eher für die verbindliche Einführung dieser Rechtsbehelfe. Wie dann die wohl überlegten und ausgewogenen Regelungen im Schadens-, Anfechtungs- und Gewährleistungsrecht im deutschen BGB mit solchen weiteren – abgesehen von der unlauteren Handlung unbedingten – Ansprüchen eines Verbrauchers im UWG in Konkordanz gebracht werden sollen, hat der europäische Normgeber wohl nicht bedacht. Da hilft auch nicht der Hinweis in Art. 11a Abs. 2 UGP-Richtlinie, dass diese Rechtsbehelfe nicht die Anwendung anderer Rechtsbehelfe, die den Verbrauchern nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht zur Verfügung stehen, berühren sollen. Sie stehen mit ihren Voraussetzungen in einem direkten Konflikt. Die Unsicherheit des deutschen Gesetzgebers zeigt sich schon deutlich in der in § 11 Abs. 1 UWG n. F. normierten Verjährungsfrist von einem Jahr – sie ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Sie lehnt sich an die Anfechtungsfrist des § 124 BGB an, der freilich anders als § 9 Abs. 2 UWG n. F. nur für Arglist gilt.

Die schließlich übernommene Fassung von Art. 11a UGP-Richtlinie zeigt deutlich, dass der europäische Normgeber unter dem Stichwort „Verbraucherschutz“ ein Ziel vor Augen hatte, das er politisch zwar irgendwie wollte, sich aber auf keinen einheitlichen Weg einigen konnte, es zu erreichen (vgl. Alexander, WRP 2021, 136 ff.). Für den nationalen Gesetzgeber ist das Ergebnis dieser Bemühungen um einen Fortschritt im Verbraucherschutz ein gordischer Knoten, für die Wissenschaft eine spannende Herausforderung und für den Rechtsanwender ein Rätsel, das er nicht lösen muss, weil er sein Ziel auch anders erreicht. Much ado about something.

RA Prof. Dr. Felix Buchmann, Stuttgart

 
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