„Für lebende Künstler!“
Zur Diskussion um eine KI-Vergütung
RA Dr. Urs Verweyen
Tonfilm sei „Kitsch“ und „wirtschaftlicher und geistiger Mord“, klagte der Deutsche Musiker-Verband 1929 und appellierte an das Publikum: Zum Erhalt der Existenzen „lebender Künstler“ solle man ihn ablehnen und stattdessen „gute stumme Filme“ mit Orchesterbegleitung durch Musiker fordern. Das Ende ist bekannt: Der Appell verhallte ungehört und in kurzer Zeit ist – zu aller Nutzen – eine Milliarden-Industrie entstanden.
Haben wir etwas daraus gelernt?
Urheberrechts-Initiativen und Verwertungsgesellschaften überbieten sich dieser Tage mit Appellen und Vergütungsforderungen für die „ungefragte Nutzung des Trainingsmaterials, seine intransparente Verarbeitung und die absehbare Substitution der Quellen durch den Output generativer KI“ (Initiative Urheberrecht, urheber.info).
Eine solche Vergütung ist nicht nur nicht geboten; die darum entbrannte Diskussion verstellt auch den Blick auf die Gefahren, die damit einhergingen.
Dazu muss man zunächst einmal verstehen, was generative KI ist, und vor allem, was sie nicht ist: Anders als z. B. die „Farbmaschine“ (F. A. Z., 25.08.2007, Nr. 197, S. Z1), die Gerhard Richter für sein Kölner Dom-Fenster genutzt hat, ist KI kein Werkzeug, das von einem Menschen zur Werkschöpfung genutzt wird. Vielmehr basiert die „Produktivität dieser Systeme … darauf, dass sie auf der Grundlage von sehr großen Mengen von Trainingsdaten unter dem Einsatz von fortgeschrittenen Verfahren maschinellen Lernens Muster, Korrelationen und Wahrscheinlichkeiten erkennen, die es dem System ermöglichen, neue, in dieser Form bislang nichtexistierende Inhalte zu erzeugen.“ (Grünberger/Klass, Institut für Urheberrecht München, Ankündigung Symposium zu generativer KI am 10.11.2023). Angeregt durch einen Prompt und basierend auf Erkenntnissen und Mustern, die aus riesigen, für den Menschen manuell nicht zu bewältigenden Datenmengen algorithmisch extrahiert wurden, generieren KI-Systeme selbständig neue Inhalte, die nicht in ihren Trainingsdaten enthalten sind (ausführlich Konertz, WRP 2023, 796, 796 f.; Margoni/Kretschmer, GRUR Int. 2022, 685, 687 f.).
De lege lata ist das grundsätzlich vergütungsfrei zulässig. Der alte Trick des Urheberrechts, statt des eigentlich missbilligten Anbietens von Wettbewerbs-Produkten die dafür erforderliche Hilfshandlung des vorübergehenden Vervielfältigens der Lerndaten auf eigene Server der KI-Betreiber anzugreifen, funktioniert nicht. Das erlaubt ausdrücklich der auf Art. 4 Urh-RL (EU) 2019/790 basierende § 44b UrhG, wonach für das Text und Data Mining Vervielfältigungen von rechtmäßig zugänglichen Werken vergütungsfrei vorgenommen und – solange erforderlich – aufbewahrt werden dürfen. Zudem können derartige vorübergehende Vervielfältigungen durch § 44a UrhG, Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-RiL 2001/29/EG gedeckt sein (so ausdrücklich Erwägungsgrund 9 UrhR-RL; Maamar, ZUM 2023, 481, 482 ff.; vgl. Margoni/Kretschmer, GRUR Int. 2022, 685, 691 ff.)
Die am United States District Court, Southern District of New York anhängige Klage Franzens u. a. gegen OpenAI (ChatGPT) u. a. wäre hierzulande also kaum erfolgversprechend. Auf das maschinelle Extrahieren von Erkenntnissen und Mustern könnte sie ebenso wenig gestützt werden wie auf den KI-Output, der schon deswegen nicht angreifbar ist, weil er nicht von einem menschlichen Schöpfer geschaffen wurde (vgl. Konertz, WRP 2023, 796, 800. Selbst wenn die Entwickler der KI einen Algorithmus spendiert haben, der einen detaillierten Entwurf für eine Fortsetzung von „The Corrections“ generieren kann, wie dies in der unter authorsguild. org abrufbaren Klage, Rn. 183 ff., behauptet wird, wäre das nicht angreifbar, denn dieser Algorithmus ist nicht die „schöpferische Formung“ des Roman-Stoffs, sondern nur eine vom Inhalt losgelöste „Anleitung zur Formgestaltung gleichartiger anderer Stoffe“ i. S. d. Sendeformat-Urteils des BGH v. 26.06.2003 – I ZR 176/01, WRP 2003, 1135. Nichts anderes gilt auch für die Anweisung (Prompt) an die KI, einen solchen Entwurf herzustellen, die man als Anstiftung begreifen könnte, nur dass man ein System, das selbständig agiert, nicht anstiften kann.
Neben Appellen bleibt daher erneut nur der Ruf nach dem Gesetzgeber. Dogmatisch fehlt es allerdings an einer urheberrechtlich relevanten Nutzungshandlung, an die die Vergütungspflicht geknüpft werden könnte. Das maschinelle Extrahieren von Mustern und Erkenntnissen aus einer riesigen Datenmenge entspricht den menschlichkognitiven Fähigkeiten des Erlernens und sich Inspirierenlassens, die jedem kreativen Schaffen zu eigen sind, und die von jedem Urheber hingenommen werden müssen. Denn jedes Werk steht mit seiner Veröffentlichung nicht mehr allein seinem Schöpfer zur Verfügung, sondern tritt bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und wird geistiges und kulturelles Allgemeingut (BVerfG, 29.06.2000 – 1 BvR 825/98, NJW 2001, 598 – Germania III; BVerfG, 31.05.2016 – 1 BvR 1585/13, WRP 2016, 822, Rn. 87 – Sampling und Kunstfreiheit). Auch nach Drei-Stufen-Test und fairuse-Konzept des U. S.-copyright ist eine Vergütung nicht gerechtfertigt, da die Urheber durch machine learning und Generierung neuer Inhalte ebenso wenig urheberrechtlich relevante Nachteile erleiden wie durch Werkschöpfungen lebender Künstler.
Dabei verstellt die Diskussion um eine Vergütung den Blick auf die immense Gefahr, die damit unweigerlich einherginge: Kaum weniger als ein Verbotsrecht würde eine Vergütungspflicht dazu führen, dass KI-Systeme im Geltungsbereich des deutschen und europäischen Urheberrechts nicht mehr – oder nur noch mit frei verfügbaren, also z. B. gemeinfreien, freigegebenen oder bereits KI-generierten Inhalten – trainiert würden, was zwangsläufig zu einem entsprechenden bias der Systeme führen würde (ausführlich Margoni/Kretschmer, GRUR Int. 2022, 685, 688 ff.). Dass eine solche Entwicklung, die sich – einmal eingeleitet – nicht mehr einfangen ließe, gefährlich ist, kann man unschwer am aktuellen Zustand sozialer Medien wie Facebook und X ablesen.
Auch im Interesse der lebenden Künstler sollte der Ruf nach einer Vergütungspflicht für KI-Systeme daher ungehört verhallen!
RA Dr. Urs Verweyen, Berlin