Europäisches Designpaket: Wenig Aufregung, trotzdem viel Neues?
Dr. Christine Lehmann
Als die Europäische Kommission Ende November 2022 ihre Vorschläge zur Neufassung der Richtlinie 98/71/EG vom 13.10.1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster veröffentlichte, schien deren Inhalt zunächst wenig spektakulär: Eine Erweiterung des Schutzgegenstands auf neue Designformen, die Überarbeitung der Anmeldegebühren und eine verbindliche Reparaturklausel auch für nationale Designs waren allseits erwartet worden. Entsprechend unaufgeregt verliefen die Verhandlungen in Brüssel. Dass die Verhandlungen nicht im Scheinwerferlicht standen, hat ihnen nicht geschadet. So blieb Raum für sachliche Diskussionen über fachliche Details. Herausgekommen sind zwei modernisierte Rechtsakte mit ausgewogenen Kompromissen dort, wo sich unterschiedliche Interessen gegenüberstanden.
Herzstück der Modernisierung ist die Öffnung des Designbegriffs. Nachdem die Kommission eine begrenzte Ausweitung auf Gegenstände in digitaler Form vorgeschlagen hatte, konnte in den Verhandlungen erreicht werden, dass umfassend physische und nicht-physische Gegenstände einbezogen sind, wodurch der Designbegriff zukunftsorientiert und vor allem technologieoffen ist. So sind nun auch neue Designformen wie zum Beispiel Lichtdesigns geschützt.
Komplett neu ist die weitgehende Harmonisierung der nationalen Eintragungs- und Nichtigkeitsverfahren. Sowohl bei den Verfahrensvorschriften als auch bei den Gebühren für die Anmeldung und Verlängerung von EU-Designs ist es in den Verhandlungen gelungen, das Augenmerk noch stärker auf die Nutzer – und hier vor allem auf kleinere Unternehmen und Start-ups – zu richten. So wurde darauf geachtet, keine unrealistisch hohen Hürden zu schaffen – beispielsweise in Bezug auf die Anforderungen für die Anerkennung des Anmeldetags, aber auch im Hinblick auf die Gebühren des EUIPO.
Bei der Neugestaltung der Gebühren wurde um einen ausgewogenen Kompromiss gerungen. Es galt, darauf zu achten, dass zu hohe Gebühren nicht faktisch den Zugang zum Designschutz verhindern, ohne dass das Design als exklusives Schutzrecht unter Wert verkauft wird. Während die Gebührensätze des Kommissionsvorschlags teilweise zu niedrig schienen, um die Koexistenz von nationalen und europäischen Systemen zu sichern, forderte das Europäische Parlament eine so deutliche Erhöhung, dass Sorge bestand, dass der Designschutz für kleinere Unternehmen und Einzelanmelder unattraktiv würde. In den Trilogen konnte man sich auf eine moderate Erhöhung vor allem der Verlängerungsgebühren verständigen, die die Erstanmelder zunächst nicht belastet. Gleichzeitig wurde insbesondere die vierte Verlängerungsgebühr angehoben, um eine Blockade des Registers zu verhindern.
Dass eine Reparaturklausel für nationale Designs bislang nicht verbindlich vorgegeben ist, hat zu einem Flickenteppich an Regelungen für den nationalen Designschutz geführt. Wichtigster und umstrittenster Punkt der Verhandlungen war dementsprechend die Einführung einer solchen Klausel – der Ausnahme vom Designschutz für Bauelemente zur Reparatur komplexer Erzeugnisse – auch für nationale Designs. Dabei war nicht das „Ob“ einer solchen Klausel umstritten, sondern das „Wie“: Darum, ob sie nur für formgebundene Ersatzteile wie beispielsweise Kotflügel und Kühlerhauben, oder auch für nicht formgebundene Ersatzteile wie beispielsweise Felgen gelten soll, wurde intensiv gerungen – ebenso wie um die Länge einer Übergangsfrist für bereits eingetragene Designs. Die Übergangsfrist von acht Jahren bedeutet zwar, dass die bereits im nationalen Recht geltende Reparaturklausel ausschließlich für neue Designs so nicht fortbestehen kann. Trotzdem ist sie Teil eines insgesamt ausgewogenen Kompromisses: Denn gleichzeitig hat man sich darauf einigen können, den Designschutz nicht über das erforderliche Maß hinaus einzuschränken. Sowohl in der Richtlinie betreffend den nationalen als auch in der Verordnung betreffend den unionsweiten Designschutz wurde klargestellt, dass die Reparaturklausel nur für solche Ersatzteile gilt, die notwendigerweise den Designschutz verletzen müssen, weil deren Gestaltung nun einmal formgebunden ist. Erfreulich ist auch, dass – anders als vom Europäischen Parlament vorgeschlagen – eine einheitliche Umsetzungsfrist durchgesetzt werden konnte und der Binnenmarkt so tatsächlich gefördert wird.
Gilt damit: Ende gut, alles gut? Noch nicht ganz: Grund für die Verzögerung ist ein seltenes Schicksal, welches das Designpaket auf den letzten Metern ereilt hat: Vor der Wahl des Europäischen Parlaments im Juni lagen noch nicht alle Sprachfassungen vor, die für die finale Annahme im Europäischen Rat und Parlament notwendig sind. Hier ist das zuvor so konstruktiv und zügig verhandelte Designpaket schlicht an den Ressourcen des Sprachendienstes gescheitert.
Mittlerweile liegen alle Sprachfassungen vor und bergen für die deutschsprachigen Rechtsanwender einen Wermutstropfen: Während die Richtlinie zukünftig den Begriff „Design“ verwendet, bleibt es in der Verordnung beim „(Unions-)Geschmacksmuster“. Denn die Verordnung wird anders als die Richtlinie nicht komplett neu gefasst, sondern es werden nur einzelne Artikel geändert, so dass keine einheitliche Neufassung des Begriffs in der Verordnung erfolgen konnte. Nun befindet sich das Designpaket mit diesem kleinen Schönheitsfehler auf der Zielgeraden: Nach der finalen Annahme im Europäischen Parlament am 16.09.2024 und im Europäischen Rat am 10.10.2024 steht nur noch die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU aus.
Dr. Christine Lehmann, Berlin