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WRP 2020, I
Becker 

Entscheidungshilfe Nutzerbewertung: Lösungsvorschläge zum Schutz vor Fake-Bewertungen

Abbildung 1

Prof. Dr. Carsten Becker

Fake-Bewertungen im Internet sind ein Dauerbrenner, nicht nur in der verbraucherpolitischen Diskussion, sondern auch vor den Gerichten. Woran liegt das und was lässt sich zur Verbesserung der Situation tun?

Ausgangspunkt ist zunächst die hohe Bedeutung von Nutzerbewertungen auf Online-Plattformen. Verbraucherinnen und Verbraucher orientieren sich für ihre Kaufentscheidungen stark an Bewertungen anderer Nutzer, wobei eine hohe Anzahl an Bewertungen genauso wichtig ist wie eine gute Durchschnittsbewertung oder ein positiver Inhalt der Bewertungen. Dies schlägt wiederum auf den Absatz einer Ware oder einer Dienstleistung durch: Viele und positive Bewertungen räumen das Lager eines Dritthändlers auf dem Online-Marktplatz, während eine negative Bewertung eines Arztes diesem ernsthafte Einbußen bescheren kann.

Die Möglichkeiten der Anbieter, für eine Bewertung ihrer Produkte zu sorgen, sind allerdings stark eingeschränkt. So sehr man Nutzerbewertungen für die Kaufentscheidung schätzt, so gering ist oft die eigene Bereitschaft, ein bestelltes Produkt unentgeltlich zu bewerten. Nun ließe sich die Zahl steigern, indem Anreize geschaffen werden, sei es zur Abgabe einer Bewertung im Nachgang zu einer Bestellung („incentivierte Bewertung“) oder sei es überhaupt zur Nutzung des betreffenden Produkts und seiner anschließenden Bewertung („Produkttest“). Eine Erhöhung der Zahl an Bewertungen ist ökonomisch vorteilhaft, weil mehr Bewertungen Verbrauchern mehr Informationen geben. Wenn mehr Verbraucher eine Bewertung abgeben, trägt dies außerdem dazu bei, die Vielfalt der Verbrauchererfahrungen besser widerzuspiegeln. Schließlich sind Bewertungen, für die der Verfasser einen Anreiz erhalten hat, häufig sorgfältiger und ausführlicher geschrieben. Anreize für Bewertungen können monetärer Natur sein, wie eine kostenlose oder vergünstigte Überlassung des Produkts, die Belohnung mit einem kleinen Gutschein oder der Teilnahme an einem Gewinnspiel. Damit die ökonomischen Vorteile nicht durch Irreführungen zunichte gemacht werden, müssen so zustande gekommene Bewertungen klar und eindeutig gekennzeichnet werden.

In der Praxis kommt es aber in der Regel gar nicht dazu, dass monetär incentivierte Bewertungen und Produkttests durchgeführt werden, denn beides wird inzwischen von allen wichtigen Portalen ausgeschlossen – ungeachtet der genannten Vorteile und obwohl diese Bewertungen bei entsprechender Kennzeichnung lauterkeitsrechtskonform wären. Es finden sich lediglich auf manchen Portalen nicht-monetäre Anreize, etwa durch die Verleihung bestimmter Titel („Edelmann“) und Auszeichnungen („Top-Bewerter“). Diese „Gamifikation“ wird dann von den Portalen selbst organisiert. Ihre Wirkung ist naturgemäß begrenzt und auf einen möglicherweise sehr speziellen Personenkreis eingeschränkt.

Der kategorische Ausschluss monetär incentivierter Bewertungen und Produkttests führt dazu, dass sich zumindest einige Anbieter für den illegalen Weg entscheiden, Bewertungen zu kaufen und diese auf einem Portal einstellen zu lassen, ohne dass eine Kennzeichnung erfolgt. Nicht selten wird dem Verfasser dann zugleich eine Fünf-Sterne-Bewertung abverlangt („manipulierte Bewertung“). Solche Bewertungen sind ökonomisch schädlich, da sie die Verbraucher zu falschen Entscheidungen verleiten und überdies den Wettbewerb zu den sich lauter verhaltenden Anbietern verzerren können. Das Angebot hierfür ist mittlerweile sehr breit geworden. So sind unseriöse Angebote bei entsprechender Stichwortsuche im Internet leicht zu finden und im E-Mail-Eingang von Gewerbetreibenden mittlerweile an der Tagesordnung. Geht ein Anbieter darauf ein, kostet ihn eine Bewertung bis zu 50 €. Nutzer werden ungeniert über WhatsApp- und Telegram-Gruppen für das Verfassen solcher dubiosen Bewertungen akquiriert. In der Regel erhalten sie das zu testende Produkt umsonst, aber keine darüberhinausgehende Bezahlung.

Diese und weitere Erkenntnisse finden sich im Bericht des Bundeskartellamts zur Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen von Oktober 2020. Das Bundeskartellamt kann seit Juni 2017 im öffentlichen Interesse Wirtschaftszweige untersuchen, wenn ein begründeter Verdacht auf Verbraucherrechtsverstöße in einer Vielzahl von Fällen besteht (§ 32e Abs. 5 GWB). Abstellen kann das Amt solche Verstöße allerdings nicht (vgl. Mundt, Editorial, WRP Heft 9/2018).

Was können die Akteure dazu beitragen, die Angebotslücke bei Nutzerbewertungen ein Stück weit zu schließen und gleichzeitig Fake-Bewertungen zurückzudrängen? Hier schlägt das Bundeskartellamt in seinem Bericht neben der stärkeren Sensibilisierung der Verbraucher für die Gefahren auch neue Wege vor:

Erstens sollten Portale Möglichkeiten für Anbieter schaffen, auf legalem Wege einen Bestand an Nutzerbewertungen für ihre Produkte aufzubauen. Befragungen im Rahmen der Sektoruntersuchung haben gezeigt, dass es seriöse Konzepte gibt, mit denen Produkttester unbeeinflusst vom Anbieter Nutzerbewertungen abgeben können. Der Rechtsprechung könnte dabei die Aufgabe zukommen, über die angemessene Kennzeichnung und ggf. auch nochmal über das angemessene Ausmaß eines kennzeichnungspflichtigen Anreizes zu befinden.

Zweitens sollten Portale mehr Verantwortung für die Identifizierung von Fake-Bewertungen auf ihren Seiten übernehmen, was mittels Algorithmen und Machine Learning inzwischen mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden kann und vereinzelt auch bereits erfolgt. Die weit verbreiteten automatisierten Filter zur Identifizierung von Schmutzworten oder Diskriminierungen sollten bei der Zulässigkeitsprüfung von Nutzerbewertungen eher einen Mindeststandard als das Ende der Entwicklung darstellen. Nachdem die Rechtsprechung für die ex post-Korrektur das Notice-and-take-down-Verfahren entwickelt hat, wäre es insofern nun Zeit für verpflichtende Maßnahmen ex ante.

Prof. Dr. Carsten Becker, Bonn

 
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