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WRP 2023, I
Köhler 

Die Legalisierung gewerblich finanzierter Gewinnabschöpfungsklagen – Ein Fall für den EuGH?

Abbildung 1

Prof. Dr. Helmut Köhler

Der Gewinnabschöpfungsanspruch (§ 10 UWG) galt nach seiner Einfügung in das UWG 2004 zunächst als „Papiertiger“, weil es zu keinen entsprechenden Klagen kam. Das änderte sich, als das Bundesamt für Justiz (BfJ) mit einem Erlass vom 01.12.2006 den anspruchsberechtigten Verbänden die Einschaltung eines gewerblichen Prozessfinanzierers ermöglichte. Alsdann sprudelte die Quelle der Einnahmen des Bundeshaushalts. Dem bereitete der BGH in den Entscheidungen „Prozessfinanzierer I“ (BGH, 13.09.2018 – I ZR 26/17, WRP 2018, 1452) und „Prozessfinanzierer II“ (BGH, 09.05.2019 – I ZR 205/17, WRP 2019, 1009) jedoch ein jähes Ende. Die Begründung auf den Punkt gebracht: Von einer erfolgreichen Gewinnabschöpfungsklage würden letztlich nur der Bundeshaushalt, die klagenden Anwälte und der Prozessfinanzierer profitieren. Die Einschaltung gewerblicher Prozessfinanzierer stelle daher einen Missbrauch i. S. des § 242 BGB dar. In der Folgezeit kamen Gewinnabschöpfungsprozesse weitgehend zum Erliegen (vgl. BT-Drs. 20/6520, S. 125).

Zu einer neuerlichen Wende kam es im Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) vom 07.07.2023. Der Gesetzgeber nutzte die (verspätete) Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie (EU) 2020/1828 nämlich zu einer Wiederbelebung des – darin gar nicht vorgesehenen – Gewinnabschöpfungsanspruchs. Er erklärte in § 10 UWG Abs. 6 n. F. die Prozessfinanzierung unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Den Gesetzesmaterialien (RegE BT-Drucks. 20/6520, S. 125 v. 24.04.2023) zufolge soll diese Maßnahme der „Flankierung der neugeschaffenen Regelungen über Abhilfeklagen“ dienen. Darin wurde nämlich ebenfalls die Einschaltung eines Prozessfinanzierers unter bestimmten Voraussetzungen gestattet (vgl. § 4 Abs. 2 und 3 VDuG). Offenbar war man der Meinung, wenn bei der Abhilfeklage eine Prozessfinanzierung zulässig sei (dazu Meller-Hannich, Editorial WRP Heft 10/2023), müsse dies folgerichtig auch für die Gewinnabschöpfungsklage gelten.

Aber bringt diese Neuregelung wirklich einen Nutzen oder umgekehrt eher einen Nachteil für die Verbraucher? Dazu ist an die Rechtslage im Jahr 2004 zu erinnern. Damals konnten nur Mitbewerber, nicht aber Verbraucher und sonstige Abnehmer vom Verletzer Schadensersatz verlangen. Der Anspruch auf Abführung des „Unrechtsgewinns“ an den Bundeshaushalt sollte daher in erster Linie der Abschreckung dienen. Seit Einführung des Verbraucherschadensersatzanspruchs in 9 Abs. 2 S. 1 UWG und nunmehr der Abhilfeklage in den §§ 14 ff. VDuG hat aber dieser Anspruch weitgehend seine innere Rechtfertigung, gewissermaßen seine raison d’être, verloren.

Mehr noch: Ein Nebeneinander von Gewinnabschöpfungs-, Verbraucherschadensersatz- und Abhilfeklagen gegen den Schuldner kann zu einer Vielzahl parallel geführter Streitigkeiten vor Amtsgerichten (§ 14 Abs. 4 UWG), Landgerichten (§ 14 Abs. 1 UWG) und Oberlandesgerichten (§ 3 VDuG) und dementsprechend zu widerstreitenden Entscheidungen führen, von den damit verbundenen Verfahrenskosten und der Belastung der Gerichte ganz zu schweigen.

Vor allem aber: Was nutzt es den Verbrauchern, wenn ein Verband einen Gewinnabschöpfungsprozess erfolgreich führt und der Schuldner seinen „Unrechtsgewinn“ an den Bundeshaushalt abführt, von dem zuvor noch dem Prozessfinanzierer der versprochene Anteil am „Erlös“ ausgezahlt werden muss? Es bleibt ihnen nicht erspart, selbst einen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner geltend zu machen oder sich einer Abhilfeklage anzuschließen. Aber auch bei einem Erfolg der Abhilfeklage wird nicht der volle „Erlös“ an sie ausgeschüttet, sondern es müssen daraus zuvor noch der Anteil des Prozessfinanzierers und die Kosten der Verteilung bezahlt werden.

Schließlich: Der Schuldner wird letztlich zweimal zur Kasse gebeten und er muss anschließend vom BfJ nach § 10 Abs. 2 S. 2 UWG „den abgeführten Gewinn in Höhe der nachgewiesenen Zahlungen zurückverlangen“. Ist aber der abgeführte Gewinn nicht nur durch sonstige Zahlungen „an Dritte oder den Staat“ (§ 10 Abs. 2 S. 1 UWG), sondern auch durch den Gewinnanteil des Prozessfinanzierers geschmälert, kann er eben nicht die gesamten an die Verbraucher gezahlten Beträge zurückverlangen. Vielmehr bleibt er auf den Kosten dieses Gewinnanteils sitzen, weil dieser Betrag eben nicht an den Bundeshaushalt abgeführt wurde. Im Übrigen sind auch die zusätzlichen Verfahrenskosten zu bedenken, die bei einer Gewinnabschöpfungsklage beim Schuldner anfallen.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Zum einen sollte der Schutz der Verbraucher durch eine Streichung des § 9 Abs. 2 S. 2 UWG erweitert und der Schutz der sonstigen Marktteilnehmer durch ihre Einbeziehung in den § 9 Abs. 2 UWG verbessert werden. Zum anderen sollte nicht nur die Legalisierung der gewerblichen Finanzierung von Gewinnabschöpfungsklagen rückgängig gemacht, sondern der § 10 UWG insgesamt aufgehoben werden. Ob sich dies politisch durchsetzen lässt, ist eine andere Frage.

Was aber aktuell für die Gerichte bleibt, ist der Weg zum EuGH. Sie könnten dem EuGH die Frage vorlegen, ob § 10 UWG in seiner derzeitigen Fassung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Weder die UGP-Richtlinie 2005/29/EG noch die Verbandsklagen-Richtlinie (EU) 2020/1828 kennen nämlich einen Gewinnabschöpfungsanspruch. Es gibt ihn – soweit ersichtlich – auch nicht in anderen Mitgliedstaaten. Angesichts der in diesen Richtlinien geschaffenen Regelungen zum Schutze der Verbraucher wäre jedenfalls an einen Verstoß des § 10 UWG gegen Art. 13 Abs. 1 UGP-Richtlinie zu denken. Danach müssen Sanktionen der Mitgliedstaaten, die bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu verhängen sind, „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“. Diesen Anforderungen dürfte der neue § 10 UWG vermutlich nicht genügen.

Prof. Dr. Helmut Köhler, München

 
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