Die DSGVO und das Wettbewerbsrecht
Heiko Dünkel
Manchmal brauchen Dinge Zeit. Gelegentlich auch etwas mehr davon. Als der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) im August 2012 eine Abmahnung an die irische Facebook-Tochter (inzwischen Meta) in die Post gab, konnte sich niemand vorstellen, dass an einem rückblickend eher übersichtlichen Datenschutzverstoß im Spielecenter des sozialen Netzwerkes Facebook einmal grundlegende Fragen zum Verhältnis von Datenschutz- und Wettbewerbsrecht durchgespielt werden. Kernfrage ist dabei, wer hierzulande Datenschutzrecht durchsetzt: Ausschließlich die hierfür eingerichteten unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder mit ihren komplizierten Abstimmungserfordernissen und Zuständigkeitskonzentrationen vor allem in Irland? Oder daneben auch qualifizierte Einrichtungen mit der Befugnis, Verstöße gegen Verbraucher- und Wettbewerbsrecht abzustellen?
Vorläufiger Höhepunkt dieser langjährigen Kontroverse, zu der auch Köhler als einer der beiden Herausgeber dieser Zeitschrift einige Aufsätze beigetragen hat, wird nun der für den 28.04.2022 angesetzte Verkündungstermin vor dem EuGH (C-319/20, Meta Platforms Ireland/vzbv) sein. Der BGH hatte das Verfahren nach immerhin zwei mündlichen Verhandlungen im Mai 2020 schließlich ausgesetzt und eine Reihe von Fragen vorgelegt (BGH, 28.05.2020 – I ZR 186/17, WRP 2020, 1182 – App-Zentrum). Interessanterweise geht es dabei nicht nur um die Datenschutzklagebefugnis von Verbraucherverbänden, sondern auch von Mitbewerbern. Mangels Entscheidungsrelevanz für den Ausgangsfall könnte insbesondere der letzte Aspekt auch weiterhin unbeantwortet bleiben.
All das war bereits zum Start des Verfahrens alles andere als unumstritten. Seitdem hat sich die Komplexität der zu klärenden Fragen noch einmal deutlich erhöht. So räumte die damals noch geltende Europäische Datenschutzrichtlinie (RL 95/46/EG) den Mitgliedstaaten immerhin einen weiten Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung der Rechtsschutzinstrumente ein: Sie „ergreifen geeignete Maßnahmen, um die volle Anwendung der Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen“. Denkbare Hebel ins Datenschutzrecht waren dabei vor allem Verstöße gegen das AGB-Recht und gegen das UWG. Beides war jedoch mit einem gewissen Risiko behaftet. So kann nicht jeder Information in der Datenschutzerklärung eines Dienstes ein vertragsregelnder Charakter unterstellt werden. Und ob es sich bei einzelnen Normen des Datenschutzrechtes um Marktverhaltensregeln handelte, beantworteten die Gerichte recht unterschiedlich.
Für etwas mehr Rechtssicherheit sollte 2016 eine Einfügung in § 2 UKlaG bringen, die bestimmte datenschutzrechtliche Vorschriften nunmehr als Verbraucherschutzgesetze definierte. Doch auch diese Möglichkeit schaffte es vor den EuGH, der 2019 die Vereinbarkeit mit der Datenschutzrichtlinie bestätigte (29.07.2019 – C-40/17, WRP 2019, 1146 – Fashion ID/Verbraucherzentrale NRW). Leider hatte es das vorlegende OLG Düsseldorf versäumt, auch gleich noch nach der Vereinbarkeit mit dem neuen Art. 80 Abs. 2 DSGVO zu fragen. Dieser erlaubt es Verbraucherverbänden, „unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person“ einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen. Allerdings nur, soweit das Recht eines Mitgliedstaates dies vorsieht. Diese Formulierung, zudem noch unter der Überschrift „Vertretung von betroffenen Personen“, ist zugegebenermaßen höchst auslegungsbedürftig. Einen expliziten deutschen Umsetzungsakt gibt es nämlich nicht, gleichwohl aber die oben aufgeführten Hebel im UWG und UKlaG. Allerdings ist bereits strittig, ob Art. 80 DSGVO überhaupt die Prüfung objektiven Datenschutzrechts zulässt, oder lediglich die Durchsetzung der Betroffenenrechte von individualisierbaren Verbrauchern. Und schließlich, ob das gegenüber der alten Datenschutzrichtlinie wesentlich detaillierter beschriebene Rechtsschutzsystem der DSGVO abschließend ist, oder daneben wettbewerbsrechtliche Verstöße gegen Marktverhaltensregeln denkbar sind. Die im Dezember 2021 veröffentlichten Schlussanträge von Generalanwalt de la Tour im nun anstehenden EuGH-Verfahren plädieren für eine sehr weitgehende Klagebefugnis von Verbraucherverbänden: „Bei Art. 80 Abs. 2 könne schon wegen seines fakultativen Charakters und der damit verbundenen potenziellen Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften nicht von einer umfassenden Harmonisierung der Verbandsklage ausgegangen werden.“.
Das müsste eigentlich all diejenigen freuen, die eine mangelnde Durchsetzung der DSGVO vor allem gegenüber den großen datengetriebenen Geschäftsmodellen beklagen. Denn in den unteren Instanzen stapeln sich inzwischen die Verfahren des vzbv gegen Google, Twitter und Co. und warten auf eine Entscheidung in Luxemburg. Ob sich der EuGH dabei allerdings von einer ausgefeilten deutschen Wettbewerbsrechtsdogmatik leiten lässt, bleibt einstweilen abzuwarten und soll in einem späteren Aufsatz beleuchtet werden.
Heiko Dünkel, Berlin