Crashkurs zum UWG-Leistungsschutz
Prof. Dr. Thomas Sambuc
Mit seinem in diesem Heft abgedruckten Urteil „Segmentstruktur“ (04. 05. 2016 – I ZR 58/14, WRP 2017, 51) hat der BGH nicht nur einen Rechtsstreit entschieden, sondern auch einen Kurzlehrgang zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz mit § 4 Nr. 3 und (neu!) Nr. 4 UWG verfasst.
Für die Eiligen unter den WRP-Lesern wird dieser Crashkurs nachstehend noch einmal komprimiert. Die weniger Eiligen seien gleichwohl ermutigt, sich das Urteil – ungeachtet seines etwas sperrigen Sachverhalts – ausführlich zu Gemüte zu führen. Ist es doch – vor allem verglichen mit dem bürokratischen Stakkato, das zuweilen aus Luxemburg zu lesen ist – wohltuend gründlich, abwägend und argumentativ.
Es ging um eine Datenbankstruktur, die die Klägerin für regionale Pharma-Marktberichte geschaffen hatte und die in 1.860 geographische Einheiten (Segmente) gegliedert war. Diese Segmentstruktur hatte die Beklagte nach dem Vortrag der Klägerin ganz oder teilweise übernommen.
Das Berufungsurteil gab dem BGH Anlass, eine ganze Reihe immer wiederkehrender Themen des UWG-Leistungsschutzes anzusprechen. Ausdrücklich ändert er seine bisherige Rechtsprechung durch
-
die Aufgabe der Unlauterkeitsfallgruppen „Einschieben in fremde Serie“ und „Saisonschutz“, vgl. unten Ziff. 13 sowie
-
die Verlagerung der unlauteren Behinderung durch Nachahmung von § 4 Nr. 3 nach Nr. 4 (gezielte Mitbewerberbehinderung), vgl. unten Ziff. 17 f.
Ansonsten:
1. Grundsätzlich herrscht Nachahmungsfreiheit, Rn. 77 der Entscheidung.
2. Nachahmung setzt Kenntnis des Vorbilds voraus. Selbständige Zweitentwicklungen sind keine Nachahmungen, Rn. 64.
3. Außerdem muss das nachgeahmte dem Originalprodukt soweit ähneln, dass dieses sich aufgrund des Gesamteindrucks wiedererkennen lässt, Rn. 64.
4. Dies kann aufgrund wettbewerblicher Eigenart des nachgeahmten Erzeugnisses der Fall sein, die für die Erfüllung der Tatbestände der vermeidbaren Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 a UWG) und/oder der Rufausbeutung (§ 4 Nr. 3 b UWG) zwingend erforderlich ist.
5. Wettbewerblich eigenartig ist ein Produkt, wenn seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen, Rn. 52.
6. Die Merkmale, die dies ermöglichen, müssennachvollziehbar vorgetragen und festgestellt werden, Rn. 58 f.
7. Damit wird der wettbewerbsrechtliche Schutzgegenstand und -umfang bestimmt sowie die Feststellung einer Verletzungshandlung ermöglicht, Rn. 58.
8. Für diese Feststellung ist die Verkehrsanschauung maßgeblich, Rn. 52.
9. Schöpferische Individualität i. S. v. § 4 Abs. 2 UrhG (hier: des Datenbankwerks) ist für die wettbewerbliche Eigenart weder erforderlich (Rn. 56) noch ausreichend (Rn. 57 i. V. m. Rn. 48).
10. Auch der Grad der wettbewerblichen Eigenart bedarf ausdrücklicher Feststellung (wegen seiner Wechselwirkung mit der Intensität der Nachahmung und sonstigen unlauteren Umständen sowie der erforderlichen Interessenabwägung), Rn. 62.
11. UWG-Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 3 oder Nr. 4 UWG setzt lauterkeitsrechtlich missbilligtes Verhalten voraus, Rn. 96.
12. Ob daneben ein direkter (nicht durch unlautere Begleitumstände vermittelter) Leistungsschutz mit der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG in Frage kommt, bleibt (weiterhin) offen, Rn. 97.
13. Der bisherige Leistungsschutz gemäß der Rechtsprechung zum „Einschieben in eine fremde Serie“ und zum „Saisonschutz“ von modischer Bekleidung wird aufgegeben, Rn. 96.
14. Die Ansprüche aus § 4 Nr. 3 UWG stehen grundsätzlich dem Hersteller des Originalprodukts zu, Rn. 37.
15. Das ist der, der es in eigener Verantwortung herstellt (oder herstellen lässt) und über das Inverkehrbringen entscheidet, Rn. 37.
16. Die Dauer des urheberrechtlichen Leistungsschutzes hängt von der (Fort-)Dauer der Unlauterkeit ab, Rn. 92. Feste zeitliche Grenzen (wie bei den Sonderschutzrechten) gibt es nicht, Rn. 94.
17. Die zu § 1 UWG 1909 entwickelte Fallgruppe der Behinderung durch Nachahmung hat in § 4 Nr. 3 UWG keinen Platz mehr, Rn. 79.
18. Diese Tatbestände sind künftig in § 4 Nr. 4 UWG (gezielte Behinderung von Mitbewerbern) zu verorten, Rn. 79.
19. Auch dort gilt die sog. „dreifache Schadensberechnung“, Rn. 79.
Für die prozessuale Praxis scheinen zwei Aspekte des Urteils besonders wichtig:
Zum einen lässt der BGH die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe im Klagantrag unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) recht großzügig zu (Rn. 19 ff.).
Andererseits mahnt er bei den Klägervertretern und den Instanzgerichten mehr Sorgfalt bei Sachvortrag und -feststellung hinsichtlich der wettbewerblichen Eigenart an. Auf beiden Ebenen verbietet sich apodiktisches Vorgehen: „Konkret“ und „nachvollziehbar“ müssen die angeblich Eigenart begründenden Merkmale festgestellt werden. Das war schon einmal in BGH, 06. 11. 1997 – I ZR 102/95, WRP 1998, 377 = GRUR 1998, 477 – Trachtenjanker m. Anm. Sambuc eingefordert worden (s. dort auch zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen Kläger und Beklagtem), scheint aber einer Auffrischung bedurft zu haben.
RA Prof. Dr. Thomas Sambuc, LL.M. (Yale)