Allgemeiner Geschäftsgeheimnisschutz im Zivilprozess – „Große kleine Lösung“?
RA Dr. Simon Apel
Geheimnis und Öffentlichkeit sind wie Feuer und Wasser – kommt es zum Kontakt, ist es mit ersterem vorbei. Im „Grünen Bereich“ kennt man das Konfliktverhältnis vor allem aus dem Patent- bzw. Gebrauchsmusterrecht (Stichwort: neuheitsschädliche Vorveröffentlichung durch den Anmelder selbst) und aus dem – seit 2019 eigenständig im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) geregelten – Recht der Geschäftsgeheimnisse.
Während sich (Geschäfts-)Geheimnisse dadurch auszeichnen, dass sie nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind, ist im Prozessrecht die Öffentlichkeit der „default“ (§ 169 GVG); Ausnahmen sind selten. Auch die ergangenen Urteile werden oft – mehr oder weniger aufwändig geschwärzt (anschaulich Zenthöfer, myops 48 [2023], 72) – an (unbeteiligte) Dritte herausgegeben (vgl. nur BGH, 05.04.2017 – IV AR(VZ) 2/16, NJW 2017, 1819), publiziert (vgl. nur BVerwG, 26.02.1997 – 6 C 3/96, NJW 1997, 2694) oder gar auf Antrag des Gegners bekanntgemacht (vgl. nur den Anspruch in § 21 GeschGehG; Apel, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, 2022, § 21 Rn. 1, 17 ff.). Dies stürzt den Geheimnisinhaber vor allem dann in Konflikte, wenn er zur Begründung seines Anspruchs oder zur Verteidigung gegen die gegen ihn gerichteten Ansprüche eigene Geheimnisse im Gerichtsprozess offenlegen müsste; gelegentlich verzichtet er zum Schutz seines Geheimnisses hierauf und riskiert den Prozessverlust (bekanntes Beispiel: LG München I, 20.12.2018 – 7 O 10496/17, BeckRS 2018, 33572 – Qualcomm/Apple) – eine unbefriedigende Situation (eingehend Steinbrück/Höll, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, 2022, Vor § 15 Rn. 2 ff.).
Nach bestimmten, in der Praxis entwickelten Verfahren zum Geheimnisschutz in einigen zivilprozessualen Konstellationen (Stichwort: „Düsseldorfer Modell“, insbesondere in Patentstreitigkeiten) hat in den letzten Jahren auch der Gesetzgeber Maßnahmen zu dessen Stärkung getroffen: In §§ 16–20 GeschGehG wurden, in Umsetzung der GeschGehG-RL (EU) 2016/943, Regelungen für „Geschäftsgeheimnisstreitsachen“ aufgenommen. Dies brachte insbesondere die Möglichkeit für das Gericht, auf Antrag mit Ordnungsmitteln bewehrte Geheimhaltungsanordnungen für die das betreffende Geschäftsgeheimnis ausmachenden Informationen zu treffen (§§ 16 f. GeschGehG). Diese verpflichten die beteiligten Personen – insbesondere die Parteien – zur Vertraulichkeit und verbieten eine eigene Nutzung der betreffenden Informationen außerhalb des Prozesses (dies geht über § 174 Abs. 3 S. 1 GVG hinaus). Entscheidungen, die solche Informationen wiedergeben, dürfen Dritten nur geschwärzt überlassen werden (§ 16 Abs. 3 GeschGehG). Ein Ausschluss der Öffentlichkeit ist ebenfalls möglich (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GeschGehG). Auch kann das Gericht aussprechen, dass nur bestimmte Personen auf Seiten der Parteien Zugang zu den betreffenden Informationen erhalten dürfen, darunter aber stets mindestens eine natürliche Person auf Seiten der beteiligten jeweiligen Parteien und ihre (Prozess-)Vertreter (§ 19 Abs. 1 S. 2 GeschGehG).
Diese Regelungen weisen zwei Schwachstellen auf, die im hiesigen Rahmen zu behandeln sind.
Zunächst sind sie nur auf Geschäftsgeheimnisse in Geschäftsgeheimnisstreitsachen anwendbar. Dies sind nur Verfahren, in denen Ansprüche nach dem GeschGehG geltend gemacht werden (§ 16 Abs. 1 S. 1 GeschGehG) oder jedenfalls die Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses geltend gemacht wird (Pichlmaier/Oldekop, in: Hoppe/Oldekop, Geschäftsgeheimnisse, 2. Aufl. 2023, Kap. 3 Rn. 10 ff. m. w. N.). Die h. M. sieht hiervon zwar die Aktiv- und Passivseite umfasst (sodass in Geschäftsgeheimnisstreitsachen auch Geschäftsgeheimnisse des Beklagten oder Antragsgegners „schützbar“ sind, s. nur Steinbrück/Höll, in: Brammsen/Apel, GeschGehG, 2022, § 16 Rn. 19), wenn es nicht um GeschGehG-Ansprüche geht, sind die Regelungen unanwendbar.
Weiter ist problematisch, dass die jeweils andere Partei nicht gänzlich von einer unmittelbaren persönlichen Kenntnis der Geschäftsgeheimnisse der anderen Partei ausgeschlossen werden kann und insoweit auf ihre zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Vertreter und Berater verwiesen wäre. Dies ist aus „fair trial“-Gesichtspunkten verständlich, beseitigt aber nicht das Risiko, dass Geschäftsgeheimnisse beim Gegner bekannt werden und dort – Verletzungen sind schwer nachweisbar – trotz Ordnungsmittelandrohung „einsickern“.
Der Gesetzgeber will nun zumindest die erste Schwachstelle beseitigen. Im jüngst vorgelegten Referentenentwurf „eines Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz)“ ist ein neuer § 273a ZPO vorgesehen, der §§ 16 ff. GeschGehG für jedwede Rechtsstreitigkeiten für anwendbar erklärt, in denen Geschäftsgeheimnisse streitgegenständlich sind. Das ist ausdrücklich zu begrüßen und vermeidet weiteres Stückwerk (wie § 145a PatG für das Patentrecht) – insoweit stellt dies eine „große Lösung“ dar.
Die zweite Schwachstelle ist der Gesetzgeber – trotz bestehenden Problembewusstseins, dass insoweit deutsche Gerichte einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Jurisdiktionen und Schiedsgerichten haben (Begründung RefE S. 13) – nicht mehr angegangen. Hier bleibt es bei der „kleinen Lösung“.
Darüber hinaus fragt man sich, warum die §§ 16 ff. GeschGehG nicht in die ZPO überführt werden sollen. Dies mag erklärbar sein, weil § 273a ZPO nur auf Informationen anwendbar sein soll, die Geschäftsgeheimnisse i. S. d. GeschGehG sind, aber das hätte sich auch durch einen Verweis auf die Definition im GeschGehG lösen lassen. Zudem bleibt unklar, warum Geschäftsgeheimnisse, die nicht unter den im GeschGehG umgesetzten, harmonisierten Geschäftsgeheimnisbegriff fallen (zum Problem Apel/Nickl, K&R 2022, 385 f. m. w. N.), nicht erfasst sein sollen. Nach alledem mutet § 273a ZPO daher momentan wie eine „große kleine Lösung“ an. Es wäre zu wünschen, dass der Gesetzgeber hier noch nachbessert.
RA Dr. Simon Apel, Mannheim