10. GWB-Novelle – Problem des Datenzugangs gelöst?
Prof. Dr. Tobias Lettl, LL.M.
Um den Herausforderungen der digitalen Ökonomie zu begegnen (und die Richtlinie (EU) 2019/1- „ECN+-Richtlinie“ umzusetzen), macht der nunmehr vorliegende Referentenentwurf für eine 10. GWB-Novelle teilweise weitreichende Vorschläge. Diese erstrecken sich von einer deutlichen Erweiterung der Missbrauchsaufsicht über Anpassungen in der Fusionskontrolle, der privaten Kartellrechtsdurchsetzung, des Verwaltungsverfahrens und des Bußgeldverfahrens.
Da ein Gesamtüberblick über sämtliche Bestandteile des Entwurfs an dieser Stelle nicht möglich ist, sei aus den Regelungsvorschlägen im Hinblick auf die Digitalisierung, nämlich (1) Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten, (2) Intermediationsmacht, (3) Tipping und Erweiterung der relativen Marktmacht, (4) Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung und (5) Einstweilige Maßnahmen, die vor allem im digitalen Bereich so herausragende Frage nach dem Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten herausgegriffen.
Denn gerade im digitalen Bereich sind vor allem (Kunden-)Daten der Maßstab und die Grundlage für Erfolg im Wettbewerb. Die Frage des Zugangs zu Daten als einer so grundlegenden Ressource für wirtschaftliche Tätigkeit stellt sich nicht nur im Hinblick auf die kritisch zu betrachtende Datenmacht von Amazon, Apple, Facebook, Google und Co. So hat z. B. Airbus angekündigt, künftig von Wartungs-Unternehmen die Zahlung einer „Daten-Gebühr“ für den Zugang zu Wartungsdaten zu verlangen. Der Referentenentwurf, der auch Konstellationen dieser Art im Blick hat, widmet sich der Frage des „Datenzugangs“ an mehreren Stellen. So ist die mögliche Bedeutung von Daten für die Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung in den Katalog des § 18 Abs. 3 GWB-RefE aufgenommen worden. Angesichts des § 18 Abs. 3a GWB handelt es sich dabei – wie die Begründung selbst offen legt – indes lediglich um eine Klarstellung.
§ 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB soll sich künftig auch auf die Verweigerung des Zugangs zu Daten gegen angemessenes Entgelt erstrecken, soweit „die Belieferung objektiv notwendig ist, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein und die Lieferverweigerung den wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten droht, es sei denn, die Lieferverweigerung ist sachlich gerechtfertigt.“ Höchst interessant erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis in der Begründung, dass die Beibehaltung der Formulierung „gegen angemessenes Entgelt“ nicht ausschlösse, dass insbesondere bei Daten auch eine unentgeltliche Zugangsgewährung in Betracht komme. Der Vorschlag von § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE erstreckt also ausdrücklich die Essential-Facilities-Doktrin auch auf nichtphysische Infrastruktureinrichtungen wie Daten und begründet einen Datenzugangsanspruch für Wettbewerber. Damit kommt es zu einer Verbesserung des Zugangs zu „Gatekeepern“ insbesondere im digitalen Bereich.
Innovativ erscheint die Einführung des Begriffs des „Unternehmens mit überragender marktübergreifender Bedeutung“ in § 19 a GWB-RefE, wobei hierfür der „Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten“ einen wichtigen Umstand darstellt (vgl. § 19a Abs. 1 S. 2 Nr. 4 GWB-RefE).
Eine weitere inhaltliche Neuregelung im Hinblick auf den Zugang zu Daten findet sich in § 20 Abs. 1a S. 1 GWB-RefE. Danach kann die Kontrolle eines Unternehmens über den Zugang zu Daten die Grundlage relativer Marktmacht bilden. So kann ein Unternehmen, das für die eigene Tätigkeit auf den Zugang zu Daten angewiesen ist, die ein anderes Unternehmen kontrolliert, von diesem abhängig sein. Bei unbilliger Behinderung oder sachlich nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung ergibt sich daraus nach der Begründung des Entwurfs ein Datenzugangsanspruch. Insoweit stellt § 20 Abs. 1a S. 2 GWB-RefE klar, dass auch die Verweigerung des Zugangs zu Daten, die das relativ marktmächtige Unternehmen noch nicht zur Verfügung gestellt hat, eine unbillige Behinderung begründen kann.
Ob die geplanten Änderungen des GWB im Hinblick auf den Datenzugang tatsächlich zu mehr Wettbewerb führen, ist schwer vorauszusagen, zumal die so grundlegende Frage der Interoperabilität im Wortlaut des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE nicht beantwortet ist (vgl. dazu lediglich § 19a Abs. 2 GWB-RefE). Dasselbe gilt für die Frage der Anwendung von § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE auf Schutzrechte des geistigen Eigentums wie Patentrechte oder Urheberrechte an Software, die für die Erbringung einer Leistung objektiv erforderlich sind. Besondere Bedeutung im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs durch den Zugang zu Daten kommt der konkreten Rechtsanwendung durch die Kartellbehörden und die Rechtsprechung zu. Denn ihre Aufgabe wird es sein, die geplanten Regelungen zum Datenzugang nach ihrem Inkrafttreten zu wirksamen Instrumenten für die Freiheit des Wettbewerbs zu machen, so dass dann die gerade im Hinblick auf die großen Internetkonzerne teilweise geführten Zerschlagungsdiskussionen verstummen können.
Prof. Dr. Tobias Lettl, LL.M., Potsdam