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RIW 2022, I
Aden 

Wirtschaftssanktionen und Menschenrechte

Abbildung 1

Mehr Schutz der Zivilbevölkerung bei Wirtschaftssanktionen!

Wirtschaftssanktionen zur Durchsetzung politischer Ziele sind seit langem im Gebrauch. In einer Welt, die ohne Kriege auskommen soll, sind sie als Zwangsmittel manchmal unverzichtbar. In den letzten Jahrzehnten ist es aber zu einer inflationsartigen Verbreitung ihrer Anwendung gekommen. Am bekanntesten wurden die Sanktionen gegen Kuba, Haiti, Jugoslawien, den Irak und Afghanistan (dazu E. Ellis, The Ethics of Economic Sanctions, in: Internet Ecyclopedia of Philosophy). Juristisch handelt es sich um das Verbot des Staates A an die seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen, mit Staat B Wirtschaftsbeziehungen zu unterhalten, im amerikanischen Sprachgebrauch Primärsanktion (primary sanction). Die secondary sanction (Sekundärsanktion) bezeichnet Erweiterungsformen, wonach A auch Personen, die nicht seiner Jurisdiktion unterliegen, mit Nachteilen bedroht, wenn sie der primary sanction nicht gehorchen. Die Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen auf die Bevölkerung des sanktionierten Staates können verheerend sein, und ihr Erfolg ist dennoch oft zweifelhaft. Vgl. z. B.Wikipedia (Jan. 2022), Stichwort: United States embargo against Cuba:

“A 2015 report in Al Jazeera estimated that the embargo had cost the Cuban economy 1.1 trillion [für uns also: Billionen] in the 55 years since its inception. . . But the embargo has never been effective at achieving its principal purpose: forcing Cuba's revolutionary regime out of power or bending it to Washington's will.”

Die UNICEF schätzte, dass die von der UNO gegen den Irak verhängten Wirtschaftssanktionen zum Tod von 500 000 Kindern aufgrund von Unterernährung und Krankheiten geführt haben. Die Sanktionen gegen Afghanistan drohen, dort eine landesweite Hungersnot auszulösen. Diese Folgen von Wirtschaftssanktionen sind unvertretbar. Es stellt sich daher neben der ethischen auch die rechtliche Frage nach deren Rechtfertigung. Die Sanktionen sollen den sanktionierten Staat treffen, sodass die Ermächtigungsgrundlage im Völkerrecht gesucht werden muss. Das Problem von “privatrechtlichen” Maßnahmen staatsgleicher Megaunternehmen ist hier nicht zu vertiefen.

Für UN-Sanktionen folgt die Ermächtigungsgrundlage aus Art. 39 ff. UN-Charta. Wenn der Sicherheitsrat feststellt, dass von einem Staat eine Gefahr für den Weltfrieden ausgeht, kann er zur Abwehr nach Art. 41 Wirtschaftssanktionen beschließen. Der Begriff Weltfrieden wird offenbar sehr weit ausgelegt. Heute versteht man darunter auch schwere Menschenrechtsverletzungen gegen das eigene Volk.

Einzelsanktionen wie die im Januar 2022 von der Staatengruppe ECOWAS gegen Mali verhängten oder die zahlreichen Fälle von Primär- und Sekundärsanktionen der USA, etwa gegen den Iran (vgl. Aden, RIW 2020, H. 3, Die erste Seite), müssen aus dem allgemeinen Völkerrecht gerechtfertigt werden. Dieses ist als (Völker-)Gewohnheitsrecht bisher nicht schriftlich festgelegt. Die Feststellung von verbindlichen Normen ist daher oft schwierig und ihr Geltungsbereich kontrovers. Pure Macht hilft dann schon mal dem Recht etwas nach (mit der Gefahr machtpolitisch motivierter Wirtschaftssanktionen).

Die Sanktion des Staates A bzw. der UNO soll den Staat B treffen. Dabei ist zu unterscheiden. Ist der Staat B gemeint oder dessen Volk? Wird den Bürgern von A verboten, mit dem Staat B Handel zu treiben oder auch mit Personen in B Handel zu treiben (z. B. Im-/Export von Konsumgütern zum privaten Gebrauch)? Offenbar ist meist Letzteres gemeint. Der gezielt erzeugte Mangel soll die Bürger von B gegen ihre Regierung im Sinne der Sanktionsziele aufbringen. Das ist aber ein massiver Eingriff von A bzw. der UNO in die inneren Angelegenheiten von B und verstößt gegen Art. 2 Nr. 4 und 7 UN-Charta. Die systematische Stellung von Art. 2 im 1. Kapitel der Charta enthält Auslegungsvorgaben für die folgenden Artikel der Charta, auch für Art. 41. Dieser dürfte daher entgegen der eingerissenen Praxis dahin auszulegen sein, dass sich die darin genannten Maßnahmen nur gegen den Staat als Völkerrechtssubjekt richten dürfen, nicht aber gegen dessen Bevölkerung. Es sollen also Geschäfte mit kritischen Gütern unterbunden werden wie Waffenkäufe, Staatsfinanzierung durch Begebung oder Vermittlung von Anleihen, Lieferung von Abhöranlagen usw. Wenn die Sanktion auch die Bevölkerung treffen soll, muss dies gesagt werden und eigens damit begründet werden, dass die in Art. 39 festgestellte Gefahr von der Bevölkerung in B ausgeht. Rassistische und religiöse Emotionen können, wie die Schlächtereien in Ruanda (1994) zeigen, aus der Tiefe einer Volksmasse überschwappen. Dagegen könnte eine Sanktion, welche die täglichen Bedarfsgüter verknappt, u. U. helfen.

Hinzu kommt, dass, wenn die Sanktion von A auch die Bürger von B meint, das ein Anschlag auf deren Menschenrechte ist, zu denen auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. in Deutschland Art. 2 GG) ihres Staates B gehört. Eine solche Ausweitung der auswärtigen Gewalt von A zulasten von B dürfte völkerrechtswidrig sein (vgl. Aden, Internationales privates Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 48). M. E. muss daher über die Festlegung folgender völkerrechtlicher Axiome diskutiert werden:

1. Wirtschaftssanktionen gegen einen Staat betreffen nicht die wirtschaftliche Betätigung von und mit dessen Bevölkerung.

2. Soll eine Wirtschaftssanktion auch die Bevölkerung erfassen, ist diese nur rechtmäßig, wenn das gesondert begründet und zugleich Vorsorge gegen unnötige Leiden der Bevölkerung getroffen wird.

3. Die Rechtmäßigkeit der Wirtschaftssanktion kann von Amts wegen vom Internationalen Gerichtshof (IGH) geprüft werden.

Dr. Menno Aden, Essen

 
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