Sanktion und Gegensanktion – völkerrechtliche Fragen zur EU-Blockade-VO vom 6. 6. 2018
Der Rechtsrahmen für völkerrechtliche Sanktionen muss neu gedacht werden
Die USA hat oft im Schein hehrer Ziele eigene Interessen unter Bruch des Völkerrechts verfolgt. Das begann mit der “Monroe-Doktrin” (1823) und setzte sich über das “Roosevelt-Corollary” von 1904 fort. Der bei uns hoch angesehene US-Präsident Obama hielt sich für berechtigt, zum Schutz der “national security and foreign policy of the United States” am 7. 4. 2014 die Sudan-Sanktionen zu verfügen. Die USA hat aber als Ordnungsmacht oft auch Gutes bewirkt, und zwar mit Billigung der Welt auch gegen oder am Rande des Völkerrechts. Als die USA im September 2019 die syrischen Streitparteien sich selbst überließ, gab es weltweiten Widerspruch. Durch Erlass vom 6. 8. 2018 hat US-Präsident Trump den Handel mit dem Iran verboten “. . . in pursuit of a comprehensive and lasting solution to the full range of the threats posed by Iran”. Dienen diese Maßnahmen der Menschheit zum Frieden oder nur amerikanischen Interessen?
Die EU neigt wohl zu Letzterem. Sie erklärt in der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. 6. 2018: “. . . Einige dieser Maßnahmen haben extraterritoriale Wirkung und beeinträchtigen die Interessen der Union” und der hier tätigen Wirtschaftssubjekte. Diese extraterritoriale Anwendung verstoße gegen das Völkerrecht. So auch schon die VO (EG) Nr. 2271/96 (Art. 1), welche mit der jetzigen nur aktualisiert wird (nachfolgend: VO). Darauf beruht Art. 5 VO: “Keine Person im Sinne des Art. 11 [= Definition der EU-Wirtschaftsteilnehmer] darf . . . aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten . . . nachkommen, die . . . auf den im Anhang aufgeführten Gesetzen [= Iran-Sanktionen der USA] . . . beruhen . . . oder sich daraus ergeben.”. Verstöße werden mit einem Bußgeld bis zu 500 000 € je Verstoß bedroht (Art. 9). Art. 5 ist leicht zu umgehen, und es wundert nicht, dass Art. 9 anscheinend noch niemals angewendet wurde.
Ein souveräner Staat kann machen, was er will – bis an die Grenze des Völkerrechts. Art. 2 Abs. 4 UN-Charta besagt: “Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen . . . die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt.” Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 7 der Charta sagen etwa dasselbe. Der Begriff der Sanktion und ihre völkerrechtliche Zulässigkeit sind letztlich ungeklärt (Hafner, ZaöRV 2016, 391). Aber ab einer gewissen Eingriffstiefe bedrohen Boykotte usw., die Staat A gegen Staat B verfügt, dessen “politische Unabhängigkeit”. Die nun verhängten Iran-Sanktionen der USA greifen offenbar sehr tief und müssen als Verstöße gegen das Völkerrecht gelten, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Dieser muss im Einzelfall geprüft werden. Eine Prüfung führt zu folgenden Überlegungen:
Gegenstand des Völkerrechts sind traditionell die oft gegenläufigen Machtinteressen der souveränen Staaten. Unter dem Begriff Globalisierung haben sich aber Gemeinschaftsgüter der Menschheit als solcher herausgebildet, die mit den egoistischen Interessen der Nationalstaaten nicht identisch sind. Diesem Gesamtinteresse der species humana dient entsprechend dem Wortlaut und Geist der UN-Charta vor allem der Schutz vor Kriegen und ähnlichen Störungen der friedlichen Entwicklung der Welt. Wenn Staat A gegen Staat B Sanktionen verhängt, um dieses Gesamtinteresse zu fördern, kommt ein Rechtfertigungsgrund für den an sich rechtswidrigen Eingriff in die Souveränität von B in Betracht. Als Rechtsfigur kann der Gedanke einer völkerrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) nutzbar gemacht werden. Wie ein proximer (also räumlich oder politisch nahestehender) Staat A notfalls eine gerichtliche Zuständigkeit für den Staat B arrogieren kann, wenn dessen Justizsystem zeitweise ausfällt (vgl. Aden, ZVglRWiss 2007, 490), so kann Staat A zum Schutz von unmittelbar gefährdeten Menschheitsinteressen Staat B angemessen sanktionieren, wenn eine andere Hilfe zeitnah nicht zu erwarten ist. Eine so verstandene völkerrechtliche GoA würde die wegen Verstößen gegen die Sanktion eingezogenen Bußgelder nicht dem sanktionierenden Staat (bisher fast ausschließlich die USA) zufließen lassen, sondern demjenigen, in dessen Interesse die Sanktion verhängt wurde – der Menschheit. Der Menschheit kommt insofern eine eigene Völkerrechtssubjektivität zu (Aden, ZVglRWiss 2006, 55).
Die Begründung im Präsidialerlass vom 6. 8. 2018 wird von der EU nicht geteilt. Sie ist aber nachvollziehbar. Selbst eine nur entfernte Möglichkeit eines Atomkrieges im Orient ist eine Bedrohung der Menschheit insgesamt, so dass die Sanktion der USA gerechtfertigt ist. Die dagegen gerichtete Blockade-VO ist dann völkerrechtswidrig. Die von der USA eingezogenen Bußgelder stehen dann aber nicht ihr zu. Für die angedrohten US-Sanktionen zur Verhinderung der Nord-Stream-Gasleitung gilt das nicht. Diese dienen nicht der Menschheit, sondern dem Großmachtinteresse der USA zur Eindämmung des russischen Einflusses in Europa und sind völkerrechtswidrig.
Einwände gegen die völkerrechtliche GoA liegen auf der Hand. Werden die Mächte nicht eingeladen, unter der Vorgabe, Menschheitsinteressen zu schützen, Selbstermächtigungen für nationale Interessen einzusetzen? Gerade daraus ergibt sich aber die Notwendigkeit von eindeutigen und völkerrechtlich verbindlichen Regeln. Solange diese fehlen, sind Selbstermächtigungen sozusagen frei – und das ohnehin nicht sehr scharfe Schwert des Völkerrechts kann nicht einmal als Drohung gezückt werden.
Ergebnis: Die Blockade-VO der EU ist ein stumpfes Schwert. Sie ist zudem völkerrechtlich fragwürdig. Die EU sollte stattdessen eine Konvention über Grund und Grenzen der völkerrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag zur Sicherung von Menschheitsgütern einfordern.
Dr. Menno Aden, Essen