Rechtsberatung im italienischen Handels- und Wirtschaftsrecht
Unlängst ist in 2. Auflage das Handbuch “Italienisches Handels- und Wirtschaftsrecht” von Peter Kindler erschienen. Die Neuauflage belegt erneut, dass Kindler nicht nur ein ausgewiesener Zivil- und Gesellschaftsrechtler ist, sondern sich ebenso in der schwierigen Materie der Rechtsvergleichung zu Hause fühlt. Folgerichtig gehört er auch schon seit Langem zu den ständigen Mitarbeitern der RIW. Dr. Roland Abele nahm für die RIW das Erscheinen des Handbuchs zum Anlass, Professor Kindler nach dem “Stand” der deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen zu fragen.
RIW: Den Deutschen, die an Kunst und Kultur interessiert sind, wird allgemein eine besondere Affinität, ja Liebe zu Italien nachgesagt. Goethe ist insofern lediglich das bekannteste Beispiel. Eine ähnliche emotionale Verbundenheit der deutschen Juristen mit dem italienischen Recht ist aber nicht unbedingt auszumachen.
Kindler: Das deckt sich mit meinem Eindruck. Allerdings sind mir auch kaum deutsche Juristen bekannt, die ihrer eigenen Rechtsordnung emotional verbunden wären. Eine derartige, schwärmerische Grundhaltung gegenüber dem Recht ist mir als Rechtswissenschaftler auch eher suspekt. Ich beobachte sie bisweilen bei Kollegen mit Arbeitsschwerpunkt im Europäischen Privatrecht, weniger in der Rechtsvergleichung. Von echter emotionaler Verbundenheit kann im Übrigen nur die Rede sein, wo es um Menschen geht. Diesbezüglich mache ich als Generalsekretär der Deutsch-italienischen Juristenvereinigung immer wieder die schönsten Erfahrungen und Beobachtungen. Bei aller Rivalität – gerade unter Anwälten – ist der Umgang sehr herzlich. Es heißt immer: “Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie schätzen sie nicht – die Italiener schätzen die Deutschen, aber sie lieben sie nicht.” Für die deutsch-italienische Juristengemeinde kann ich dieses Klischee nicht bestätigen.
RIW: Welche Reformen des italienischen Gesetzgebers sind in den letzten Jahren besonders wichtig gewesen?
Kindler: Für die Leser dieser Zeitschrift wird man dabei nach Arbeitsgebieten unterscheiden müssen. Hervorheben würde ich die große Reform des Kapitalgesellschaftsrechts (2004), die Neukodifizierung des Gewerblichen Rechtsschutzes (Codice della proprietà industriale 2005) und des Verbraucherrechts (Codice del consumo 2005), die Neuregelung des elektronischen Geschäftsverkehrs durch den Codice dell'amministrazione digitale (2005), die Reformen des Schiedsverfahrens und des Insolvenzverfahrens (2006) sowie die Arbeitsrechtsreform 2012 (Legge Fornero).
RIW: Gab es dabei Regelungen oder Normkomplexe, die nach Ihrer Ansicht auch Vorbildcharakter für das deutsche Recht haben?
Kindler: Hier würde ich die Reform des Kapitalgesellschaftsrechts nennen, mit der u. a. die Wahlfreiheit zwischen drei Grundformen der Organisationsverfassung eingeführt wurde: die klassische mit einer starken Gesellschafterversammlung und einem schwachen Prüferkollegium als Aufsichtsorgan; die dualistische mit einer schwachen Gesellschafterversammlung und einem starken Aufsichtsrat, genannt “sistema tedesco”; die monistische mit einem einzigen Leitungsorgan in Anlehnung an das angelsächsische System. Für eine solche Wahlfreiheit – wenn auch nur zwischen dem dualistischen und dem monistischen System – hatte sich auch der 69. Deutsche Juristentag ausgesprochen.
RIW: Für den Beobachter aus Deutschland ist der italienische Politikbetrieb oft konfus und befremdlich. Das Land erscheint notorisch schlecht verwaltet. Wie gut oder schlecht funktioniert das italienische Gerichtssystem?
Kindler: Hier gibt es Licht und Schatten. Die Richter sind hoch qualifiziert, aber die Verfahrensdauer ist inakzeptabel. Es kann nicht sein, dass ein Zivilverfahren durchschnittlich 437 Tage vor dem Landgericht und weitere 1025 Tage in der Berufungsinstanz dauert, wie der Präsident des Kassationshofes in seiner Eröffnungsrede für das Gerichtsjahr 2014 berichten musste. Eine gute Alternative bietet in vielen Fällen die Schiedsgerichtsbarkeit.
RIW: Wenn man Ihr Handbuch aufschlägt, stellt man sofort fest, dass die Darstellung wirklich sehr in die Tiefe geht. Allein der Nachweisapparat der zitierten Gerichtsentscheidungen ist enorm. Das führt mich zu der Frage: Wie ist es für einen Autor, der außerhalb Italiens lebt und arbeitet, möglich, so nah an der Rechtspraxis des Landes zu bleiben?
Kindler: Ich komme aus der Rechtspraxis. Vor meinem Wechsel an die Universität war ich drei Jahre als Anwalt im deutsch-italienischen Wirtschaftsverkehr tätig. Außerdem verfüge ich über drei ausgezeichnete Informationsquellen: Erstens ist die Materialversorgung speziell in München gut. Am Münchner Institut für Rechtsvergleichung haben wir die wichtigsten italienischen Zeitschriften abonniert. Dazu kommt der umfangreiche Zeitschriftenbestand am Münchner Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, der weit über diesen Spezialbereich hinausgeht. Informationsquelle Nummer zwei für mich sind zahlreiche italienische Freunde und Kollegen, die jederzeit zu einem Gedankenaustausch oder zur Beschaffung von Informationen und Material bereit sind. Und drittens bin ich mit einer italienischen Juristin verheiratet, deren Vater Rechtsanwalt ist.
RIW: Natürlich zählt für einen Juristen immer auch der Gesichtspunkt, mit welcher Spezialisierung oder Schwerpunktbildung ein solides berufliches Standbein gebildet werden kann. Der Spruch “pecunia non olet” stammt schließlich auch aus Italien. Wie ist Ihre Einschätzung? Welche Chancen bieten besondere Kenntnisse im italienischen Handels- und Wirtschaftsrecht für einen deutschen Juristen?
Kindler: Die Chancen sind weiterhin gut. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen Deutschland und Italien erreichte 2011 einen Gesamtwert von 110 418 Mrd. EUR, und das Volumen der deutschen Direktinvestitionen in Italien – Auf- und Ausbau von Betriebsstätten, Erwerb von Unternehmensbeteiligungen – erreichte bis Ende 2010 den Betrag von 36 799 Mrd. EUR. Damit ist ein enormer juristischer Beratungsbedarf verbunden. Neben den Kenntnissen im italienischen Recht sind verhandlungssicheres Italienisch und solides Wissen im europäischen IPR und IZPR allerdings unverzichtbar.
RIW: Lieber Herr Kindler, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und wünsche Ihrem Handbuch eine gute Aufnahme.
Professor Dr. Peter Kindler, München