Rechtsberatung Russland: Wegfall der Geschäftsgrundlage?
Rechtsbeziehungen setzen Rechtsstaatlichkeit voraus
Seit dem 24. 2. 2022 ist alles anders. Eine Zeitenwende. Auch wenn die Entwicklung nicht plötzlich eintrat, markiert dieser Tag doch eine Wende von historischer Relevanz. Dabei begann der Prozess schon mit der Erstickung der Bürgerproteste in Russland nach den Parlamentswahlen 2011 und der umstrittenen Wahl Vladimir Putins zu seiner dritten Amtsperiode im März 2012. Zwei Jahre später besetzte Russland die Krim und unterstützte massiv die Separatisten in den Oblasten Donezk und Luhansk der Ukraine. Auf diese Völkerrechtsverletzungen reagierten die EU, die USA und andere Länder mit mehreren Sanktionspaketen.
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat für die im Russlandgeschäft engagierten Unternehmen eine wohl nicht mehr reversible Entwicklung begonnen. Die Zahl der in Russland tätigen deutschen Investoren hat sich von 6300 (2011) bereits mehr als halbiert. Weitere Unternehmen sind dabei, sich vom Markt zurückzuziehen. Liquidation von Gesellschaften, Anteilsverkäufe und Management Buy-Outs sind die aktuellen Themen. Rechtsanwaltskanzleien, auch aus Deutschland, begleiten solche Transaktionen, meist auf der Verkäuferseite. Das schafft kurzfristig viel Arbeit, ist aber von endlicher Dimension. Das 8. EU-Sanktionspaket verbietet die Rechtsberatung für viele russische Mandanten mit staatlichem Hintergrund. Für internationale Rechtsanwaltsbüros in Russland stellt sich nachdrücklich die Frage, wie es weitergehen soll; einige haben dem Land bereits den Rücken gekehrt. Auch der bilaterale Handel geht dramatisch zurück, teils als Folge der inzwischen zehn Sanktionspakete der EU, teils wegen des Marktaustritts der Unternehmen und teils wegen Gegensanktionen und Lieferstopps der russischen Seite. Die stark gestiegenen Energiepreise haben die Importseite 2022 noch wachsen lassen, während die Exportseite mit einem Minus von 45 % das Ausmaß der Zerrüttung ungeschminkt zeigt.
Auch im zivilgesellschaftlichen Bereich ist der Trend, wenig überraschend, in keiner Weise anders. Der Petersburger Dialog, eine regelmäßige und politisch auf höchstem Level koordinierte zivilgesellschaftliche Dialogveranstaltung wurde eingestellt, das stets russlandfreundliche Deutsch-Russische Forum liegt danieder, Städtepartnerschaften sind ausgesetzt. Die Zahl der Russischlernenden an deutschen Schulen geht drastisch zurück – kein neuer Trend, aber einer, der sich nochmals drastisch verstärkt hat.
Wie kann in diesem Umfeld ein Rechtsdialog sinnvoll weitergeführt werden? Ist auch für Organisationen wie die Deutsch-Russische Juristenvereinigung (DRJV) die Geschäftsgrundlage fortgefallen? Mit ihren in der Spitze etwa 400 Mitgliedern gehörte und gehört die DRJV zu den besonders aktiven Vereinigungen. Je weniger in Russland das Recht Leitlinie staatlichen und politischen Handelns ist, desto berechtigter ist es, die Zukunft solcher Vereinigungen zu hinterfragen.
Im Zentrum der Tätigkeit der DRJV stand nach der Gründung 1988 zunächst das Wirtschaftsrecht. Schon damals waren die äußeren Verhältnisse alles andere als unkompliziert: Auflösung der Sowjetunion, Staatsbankrott, wilder Kapitalismus in den Jelzin-Jahren. Es schloss sich eine längere Phase starken wirtschaftlichen Aufschwungs mit wachsender, auch berufsständischer Kooperation an. Der immer stärkeren Verzahnung folgend erweiterte die DRJV ihr Tätigkeitsgebiet auf andere Rechtsbereiche. Den kritischen Blick auf das Recht im Gesetz und das Recht in der alltäglichen Wirklichkeit verlor sie dabei nie aus dem Auge.
Heute hat sich die Tätigkeit zwangsläufig merkbar verändert. Die institutionellen Kooperationen sind ausgesetzt. Aber die russische Gesetzgebung und die Missbräuche des Rechts durch Staat und Justiz sind es wert, mit professionellem Sachverstand beobachtet zu werden. In einer Zeit, in der die akademische Befassung mit dem Recht Russlands immer mehr ausgedünnt und an den meisten Universitäten gar nicht mehr zu finden ist, wächst die Verantwortung der DRJV. Es gilt, eine fahrlässig verursachte, wachsende Lücke in der ostrechtlichen Forschung und Lehre zu füllen. Gerade heute wird Russland-Know-how dringend benötigt. Die Deutsch-Russische Rechtszeitschrift (DRRZ), seit inzwischen acht Jahren herausgegeben, und weitere mediale Informationsangebote dienen diesem Zweck.
Wichtig ist zudem, die Kenntnis über deutsches Recht weiter nach Russland zu tragen. Junge russische Juristinnen und Juristen mit einem Rechtssystem vertraut zu machen, in dem Gesetze in demokratischen Verfahren geschaffen werden und die Rechtsanwendung der Kontrolle einer kritischen und unabhängigen Justiz unterworfen ist, kann einen Lerneffekt bedeuten, dessen Wert sich zu einem späteren Zeitpunkt hoffentlich beweisen wird. Online-Schulen des deutschen Rechts sind ein von Hunderten russischer Studierender dankbar angenommenes Angebot.
Eine scharfe Reaktion auf den russischen Angriffskrieg wurde von der DRJV-Mitgliederversammlung ohne Gegenstimme beschlossen; zuletzt hat sich der Vorstand in einer Göttinger Erklärung klar positioniert (www.drjv.org). Denn eins steht für die DRJV fest: Nur Rechtsstaatlichkeit, die Achtung von Bürger- und Menschenrechten und die Anerkennung des Völkerrechts können die Basis für zukünftige, friedliche, auf Verständigung ausgerichtete (Wirtschafts-)Beziehungen sein.
Dr. Hans Janus (li.), Rechtsanwalt, Hamburg, ist u.a. Co-Vorsitzender der DRJV.
Professor Dr. Rainer Wedde (re.), Wiesbaden, ist u.a. Mitglied im Vorstand der DRJV und Redakteur der DRRZ.