INCOTERMS® 2020 – gerüstet für den Welthandel der Zukunft!
“Der Welthandel ist zum globalen Nahkampf geworden”, wie es von prominenter Seite einmal so schön formuliert worden ist. Ja, das stimmt. Und daher bedarf es ausgefeilter standardisierter Handelsklauseln hierfür. Auch diesbezüglich kann man sich auf die Internationale Handelskammer (ICC) verlassen. “Frisch aus der Presse”, wie man früher gesagt hätte, sind sie jetzt präsentiert worden: die INCOTERMS® 2020. Diese von der Praxis lang ersehnten und neu gefassten Handelsklauseln werden ab dem 1. 1. 2020, dem Datum ihres Inkrafttretens, wesentlich zu einer praxisgerechten internationalen Handelspraxis beitragen. Fachleute aus aller Welt haben zu ihrem guten Gelingen beigetragen, wenn auch zum Schluss nicht alle Wunschvorstellungen der bei der ICC Germany eingerichteten deutschen ICC-Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der INCOTERMS®, der ich angehören durfte, durchgesetzt werden konnten. Internationale Regelwerke basieren immer auf Kompromissen. Ungeachtet dessen stellen die INCOTERMS® 2020 ein sehr brauchbares Instrumentarium für die Regelung der unterschiedlichen Interessen der Parteien internationaler Handelsgeschäfte dar.
Sie sind – was sehr zu begrüßen ist – sowohl aus der Sicht der Exporteure als auch der Importeure logischer aufgebaut als deren Vorläuferversion und schaffen daher mehr Klarheit für die Handelspraxis. Dies war eine der wesentlichen Zielsetzungen bei der Überarbeitung der INCOTERMS®, die in vielen Punkten ihren Niederschlag darin gefunden hat. Nicht, dass die INCOTERMS® vorher schlecht gewesen wären. Nein, der Grund für die in vielen Fällen unsachgemäße Anwendung der INCOTERMS® auf der Basis völliger Fehlvorstellungen über deren Regelungsinhalt seitens der Anwender war die Tatsache, dass diese sich nur oberflächlich mit deren Inhalt befasst haben. Damit soll jetzt Schluss sein, indem die Systematik der INCOTERMS® einfacher erfassbar sein soll. Noch leichter wie mit der Neufassung kann die ICC es den Anwendern nicht machen. So sind jetzt beispielsweise die überarbeiteten einführenden Erläuterungen zu den einzelnen Incotermsklauseln, die nach der offiziellen Diktion der ICC ein Upgrade von einfachen Orientierungshilfen zu “Explanatory Notes for Users” erfahren haben, nicht nur inhaltlich detaillierter gestaltet worden; sie stellen jetzt auch klar, was von ihnen erfasst ist und was nicht. Damit sollen alte Zöpfe abgeschnitten werden, zu denen insbesondere die irrige Vorstellung gehört, dass die Rechtsfolgen von Vertragsverletzungen oder Eigentumsfragen von den INCOTERMS® selbst geregelt würden.
Für eine bessere Praktikabilität sorgt auch die Neuordnung der Systematik der Reihenfolge der inhaltlichen Gliederungspunkte der Incotermsklauseln hinsichtlich der darin geregelten Pflichten der Vertragsparteien. Dies gilt ebenso für die neue Bezeichnung “DPU” (Delivered at Place Unloaded) für die frühere Klausel DAT sowie die neue wesentlich übersichtlichere Gestaltung der Kostenverteilung zwischen den Parteien. Nicht nur diese Punkte werden in der Zukunft dazu führen, dass die Vertragsparteien besser in die Lage versetzt werden, die tatsächlich für die jeweilige Interessenlage am besten passende Incotermsklausel zu finden. Mit diesen insgesamt für mehr Klarheit sorgenden Änderungen ist bereits ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zur Schaffung neuer internationaler Handelsklauseln erreicht worden, die den gewachsenen Anforderungen der Praxis genügen.
Die Neufassung hat darüber hinaus auch viele zu begrüßende materielle Verbesserungen erfahren, wie etwa die Anhebung des Versicherungsschutzes bei CIP und die neu eingefügte Option bei FCA, nach der aufgrund der Schwierigkeiten in der Praxis bei An-Bord-Konnossementen jetzt vereinbart werden kann, dass der Käufer den Frachtführer beauftragt, ein An-Bord-Konnossement nach der Verladung der Ware an Bord des Schiffes auszustellen, und der Verkäufer dann verpflichtet ist, dieses Konnossement dem Käufer zur Verfügung zu stellen. Durch die Kombination aus strukturellen Verbesserungen, die für mehr Klarheit sorgen, und inhaltlichen, sich an den weiterentwickelten Bedürfnissen der Praxis orientierenden neuen Regelungen hat die ICC ihre selbstgesteckten Hürden mit Bravour genommen. Punktlandung! Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass einige wünschenswerte Änderungen auf internationaler Ebene während des Revisionsprozesses leider nicht kompromissfähig waren. So ist es zwar bedauerlich, dass insbesondere keine Regelungen über das Bruttogewicht zu befördernder Container (VGM) aufgenommen worden sind. Dies beeinträchtigt die Praktikabilität und den Nutzen der INCOTERMS® 2020 insgesamt aber nicht.
Die INCOTERMS® 2020 werden sicherlich – zu Recht – auf große Akzeptanz stoßen. Sie stellen dem internationalen Wirtschaftsverkehr praxistaugliche Handelsklauseln für verschiedenste Ausgangssituationen zur Verfügung – mehr als nur ein Sieg nach Punkten. Der globale wirtschaftliche Nahkampf kann beginnen!
Klaus Vorpeil, Rechtsanwalt, Mainz