Die globale Umsetzung von Pillar 2 erfordert Ausdauer und Zielstrebigkeit
Deutschland legt seine Umsetzung vor
Für die Realisierung des Ziels einer weltumspannenden steuerlichen Wettbewerbsgleichheit ist – einem Langstreckenlauf vergleichbar – Ausdauer und Zielstrebigkeit erforderlich. Dem Grundkonzept der OECD, einer globalen Mindeststeuer grundsätzlich folgen zu wollen, haben bislang im Kern mehr als 135 Staaten zugestimmt, allerdings ohne zur Umsetzung verpflichtet zu sein. Multinationale Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Mio. Euro sollen auf ihren Gewinn im Durchschnitt mindestens 15 % Steuern zahlen, unabhängig davon, in welchen Staaten sie aktiv sind. Auf EU-Ebene wurde hierfür im Dezember 2022 die Mindestbesteuerungsrichtlinie (MinBestRL) verabschiedet.
Konzeptionsgemäß soll die globale Mindestbesteuerung durch die “Income Inclusion Rule” (IIR), eine Art pauschaler Hinzurechnungsbesteuerung, sichergestellt werden. Der Gewinn, der in einem Staat mit einem niedrigeren Steuersatz erwirtschaftet wird, soll im Ansässigkeitsstaat der obersten Muttergesellschaft nachbesteuert werden (Top-Up Tax), bis eine Steuerbelastung von 15 % erreicht ist. Für den Fall, dass nicht bereits durch die Anwendung der IIR eine Mindestbesteuerung erreicht wird, soll mittels der “Undertaxed Payments Rule” (UTPR) in den Ansässigkeitsstaaten der Tochtergesellschaften die Top-Up Tax erhoben werden. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise die oberste Muttergesellschaft selbst in einem Staat mit einem Steuersatz unterhalb von 15 % ansässig ist.
Zur Umsetzung der MinBestRL in Deutschland wurde ein Entwurf für ein sog. Mindeststeuergesetz (MinStG-RE) durch die Regierungskoalition verabschiedet, dessen Regelungen erstmals für nach dem 30. 12. 2023 beginnende Geschäftsjahre gelten sollen.
Da die globale Mindeststeuer auf einem neuen Besteuerungsregime basiert, scheint es zunächst wenig überraschend, dass der MinStG-RE eine Vielzahl von neuen Begrifflichkeiten beinhaltet. Diese dürften allerdings die Gesetzesanwendung (bei systematischen Auslegungsversuchen mittels Übertragung von Begrifflichkeiten aus anderen Steuergesetzen) nicht gerade erleichtern. So wird u. a. neu eingeführt der Terminus “Betrag der angepassten erfassten Steuern einer Geschäftseinheit” (§ 42 MinStG-RE) oder “Gesamtbetrag der angepassten latenten Steuern” (§ 48 MinStG-RE); statt “Ansässigkeitsstaat”, wie im internationalen Steuerrecht geläufig, wird der Begriff “Belegenheitsstaat” verwendet.
Des Weiteren sieht der MinStG-RE auch ein neues Konzept der sog. Mindeststeuergruppe vor (§ 3 MinStG-RE). Dieses weicht von dem Grundsatz ab, dass jede niedrig besteuerte inländische Tochtergesellschaft (Geschäftseinheit, die zu einer Unternehmensgruppe gehört) der Steuerpflicht unterliegt, d. h. selbst zur Entrichtung der Mindeststeuern verpflichtet ist (§ 1 Abs. 1 MinStG-RE). Ähnlich wie bei einer Organschaft gilt die oberste Muttergesellschaft als sog. Gruppenträger der Mindeststeuergruppe, der die Mindeststeuer für die Mindeststeuergruppe schuldet. Sollte weder der Gruppenträger noch eine Muttergesellschaft aller Tochtergesellschaften im Inland belegen sein, so hat die oberste Muttergesellschaft einen inländischen Gruppenträger zu bestimmen.
Die Regelungen des MinStG-RE stellen die betroffenen Unternehmen, deren Berater und auch die Finanzverwaltung vor Herausforderungen. Hier sei nur erwähnt, dass Berechnungen für die Mindeststeuer (z. B. der bereinigte Mindeststeuer-Gesamtgewinn, § 7 Abs. 2 MinStG-RE) auch nach IFRS erfolgen können. Da aber die Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage in Deutschland bislang ausschließlich auf Basis des nationalen Steuerbilanzrechts erfolgt, muss sich die Finanzverwaltung also künftig zur Feststellung einer korrekten Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für die Mindeststeuer auch mit IFRS-Abschlüssen auseinandersetzen.
Als erklärtes politisches Ziel der Einführung des MinStG-RE steht nicht unbedingt eine Vergrößerung des deutschen Steuersubstrats im Vordergrund, sondern vielmehr das Leisten eines Beitrags zur Herstellung globaler steuerlicher Wettbewerbsgleichheit und die Eindämmung aggressiver Steuervermeidung. Hierzu haben sich die EU-Mitgliedstaaten durch die MinBestRL verpflichtet, zeitnah entsprechende Regelungen zur Umsetzung des Mindestbesteuerungskonzepts in ihr nationales Recht zu implementieren. Interessant zu verfolgen wird es sein, wie sich die weiteren, über einhundert Staaten, die dem eingangs erwähnten Grundkonzept der OECD – ohne Umsetzungsverpflichtung – zugestimmt haben, tatsächlich an einer Umsetzung beteiligen werden. Großbritannien hat bereits konkrete Regelungen zur Umsetzung der IIR erlassen und einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der UTPR vorgelegt; in vielen anderen Staaten liegen ebenfalls Gesetzesentwürfe u. a. zur Umsetzung des Konzepts der IIR und UTPR vor. Die USA hingegen, die für die Realisierung des globalen Vorhabens der OECD eine wichtige Rolle einnehmen, haben sich zwar zur Umsetzung von Pillar 2 bekannt, aber bislang keine Gesetzesentwürfe zur Umsetzung der IIR und UTPR im Sinne des OECD-Grundkonzepts vorgelegt. Aufgrund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse im Senat und im Repräsentantenhaus erscheint eine politische Umsetzung in dieser Legislaturperiode eher unwahrscheinlich.
Die EU und Deutschland haben ihrerseits schon einen beachtlichen Teil auf dem Weg zur Herstellung einer globalen steuerlichen Wettbewerbsgleichheit erbracht. International ist aber weiterhin Zielstrebigkeit und vor allem Ausdauer im Hinblick auf eine finale gesetzliche Umsetzung erforderlich.
Martin Wolff, Rechtsanwalt/Steuerberater, Frankfurt a. M. Der Autor ist im Frankfurter Büro der Sozietät King & Spalding tätig und berät schwerpunktmäßig institutionelle Investoren und Private Equity-Gesellschaften in Fragen des Steuerrechts.