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RIW 2019, I
Boës 

Anerkennung ausländischer Schiedssprüche in Russland dramatisch gesunken

Abbildung 1

Im Rechtsverkehr zwischen Deutschland und Russland werden vielfach Schiedsklauseln verwendet, da die gegenseitige Anerkennung staatlicher Urteile nicht gewährleistet ist und dazu vielfach Vorbehalte gegen die Vereinbarung eines Gerichtsstands in Russland bestehen. Schiedsverfahren bieten sich vermeintlich als Alternative an, da die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen aufgrund des New Yorker Übereinkommens von 1958 gewährleistet sein sollte. Nach dem New Yorker Übereinkommen werden Schiedssprüche in allen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt, sofern nicht einer der wenigen anerkannten Versagungsgründe vorliegt. Eines der Kernprinzipien der Anerkennung ist das Verbot der inhaltlichen Nachprüfung. Lediglich bei Verstoß gegen ganz grundlegende Prinzipien der öffentlichen Ordnung, den sog. “ordre public”, kann unter der New Yorker Konvention die Anerkennung versagt werden.

Noch in den 1990er Jahren standen russische Gerichte in dem Ruf, durch exzessiven Gebrauch des “ordre public”-Vorbehalts die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche erheblich zu erschweren und die russischen Unternehmen so zu schützen. Der traurige Höhepunkt dieser Rechtsprechung waren Entscheidungen, die es als “ordre public”-Verstoß ansahen, dass russische Unternehmen aufgrund der Vollstreckung in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnten, so dass die Vollstreckbarerklärung versagt wurde. Dieses Bild hat sich in der Folgezeit gewandelt, und die Vollstreckbarerklärung wurde – so wie die New Yorker Konvention es vorsieht – die Regel und die Versagung der Anerkennung die Ausnahme. Im Jahre 2015 lag die Anerkennungsquote ausländischer Schiedssprüche bei 95,56 % (vgl. dazu Boës, DRRZ 2018, 147 m. w. N.).

Seither ist diese Quote allerdings rapide gesunken und lag im ersten Halbjahr des Jahres 2018 nur noch bei ca. 61 %.

Ein Teil dieser Entwicklung ist auf den russisch-ukrainischen Konflikt zurückzuführen. So ist ein erheblicher Teil der Schiedssprüche, deren Anerkennung versagt wurde, in der Ukraine erlassen worden. Die Begründungen für die Versagung der Anerkennung überzeugen in weiten Teilen nicht: So wird einer ganzen Reihe von Schiedssprüchen die Anerkennung aufgrund eines “ordre public”-Verstoßes versagt, weil das Schiedsgericht nicht geprüft habe, ob die Regelungen des russischen Rechts über Großgeschäfte eingehalten wurden. Vereinfacht gesagt besagen diese Regelungen, dass ein Rechtsgeschäft anfechtbar ist, wenn es mehr als 25 % der Aktiva eines Unternehmens umfasst und nicht durch einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss autorisiert wurde. Es überrascht bereits, derartige Regeln zur öffentlichen Ordnung zu zählen, umso mehr, als in den jeweiligen Urteilen nicht einmal festgestellt wird, dass ein entsprechender Beschluss erforderlich war oder gefehlt hätte. Die Anerkennung wurde einzig und allein aufgrund der Tatsache versagt, dass das jeweilige Schiedsgericht diese Regelungen nicht geprüft habe. Es drängt sich hier der Eindruck auf, dass die Entscheidungen politisch motiviert sind, zumal dieser Versagungsgrund nur bei ukrainischen Schiedssprüchen geltend gemacht wird, nicht jedoch bei Schiedssprüchen aus anderen Jurisdiktionen.

Der Rückgang der Anerkennungsquote lässt sich allerdings nicht nur auf ukrainische Schiedssprüche zurückführen. Selbst wenn diese unberücksichtigt bleiben, beträgt die Anerkennungsquote im Jahr 2018 nur noch ca. 77 % und liegt damit ebenfalls fast 20 % Punkte unter dem Wert von 2015.

Auch bei anderen, nicht ukrainischen, Schiedssprüchen finden sich Erwägungen in den russischen Urteilen, die an die überwunden geglaubte Rechtsprechung der 1990er Jahre erinnern: So wurde in einem Fall die Vollstreckbarerklärung versagt, weil die Schuldnerin ein Tochterunternehmen eines staatlichen Konzerns ist. Die Urteilsbegründung führt aus, dass die Vollstreckung damit wirtschaftlich zu Lasten des Haushalts der Russischen Föderation gehe und damit der öffentlichen Ordnung widerspreche. Diese Argumentation steht in klarem Widerspruch zum international anerkannten Prinzip, dass nur hoheitlich genutztes staatliches Vermögen vor einer Vollstreckung geschützt ist, nicht aber reine Finanzbeteiligungen. Führt man sich vor Augen, wie viele russische Konzerne ganz oder teilweise in staatlicher Hand sind, würde eine solche Rechtsprechung einen erheblichen Teil der russischen Unternehmen vor einer Vollstreckung schützen.

Eine weitere, in der Literatur viel diskutierte Entscheidung versagte einem nach den Regeln der ICC (International Chamber of Commerce) ergangenen Schiedsspruch die Anerkennung, weil die Schiedsklausel zwar auf die Regeln der ICC verwies, nicht aber explizit die ICC als Institution benannte.

Das Oberste Gericht der Russischen Föderation hat mit einer Ende 2018 veröffentlichten Rechtsprechungsübersicht versucht, den Instanzgerichten eine Orientierungshilfe zu geben, und hierin ausgeführt, dass grundsätzlich eine Vermutung greife, dass Schiedsklauseln wirksam seien, so dass jedenfalls in dem zuletzt genannten Fall die Anerkennung nicht hätte versagt werden dürfen. Für die große Mehrzahl der Entscheidungen, in denen die Anerkennung versagt wurde, beeinflusst diese Handreichung des Obersten Gerichts die Entscheidung allerdings nicht.

Es bleibt damit festzustellen, dass die Grundtendenz der russischen Rechtsprechung sich gegen insbesondere ausländische Schiedssprüche wendet. Für die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen im Rechtsverkehr mit Russland ist dies ein Alarmzeichen.

Dr. Axel Boës, Rechtsanwalt, Hamburg

 
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