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RdZ 2024, 1
Mosen 

Europäische Zahlungsinitiativen in der geopolitischen Zwickmühle?

Wir müssen im digitalen Payment mutiger sein und mehr Europa wagen!

Abbildung 1

Europa hat ein neues Parlament gewählt. Die Parlamentarier vertreten darin ihre parteipolitischen Programme sowie die nationalen Interessen ihrer Mitgliedstaaten. Schon vor den Wahlen war abzusehen, dass im neuen Parlament mehr Vertreter sein werden, die eine kritische oder gar ablehnende Haltung zum europäischen Integrationsgedanken einnehmen, wie er im Vertrag von Lissabon 2007 (ABlEU vom 17.12.2007, C 306,1) festgeschrieben wurde. Dieser Integrationsgedanke ist die treibende Kraft für alle Strategien eines digitalen Binnenmarkts, der Wirtschaft und Gesellschaft im digitalen Zeitalter zugutekommt. In der letzten Legislaturperiode wurden viele Initiativen und Regelungen auf den Weg gebracht, die den Unternehmen und Nutzern digitaler Dienste einen sicheren Rahmen für die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle bieten und die die Rechte im digitalen Raum stärken. Beispiele hierfür sind u. a. der Digital Service Act (ABlEU vom 27.10.2022, L 277, 1), der im Februar 2024 in Kraft getreten ist, der Digital Markets Act (ABlEU vom 12.10.2022, L 265, 1), der Artificial Intelligence Act (abrufbar unter https://artificialintelligenceact.eu/de/, Abruf: 14.6.2024) sowie der Data Act (ABlEU vom 22.12.2023, L 2023/2854). Radikale politische Strömungen, die auch im neuen EU-Parlament vertreten sind, stellen die Grundideen der Europäischen Union jedoch in Frage. Das Parlament und die politischen Institutionen auf europäischer und nationaler Ebene müssen sich daher darauf einstellen, dass Gesetzesvorhaben zur Stärkung und Konvergenz der Volkswirtschaften kontroverser als zuvor diskutiert werden. Im Zeitalter der Digitalisierung ist es jedoch umso wichtiger, die Idee der Wirtschafts- und Währungsunion weiter voranzutreiben. Allen Beteiligten muss bewusst sein, dass künftige Digitaltrends nicht nur einzelne Unternehmen und deren Kunden, sondern die gesamte Gesellschaft beeinflussen werden. Einige der “Digital-Gesetze” sind mit Blick auf die Dominanz der großen globalen Technologie-Plattformen entstanden, die auch unser Zahlungsverhalten bestimmen. Es ist ein strategisches Dilemma Europas, dass das digitale Zahlungssystem von zwei Payment-Ökosystemen geprägt ist: vom amerikanischen mit Visa, Mastercard, Paypal o. Ä. und den Technologie-Riesen Apple und Google, die mit ihren Payment-Wallets den Takt vorgeben, und vom asiatischen, wo der Zahlungsverkehr durch Alipay oder WeChat dominiert wird, die mittlerweile auch in Europa immer häufiger anzutreffen sind, z. B. in digitalen Marktplätzen.

Die EU-Parlamentarier und die Abgeordneten in den nationalen Parlamenten müssen in geopolitisch komplexen Zeiten daher eine entscheidende Frage beantworten: Soll Europa digitale Finanzdienstleistungen primär über regulatorische Vorgaben und die Beschränkung globaler Plattformen gestalten, oder wird europäischen digitalen Geschäftsmodellen im Payment und Banking mehr strategischer Entwicklungsraum gegeben? Im digitalen Zahlungsverkehr stehen aktuell zwei europäische Initiativen in den Startlöchern, um im globalen Wettbewerb eigene Payment-Plattformen anzubieten: das öffentliche Bezahlverfahren in Form des digitalen Euro und das private Payment Scheme “WERO”. Der Erfolg beider Schemes hängt davon ab, wie die bestehenden Zielkonflikte in den kommenden Jahren – d. h. innerhalb der neuen Legislaturperiode des EU-Parlaments – gelöst werden. Hier befinden sich insbesondere die Betreiber nationaler Zahlungsstrukturen in einer Zwickmühle, denn das Festhalten an traditionellen Strukturen, wie z. B. dem Girocard-System der Deutschen Kreditwirtschaft (DK), ist mehr Bremse als Turbo für die Bereitschaft zu Investitionen in Innovationen und deren Umsetzung. Strategisch notwendige Entscheidungen für eine grundlegende Neuausrichtung werden erschwert oder mutmaßlich gar nicht getroffen.

Die Debatte um den digitalen Euro in Deutschland zeigt, dass die Mehrwerte von “Instant”-Zahlverfahren zu wenig gesehen werden. Aus Sicht der DK soll sich der digitale Euro in die traditionelle Zahlungsverkehrslandschaft einordnen (PM DK vom 19.2.2024). Damit bliebe der deutsche Paymentmarkt weiterhin fragmentiert und das für eine Einführung seitens der DK geforderte “Vertrauen von Kunden und Händlern in den Digitalen Euro” kann sich auf diese Weise kaum einstellen. Wenn wir es nicht schaffen, uns von verkrusteten Strukturen im nationalen Zahlungsverkehr zu verabschieden, bedeutet dies ggf. das “Schachmatt” für Europa im digitalen Zahlungsverkehr!

Marcus W. Mosen ist Aufsichtsratsvorsitzender der Digitalbank N26 AG sowie Payment- und Fintech-Experte

 
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