Digitale Souveränität im Zahlungsverkehr: Mehr Innovation wagen – Europa unter Zugzwang
Mehr Souveränität im europäischen Zahlungsverkehr schafft resiliente Strukturen und sichert die Zukunftsfähigkeit des Binnenmarkts.
Ein funktionierender Zahlungsverkehr ist von zentraler ökonomischer Bedeutung und unabdingbare Voraussetzung für Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa. Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Unternehmen erwarten im digitalen Zeitalter verlässliche, sichere und innovative digitale Zahlungslösungen – grenzüberschreitend und mit möglichst breiter Akzeptanz. Die aktuelle geopolitische Dynamik zeigt zudem: Es ist wichtig, dass Europa bei kritischen Infrastrukturen auch auf eigenen Beinen steht. Das gilt ebenfalls für den elektronischen Zahlungsverkehr. Der europäische Souveränitätsgedanke zielt darauf, Rahmenbedingungen für ein resilientes und verlässliches Umfeld zu schaffen – Handlungsfähigkeit i. S. d. eigenen Interessen und Werte. Während das Konzept in seiner ursprünglich sicherheitspolitischen Dimension weiterhin Anwendung findet, hat sich die deutsche und europäische Debatte auch um die digitale Dimension erweitert. Der Binnenmarkt für digitalen Zahlungsverkehr ist jedoch auch zehn Jahre nach Einführung der Single Euro Payments Area geprägt von nationaler Fragmentierung, dysfunktionalen Marktstrukturen und einseitigen Abhängigkeiten von außereuropäischen Akteuren – trotz vollharmonisierten EU-Rechtsrahmens. Statt pan-europäisch einsetzbarer Zahlungslösungen europäischer Anbieter dominieren internationale Kartensysteme und verstärkt große Tech-Unternehmen den hiesigen Zahlungsverkehr, mit zunehmend exklusivem Zugriff auf Kundenschnittstellen und Daten. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag für eine eigenständige europäische Zahlungsverkehrsinfrastruktur ausgesprochen. In ihrer Retail Payments Strategy positioniert sich auch die Europäische Kommission für gesamteuropäische Zahlungslösungen zur Förderung der wirtschaftlichen und finanziellen Souveränität Europas. Dazu sind faire Bedingungen erforderlich, die es auch europäischen Anbietern ermöglichen, mit neuen Produkten im digitalen Zahlungsverkehr bestehen zu können. Die europäischen Regelungen für einen einheitlichen Binnenmarkt im Zahlungsverkehr bilden dafür den Rahmen. Sie sollen es Zahlungsdienstleistern ermöglichen, EU-weit unter gleichen Voraussetzungen ihre Dienstleistungen anbieten zu können. Ebenso werden innovative und nutzerfreundliche Angebote der Privatwirtschaft benötigt, aus dem traditionellen Bankensektor ebenso wie aus der FinTech- und der Start-up- Branche. Davon profitieren Verbraucherinnen und Verbraucher, Handel, Finanzsektor und der Wirtschaftsstandort Deutschland in Europa. Der aktuell in Brüssel verhandelte Legislativvorschlag für Echtzeitzahlungen als New Normal im Massenzahlungsverkehr kann ein regulatorisches Vehikel für eine moderne europäische “Innovationsinfrastruktur” darstellen. Dies scheint allerdings mehr Pflicht als Kür – denn im globalen Vergleich insbesondere mit Blick auf die indo-pazifische Region ist eine derartige Infrastruktur bereits marktgetriebener Standard. An allererster Stelle können Marktinitiativen wie die European Payments Initiative einen wesentlichen Beitrag für mehr Wettbewerb und resilientere Marktstrukturen leisten. Entscheidende Erfolgskriterien sind hier eine hohe europäische Reichweite sowie eine auf Kundennutzen fokussierte Lösung. Ein digitaler Euro als Zentralbankgeld der Digitalökonomie kann die strategische Souveränität Europas und die internationale Rolle des Euro stärken. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, begleitet die Bundesregierung den Prozess zur Einführung eines möglichen digitalen Euro als Ergänzung zu Bargeld. Dabei gilt es, die notwendige Rolle des Privatsektors bei der Ausgabe eines digitalen Euro von Beginn an mitzudenken. Nur so kann ein digitaler Euro in Ergänzung bestehender Zahlungsverkehrssysteme Innovationen in Finanz- und Realwirtschaft katalysieren. Digitale Souveränität im Zahlungsverkehr ist kein Selbstweck. Ziel ist zukunftsgerichtete Handlungsfähigkeit im digitalen Zeitalter, unter Einhaltung und Gestaltung unserer Standards. Und nicht zuletzt Wahlfreiheit: Wenn innovative, sichere und nutzerfreundliche Anwendungen auch von europäischen Akteuren im Wettbewerb bestehen, schafft dies resiliente Strukturen und sichert die Zukunftsfähigkeit unseres europäischen Wirtschaftsraums.
Dr. Florian Toncar ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen und Mitglied des Deutschen Bundestages.