Safe to Fail – schöne neue Welt der europäischen Banken?
Der Wert der impliziten Staatsgarantien für Banken sollte regelmäßig gemessen und publiziert werden.
“Safe to Fail, How Resolution Will Revolutionize Banking”, so lautet der Titel eines bemerkenswerten Buchs von Thomas F. Huertas. Das Buch fasst den Konsensus, der sich im Nachgang zur Finanzkrise zwischen Politik, Regulatoren, Aufsehern, Beratern, Lobbyisten und auch Bankern herausgebildet hat, zusammen: Durch schärfere Regulierung, verbesserte Aufsicht und spezielle Abwicklungsinstrumente für systemrelevante Banken soll das Phänomen des Too Big to Fail (TBTF) mit seinen schädlichen Anreiz- und Wettbewerbswirkungen durchbrochen werden. Die Abwicklung von systemrelevanten Banken soll also zukünftig ohne Beanspruchung von Steuergeldern und Beeinträchtigung von Finanzstabilität, Wachstum und Beschäftigung funktionieren. Ja, die europäischen Banken sind seit der letzten Krise sicherer geworden. Höhere Anforderungen an Kapitalpuffer, Liquiditätshaltung und Funding-Relationen sowie strengere Anforderungen an die Governance haben die Banken stabiler gemacht. Zur erhöhten Stabilität tragen v. a. auch eine verbesserte mikro- und makroprudenzielle Aufsicht bei. Die Umsetzung der Empfehlungen der Liikanen-Kommission in europäisches Recht steht noch aus. Aber die jüngste Regulierungswelle hat auch Nebenwirkungen. So halten die Banken sich angesichts der immer noch andauernden regulatorischen Unsicherheit bei der Kreditvergabe an kleinere und mittlere Unternehmen zurück, insbes. bei grenzüberschreitenden Engagements, mit negativen Konsequenzen für Wachstum und Beschäftigung insbes. in der Peripherie. In den Bondmärkten führt das Ausscheiden vieler Banken als Market-Maker zu geringerer Liquidität und damit höherer Volatilität, was die Refinanzierungskonditionen der größeren Unternehmen strukturell verteuern dürfte. Langfristige Kreditfinanzierungen werden also vermehrt von Nichtbanken zur Verfügung gestellt. So ist es im Interesse eines Level Playing-Field nur konsequent, dass nun auch der Schattenbankensektor stärker reguliert wird. Ja, auch die Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) ist ein Schritt in die richtige Richtung. Besondere Bedeutung kommt dem Bail-in Tool zu, das die Eigentümer- und Gläubigerbeteiligung bei Bankenrestrukturierungen spätestens ab 2016 regelt. Offen ist in diesem Zusammenhang insbes. noch die Festlegung der Minimum Total Loss Absorbing Capacity (TLAC). Für die Abwicklung von Banken kommt es zudem darauf an, die Rahmenanweisungen der International Swap Dealers Association (ISDA) anzupassen, einen aufsichtlichen Single Point of Entry (SPE) zu definieren und die internationale Harmonisierung des Rechtsrahmens für von Banken begebene Kapitalmarktinstrumente voranzutreiben. Allerdings darf auch weiterhin daran gezweifelt werden, dass die Abwicklung von systemrelevanten Banken ohne Steuergelder und negative Auswirkungen auf Finanzstabilität und Wachstum funktionieren wird. Die Rekapitalisierung von Banken mit Steuergeldern ist nämlich nach der BRRD immer noch möglich, ob als vorsorgliche Kapitalerhöhung (“precautionary measures”) oder oberhalb der Acht-Prozent-Mindest-Bail-in-Schwelle mit einer Kapitalerhöhung aus öffentlichen Mitteln wegen außergewöhnlicher Umstände (“government stabilization tools”). Außerdem ist der institutionelle Rahmen sehr komplex, sodass bezweifelt werden muß, ob alle notwendigen Entscheidungen über ein Wochenende ergriffen werden können. Vor alllem aber die operativen Herausforderungen werden unterschätzt: Die geordnete Abwicklung einer Bank dauert regelmäßig länger und wird immer teurer als geplant. Es bleibt abzuwarten, wie die Banken reagieren werden: sicherlich mit weiteren Emissionen von Bail-inable-Debt-Instrumenten, sehr wahrscheinlich jedoch auch mit Strukturveränderungen im Zuge der Verhandlung ihrer Abwicklungspläne und vielleicht sogar mit der Einführung von Holding-Strukturen, um Bail-inable Debt und Kundengelder zukünftig klarer zu trennen. Auch die Reaktion der Kapitalmärkte bleibt abzuwarten. Fest steht, dass die Ratingagenturen den Government Support für Bankanleihen in Europa weiter in Frage stellen werden. Für große Kurswechsel gibt es aktuell keine politischen Mehrheiten, aber vielleicht für zwei Vorschläge: Erstens rege ich an, dass der Wert der impliziten Staatsgarantien für Banken regelmäßig gemessen und publiziert wird. Aufbauend auf den Arbeiten der OECD und des IMF sollte die EZB beobachten, ob und mit welcher Geschwindigkeit das TBTF aus dem System weicht. Zweitens könnte man dann, wenn sich die Risikoaufschläge für Bankanleihen nicht mehr nach der Bonität und vermuteten Rettungsbereitschaft der Staaten richten, auch den letzten Schritt gehen: die Einführung eines verfassungsmäßigen Verbots von staatlichen Bankenrettungen.
Prof. Dr. Axel Wieandt, Vorsitzender des Vorstands der Valovis Bank AG, Honorarprofessor WHU Otto-Beisheim School of Management und Lehrbeauftragter Goethe Business School Universität Frankfurt