Reform der EU-Finanzaufsicht: Sinnvolle Neustrukturierung oder Regulierungsoverkill?
Kosten der Regulierung sind im Zeitalter der Niedrigzinspolitik der EZB nur schwer wieder einzuspielen.
Bei der Europäischen Union (EU) tut sich etwas, und das spüren zunehmend viele Branchen – auch die Finanzwirtschaft. Nachdem die EU-Kommission nach der unterwarteten Brexit-Entscheidung sowie den folgenden Wellen von Neonationalismus und Populismus eine Zeit lang unter Schockstarre zu stehen schien, spürt man deutlich, dass in den letzten Monaten wieder Bewegung in den Integrationsmechanismus gekommen ist. Man darf gespannt sein, inwieweit die Ende September von Frankreichs Präsidenten Macron vorgelegten – sehr weitgehenden – Ideen einer Erneuerung der Union eine Chance zur Umsetzung haben. Der Zeitpunkt nach der Bundestagswahl war jedenfalls mit Bedacht gewählt, damit sich die künftigen Regierungspartner in Deutschland auch dazu positionieren können. Die Kommission hatte ja bereits vor zwei Jahren ihre Vorstellungen für eine vertiefte Kapitalmarktunion vorgelegt und diese noch einmal im letzten Juni konkretisiert (vgl. dazu Schalast, BB 34/2017, Die Erste Seite). Nunmehr will sie auch die Architektur der Finanzaufsicht erneuern und hat dafür am 20.9.2017 ihr Konzept vorgelegt. Und dieser weitere Schritt zur Integration der Finanzmärkte der 27/28 EU-Mitgliedstaaten macht gerade in diesem Augenblick natürlich Sinn. Das aktuelle Regulierungsrahmenwerk entstand in mehreren Etappen seit 2008 und war geprägt von teilweise kurzfristigen Reaktionen zunächst auf die Finanzkrise und dann die unmittelbar darauf folgende Staatsschulden- und Eurokrise. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich für manchen Beobachter das jetzige Regelungssystem eher wie ein noch nicht vollständig zusammengefügtes Puzzle darstellt. Wie will die Kommission nun dieses Bild vervollständigen? Wie zu erwarten war mit einer Stärkung der bestehenden europäischen Aufsichtsbehörden durch Verbreiterung ihrer Kompetenzen sowie Koordinationsaufgaben.
Dabei will die Kommission aber nicht an der bestehenden Trias der Finanzaufsichtsbehörden, bestehend aus der European Banking Authority (EBA), der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) und der European Securities and Markets Authority (ESMA), rütteln. Deutsche Stimmen hatten hier auf eine Fusion von EIOPA und EBA gesetzt, letztendlich nach dem Vorbild der BaFin. Die Kommission hat aber in ihrem Positionspapier einen anderen Weg gewählt. So sollen in Zukunft die drei europäischen Behörden sehr viel umfassender als bisher und auf Kosten der Kompetenzen der nationalen Aufsichtsbehörden für die Leitlinien der Aufsicht zuständig sein. Im Ergebnis führt dies zu einer erheblichen Verschiebung in der bisherigen Architektur der europäischen Finanzaufsicht, wo auf europäischer Ebene v. a. die Standardisierung und die Durchsetzung europäischen Rechts angesiedelt war. Dies führt zwangsläufig dazu, dass sie sehr viel weitgehender als bisher auf die Arbeit der nationalen Aufsichtsbehörden Einfluss ausüben werden und damit über die sog. systemrelevanten Banken hinaus die Meinungsführung übernehmen werden. Ganz besonders soll dabei die in Paris ansässige ESMA gestärkt werden, die künftig für die Aufsicht über eine Reihe von Sektoren in Zukunft direkt zuständig sein soll. Genannt werden insbes. die Definition der grundlegenden Kapitalmarktdaten (benchmarks), der Zugang für Finanzunternehmen zu den europäischen Kapitalmärkten (EU-Börsenprospektgenehmigung) sowie die Genehmigung von Fonds mit einheitlicher EU-Zulassung. Hinzu kommt, dass auch die Verfolgung von Regelverstößen – insbes. bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – durch sie koordiniert und im Zweifel auch gelenkt werden soll. Damit entwickelt sie sich von einem Ideengeber, vorrangig zuständig für Standards, zu einem echten Regulierer.
Hier setzt nicht zuletzt die Kritik etwa der Deutschen Kreditwirtschaft an. Diese sieht in der Ausweitung der Kompetenzen der EU-Aufsichtsbehörden einen weiteren Regulierungsschub. Und jeder Regulierungsschub seit 2008 hat bei allen Banken, seien sie systemrelevant oder nicht, sofort zu einem massiven Kostenschub geführt. Diese Kosten sind aber im Zeitalter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nur schwer wieder einzuspielen. Dieser Einwand ist berechtigt, und daher sollte die Kommission bei der Reform Augenmaß bewahren. Auf der anderen Seite muss eine Straffung der Aufsicht letztlich nicht zu mehr Aufwand führen, sondern kann sogar – bei klarer Abgrenzung der Kompetenzen national und europäisch – Kosten senken. Voraussetzung hierfür ist, dass die Mitgliedstaaten die Entlastung und Aufgabenübernahme durch die EU weitergeben und auf nationaler Ebene so viel deregulieren wie vernünftig.
Prof. Dr. Christoph Schalast, RA/Notar, ist Managing Partner der Kanzlei Schalast Rechtsanwälte Notare in Frankfurt a. M. sowie Professor an der Frankfurt School of Finance and Management