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RdF 2023, 1
Altvater 

Potentielle “Missbrauchsfallen” beim Zinsabzug aus grenzüberschreitenden Finanzierungen

Der Zinsabzug steht zunehmend unter dem Vorbehalt ausländischer Besteuerungsmerkmale.

Abbildung 1

Die Vorteile von Fremdkapital in der Unternehmensfinanzierung liegen auf der Hand: Neben der größeren Flexibilität im Hinblick auf Begebung, Laufzeit und Ausstattung fallen im Vergleich zum Eigenkapital insbesondere die geringeren Kapitalkosten vor und nach Steuern ins Gewicht. Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zinsen (tax shield) wird korrespondierend zum aktuellen Anstieg der Kapitalmarktzinsen immer attraktiver. Für den Fiskus im Sitzstaat des Schuldners (Quellenstaat) ist jede zinsinduzierte Gewinnminderung im Falle von grenzüberschreitenden Finanzierungen ein Minusgeschäft. Die Quellenstaaten schützen sich insoweit durch unilaterale Abwehrmaßnahmen wie steuerliche Mindestkapitalanforderungen (thin capitalization rules) oder – vermehrt – eine relative Begrenzung des Zinsabzugs in Abhängigkeit von zinsbereinigten Gewinngrößen, z. B. den Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization (EBITDA – Zinsschranke). Diese klassischen Maßnahmen knüpfen jeweils an die steuerlichen Verhältnisse des Darlehensnehmers an und garantieren einen planbaren Finanzierungsrahmen. Im Zuge der Umsetzung des Aktionsplans der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) zur Bekämpfung der internationalen Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) auf Basis der Anti Tax Avoidance Directives der EU (ATAD I und II) wurden Zinsabzugsbeschränkungen einer ganz neuen Qualität in das deutsche Steuerrecht eingeführt. Sog. Linking Rules wie § 4k EStG versagen den Zinsabzug beim Vorliegen von Besteuerungsinkongruenzen (hybrid mismatches). Vereinfacht gesagt steht der Zinsabzug unter dem Vorbehalt einer effektiven Besteuerung des Gläubigers im Ausland (Fallgruppe: deduction/no inclusion) oder ist ausgeschlossen, wenn dem Schuldner oder einem Dritten auch im Ausland ein Zinsabzug gewährt wird. (Fallgruppe: double deduction). Auch für Zahlungen an Empfänger in Steueroasen wird der Zinsabzug versagt. Sollten sich die Mitgliedstaaten auf eine Verabschiedung der Un-Shell-Richtlinie (ATAD III) verständigen, ist ab dem Wirtschaftsjahr 2024 bei Zahlungen an substanzschwache Gesellschaften ggf. ein Steuerabzug erforderlich. Schließlich enthält der auf Vorarbeiten der OECD (Stichwort: Pillar 2) basierende Entwurf der EU-Richtlinie für eine globale Mindestbesteuerung Linking Rules, die den Zinsabzug bei Gestaltungen versagen, die auf die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Mindestbesteuerung abzielen (base shifting). Steuerpolitisch verfolgen Linking Rules das berechtigte Ziel, Anreize für steuerlich getriebene Gewinnverlagerungen zu beseitigen – ein großer Wurf sind sie nicht. Der größte Anreiz zur Steuergestaltung ist und bleibt das internationale Steuersatzgefälle. Eine Harmonisierung von Steuersätzen wird aber politisch weder in der EU noch in der weiteren internationalen Staatengemeinschaft angestrebt. Handwerklich ist die Komplexität der gesetzlichen Regelungen zu bemängeln; beispielhaft ist das verwirrende Regel-Ausnahme-Ausnahme-Regel-Verhältnis in § 4k Abs. 3 EStG bei der Kollision von in- und ausländischen Zinsabzugsbeschränkungen, das ohne “Gebrauchsanleitung” in einem BMF-Schreiben in der Praxis nicht umsetzbar ist. Darüber hinaus dürfte die Rechtsverfolgung durch die mangelnde Kenntnis ausländischen Steuerrechts auf Seiten der Finanzverwaltung und Finanzgerichte erheblich erschwert werden. Als Regulativ zur Vermeidung von Gewinnverlagerungen ist die Versagung des Zinsabzugs nur dann gerechtfertigt, wenn Besteuerungsinkongruenzen von inländischen Steuerpflichtigen bewusst angesteuert werden. Dies setzt ein abgestimmtes Vorgehen zwischen verbundenen Unternehmen voraus. Ansonsten führen Linking Rules zu einer Zufallsbesteuerung und wirken wie gesetzliche “Missbrauchsfallen”. Insbesondere bei börsengehandelten Inhaberschuldverschreibungen darf der Zinsabzug nicht in Frage gestellt werden. Emittenten haben schon aufgrund der mehrstufigen internationalen Verwahrketten weder Kenntnis von den Inhabern der Anleihe noch von deren Besteuerung im Ausland. Diese Lücke hat der Gesetzgeber erkannt und im JStG 2022 eine entsprechende Einschränkung des Steueroasenabwehrgesetzes vorgesehen. Grundsätzlich sollten ganz allgemein ausländische Besteuerungsmerkmale bei börsengehandelten Finanzinstrumenten nicht auf die Besteuerung inländischer Emittenten durchschlagen. Die Vorlage eines offenen Orderbuchs sollte jedenfalls ausreichen, um den Anschein einer den Zinsabzug ausschließenden steuerinduzierten Strukturierten Finanzierung i. S. v. § 4k Abs. 6 EStG zu widerlegen.

Dr. Christian Altvater, LL.M. (Southampton), ist Leiter der Konzernsteuerabteilung der Deutsche Börse AG

 
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