MiFID II: Keine Stärkung der Aktienkultur
Neue Regeln zum Aktienresearch und zum Anlegerschutz verhindern, dass Unternehmen und Anleger Aktien mehr nutzen.
Anfang 2018 tritt die überarbeitete EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II samt der zugehörigen Verordnung MiFIR in Kraft. Damit wird ein Mammutprojekt von weit mehr als eintausend Seiten Gesetzestext, delegierter Rechtsakte sowie Auslegungen der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA umgesetzt. Weitere Seiten werden folgen, da sich viele Detailfragen meist erst bei fortgeschrittener Implementierung der neuen Regeln ergeben. Insgesamt ist das eine enorme Herausforderung sowohl für den Gesetzgeber und die Aufsichtsbehörden als auch für die Marktteilnehmer, die die neuen Regeln mit Hilfe aufwendiger Prozesse umsetzen müssen.
Ob allerdings MiFID II, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, die Effizienz der europäischen Kapitalmärkte erhöht, ist zweifelhaft. Auch trägt MiFID II voraussichtlich nicht dazu bei, die Aktienkultur in der EU und in Deutschland zu stärken, obwohl dies dringend notwendig wäre, um über die Börse erfolgreich Kapital für Wachstum und Innovation einzuwerben und bei nachlassender Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente renditestark für das Alter vorzusorgen.
Dies zeigt sich bspw. an den neuen Anforderungen zur Bereitstellung von Aktienresearch, das für alle börsennotierten Unternehmen unabdingbar ist. Bislang war es weit verbreitete Praxis, dass die Banken den Investoren Research i. V. m. dem Brokerage liefern. MiFID II verbietet diese Vermengung von Research und Brokerage. Daher müssen Investoren, d. h. MiFID-regulierte Wertpapierdienstleistungsunternehmen, künftig Aktienresearch entweder aus der eigenen Kasse oder aus einem Analysebudget bezahlen, das wiederum von ihren Kunden gespeist wird.
Mit den neuen Vorschriften wird die bewährte Struktur des Markts für Analysen nun komplett umgekrempelt, obwohl schon jetzt zahlreiche gesetzliche Regeln und Industriestandards existieren, die potenzielle Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Bündelung von Research und Wertpapierausführung adressieren. Insbes. kleine und mittlere Emittenten stellen sich die Frage, ob auch nächstes Jahr ausreichend Research über ihr Unternehmen für eine weiterhin reibungslose Börsennotiz bereitsteht. Die Befürchtung ist groß, dass sich das Research auf größere Unternehmen konzentrieren wird, deren Aktien naturgemäß sehr liquide sind und dementsprechend von den Investoren am meisten nachgefragt werden. Das Research für kleine und mittlere Emittenten, welches schon jetzt stiefmütterlich behandelt wird, ist möglicherweise das Opfer dieser Konzentration. Es scheint ganz so, als ob die neuen Regeln die Bemühungen konterkarieren, den Börsengang in Deutschland und der EU zu stärken.
Neben dem Thema Research hat die zunehmende Regulierung der Anlageberatung in den Banken negative Auswirkungen auf die Aktienkultur. Mit verschiedenen empirischen Studien konnte das Deutsche Aktieninstitut belegen, dass sich Banken deshalb immer stärker aus der Beratung zu Einzelaktien zurückziehen oder diese ganz einstellen. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich – allerdings in deutlich abgeschwächter Form – bei der Beratung zu anderen Wertpapieren wie Investmentfonds. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass mit der zunehmenden Fülle an Informations- und Dokumentationspflichten im Beratungsgespräch für viele Kreditinstitute eine Schmerzgrenze erreicht ist bzw. bereits überschritten wurde. Folge des regulierungsbedingten Rückzugs der Banken aus der Aktienberatung ist zum einen, dass Anleger nicht mehr in renditestarke Aktien investieren, da sie diese weniger oder überhaupt nicht mehr empfohlen bekommen. Oder aber sie investieren auf eigene Faust, was erfahrungsgemäß die Qualität der Anlageentscheidung eher verringert.
Mit MiFID II erweitern sich die Pflichten der Banken nochmals. Stichwörter hierzu sind die neuen Anforderungen zur Product Governance sowie die Ausweitung der Pflichten zur Kostentransparenz und der Geeignetheitsprüfung. Allein diese exemplarische Aufzählung neuer bzw. erweiterter Pflichten lässt wenig Hoffnung, dass der regulatorisch bedingte Exodus der Banken aus der Aktien- und Wertpapierberatung sich wieder umkehrt.
Es wird also Zeit, die Regulierung der Anlageberatung neu zu justieren. Insbes. der erfahrene Anleger muss die Möglichkeit haben, auf den Stapel an Informationsmaterial und die zeitaufwendige Dokumentation des Beratungsgesprächs verzichten zu dürfen. Dies würde den Banken ermöglichen, wieder vermehrt Aktien- und Wertpapierberatung anzubieten. Hoffentlich spätestens ein Thema für MiFID III, wann auch immer diese kommen wird.
Dr. Christine Bortenlänger, geschäftsführender Vorstand, Deutsches Aktieninstitut e. V.