Cum/Fake – Rechts-, Technik- oder Marktversagen?
Der Kapitalertragsteuerabzug sollte zurück an die Quellen der Dividenden verlagert und dort mit einem Zertifizierungsverfahren verbunden werden.
Die Marke “Made in Germany” wirkt angekratzt. Mitglieder der Bundesregierung legen Zwangspausen auf ausländischen Flughäfen ein, weil Regierungsmaschinen defekt sind. In den USA werden riesige Flächen von deutschen Automobilherstellern angemietet, um Fahrzeuge zwischenzulagern, deren Abgasreinigungssysteme nicht das einhalten, was versprochen war. Und im hochentwickelten deutschen Steuervollzug scheint eine Pannenserie nicht abreißen zu wollen, nach der mehr Steuern erstattet als gezahlt werden. Cum/Fake ist das neue Schlagwort. Die damit verbundenen Gestaltungen handeln von Kapitalertragsteuererstattungen an durch amerikanische American Depositary Receipts (ADR) ausgewiesene wirtschaftliche Inhaber deutscher Aktien. Wie bei Cum/Ex kann es zur mehrfachen Zurechnung von Aktien und Dividenden und dadurch zu Störungen im Mechanismus des Kapitalertragsteuerabzugs und ihrer Erstattung kommen (instruktiv Helios/Gieffers, DB 2019, 263 ff.). Die Fehlersuche ist in allen Fällen kompliziert. Liegt es am Recht, an den Abwicklungssystemen der Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder an falschen Anreizen im Markt? Sind deutsche Steuer-, Software- und Finanzmarktingenieure Opfer überkomplexer Systeme geworden? Oder ist alles nur Betrug? Dabei wirkt das Grundprinzip der Kapitalertragseuer so einfach. Um sicherzustellen, dass alle, auch ausländische Steuerschuldner, ihre Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld auf deutsche Dividenden begleichen, wird vorsorglich bei Auszahlung eine pauschale Steuer einbehalten. War sie zu hoch, wird sie erstattet. Damit das funktioniert, gibt es eine Steuerbescheinigung. Ein ähnliches Prinzip bewährt sich auf jedem Weihnachtsmarkt: Wer für die Tasse Pfand bezahlt, bekommt zusätzlich eine Pfandmarke. Gegen Rückgabe der Pfandmarke gibt es das Pfand zurück. Die Standbetreiber können sich sicher sein, dass sie nicht mehr Pfand zurückzahlen, als sie eingenommen haben. Sie emittieren Pfandmarken nur gegen Pfandzahlung, es sind nicht mehr Pfandmarken in Umlauf, als Pfand gezahlt wurde, und ohne Pfandmarke gibt es auch für die Tasse kein Geld zurück. Im technikverliebten Berlin werden sicher bald Marktstände zu finden sein, die die Blockchain-Technologie zur Tokenization des Pfandsystems nutzen. Im System der Kapitalertragsteuer ist aber das Double-Spending-Problem immer noch nicht gelöst: Es scheint weiter möglich, dass mehr Steuerbescheinigungen (“Pfandmarken”) ausgegeben werden, als Kapitalertragsteuer (“Pfand”) entlang der Kette abgeführt wurde. Das schafft Gestaltungsanreize und führt zu Rechtsunsicherheiten, Risiken für den Haushalt (nicht nur für das Steueraufkommen!) und beträchtlichen Kosten für alle Beteiligten. Für den Staatshaushalt müssen sich die Risiken, wie bei Cum/Ex auch bei Cum/Fake nicht realisieren. Die Steuerbescheinigung allein reicht nicht für eine Erstattung. Und wenn nicht sicher festgestellt werden kann, wer der wirtschaftliche Eigentümer ist, oder wenn das Risiko besteht, dass mehreren diese Position zugleich zufallen könnte, darf nur an den zivilrechtlichen Eigentümer erstattet werden. Diese Rechtsauffassung ist umstritten, schließt aber Schaden für den Staatshaushalt aus und vermeidet falsche Anreize. Den Beteiligten am Finanzmarkt bleibt als Lösung für die Vergangenheit der Innenausgleich und als Anreiz für die Zukunft die Fortentwicklung des Abwicklungssystems. Der Steuergesetzgeber sollte jenseits der notwendigen Reform der Internationalen Kapitaleinkommensbesteuerung über eine radikale Vereinfachung des Kapitalertragsteuerabzugs für Dividenden nachdenken. Dazu kann auch ein Vorschlag von Lorenz Jarass diskutiert werden (BB 2019, im Erscheinen). Er sieht vor, den Kapitalertragsteuerabzug zurück an die Quellen der Dividenden zu verlagern und dort mit einem Zertifizierungsverfahren zu verbinden. Gestückelt auf die Dividende je Aktie und die darauf einbehaltene Kapitalertragsteuer könnte ein elektronisches Zertifikat ausgestellt werden. Nur mit diesem Zertifikat (“Pfandmarke”) lässt sich eine Erstattung erlangen. Da so nur so viele Zertifikate im Umlauf sein können, wie Kapitalertragsteuer abgeführt wurde, wäre das Problem der doppelten Erstattung beseitigt. In der Abwicklung wird sich das Problem zeigen, dass hin und wieder ein Zertifikat fehlt, weil es von einem Unberechtigten in Anspruch genommen worden ist, oder zwei wirtschaftlich Berechtigte werden sich streiten, wer das Zertifikat bekommen sollte. Das ist dann aber kein Problem des Steuervollzugs, sondern wird durch eine geänderte Risikoverteilung Anreize schaffen, das Abwicklungssystem effizient zu gestalten. Das könnte man mit Blockchain-Technologien verbinden. Notwendig wäre es nicht.
Prof. Dr. Heribert M. Anzinger ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht im Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm.