Cum-/Cum-Geschäfte: Cum-/Ex-, die Zweite?
Cum-/Cum-Geschäfte weisen auf einen grundlegenden Reformbedarf der grenzüberschreitenden Kapitaleinkommensbesteuerung hin
Der Zweck des Steuerrechts ist die leistungsfähigkeitsgerechte Verteilung staatlicher Finanzierungslasten. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es regelt auch familien-, sozial-, umwelt- und wirtschaftspolitische Maßnahmen und die Allokation des Steueraufkommens auf Staaten, Länder und Gebietskörperschaften. Und nicht immer liegt auf der Hand, welches Ziel verfolgt wird. Der Steuerabzug an der Quelle durch Lohn- und Kapitalertragsteuern soll eine wirksame Durchsetzung der Einkommen- und Körperschaftsteuer gewährleisten. Damit scheint offensichtlich, dass einmal gezahlte Kapitalertragsteuer nicht mehrfach erstattet werden darf. Wie aber konnten dann Berater, Investoren und Banken überhaupt auf die Idee kommen, es sei im Gesetz angelegt, Steuern mit Cum-/Ex-Geschäften durch mehrfache Anrechnung und Erstattung in ihr Gegenteil – nämlich eine Ertragsquelle – zu verkehren? Kürzlich hat die Bundesregierung angekündigt, die deutsche Handelsschifffahrt verstärkt zu fördern. Und zwar durch eine Regelung im Lohnsteuerrecht. Nicht wie bisher 40 %, sondern 100 % der Lohnsteuer sollen Arbeitgeber einbehalten dürfen, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben. Für diese Arbeitgeber wird die Lohnsteuer zur Ertragsquelle. Ihr Zweck verkehrt sich in sein Gegenteil.
Im Zentrum der Steuergestaltungen mit Cum-/Ex- und Cum-/Cum-Geschäften steht die Frage der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien (vgl. zu den Cum-Ex-Geschäften auch Schön, RdF 2015, 115 ff.). Um die Kapitalertragsteuer durch Cum-/Ex-Geschäfte zu einer Ertragsquelle zu machen, muss es im entscheidenden Zeitpunkt von der sachenrechtlichen Eigentumsordnung abweichen und dieselbe Aktie wirtschaftlich mehrfach zugeordnet werden. Um durch grenzüberschreitende Cum-/Cum-Geschäfte die Belastung der Dividende durch Kapitalertragsteuer zu neutralisieren, muss es sich umgekehrt verhalten. Bei Cum-/Cum-Geschäften muss das wirtschaftliche Eigentum beim Ausschüttungsbeschluss dem sachenrechtlichen folgen.
Aus einer Rechtsprechung, die einer Variante der Cum-/Ex-Geschäfte die Anerkennung versagt, ziehen Finanzbehörden und Gestaltungspraxis bemerkenswert unterschiedliche “erstrecht”- und Gegenschlüsse. Die Gestaltungspraxis folgert aus der Versagung der Zuordnung wirtschaftlichen Eigentums an den Erwerber von girosammelverwahrten Aktien bei Cum-/Ex-Geschäften, dass das gleiche dann erst recht bei Cum-/Cum-Geschäften gelten müsse, mit anderen Worten: Wenn Cum-/Ex- nicht funktioniert, muss Cum-/Cum- funktionieren. Die Verwaltungspraxis folgert aus dem antizipierten Scheitern der Cum-/Ex-Gestaltungen, dass dann erst recht Cum-/Cum-Gestaltungen scheitern, weil beide dem Zweck der Kapitalertragsteuer widersprechen und missbräuchlich seien.
Die wirtschaftliche Betrachtungsweise vernebelt die Gedanken (Rittner, Die sog. wirtschaftliche Betrachtungsweise, 1975, S. 54). Sie setzt ein sicheres Verständnis vom Zweck der Norm voraus. Wo es fehlt, muss sie ebenso versagen wie die Anwendung konturloser Missbrauchsvermeidungsvorschriften. Für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern regelt § 39 AO den Grundsatz der Zuordnung nach dem sachenrechtlichem Eigentum und Ausnahmen, die dem Regelungsvorbild des sachenrechtlichen Eigentums als Ausschlussrecht folgen. Bei girosammelverwahrten Aktien erlauben diese Regeln weder bei Cum-/Ex- noch bei Cum-/Cum-Geschäften eine andere Zuordnung als zum sachenrechtlichen Eigentümer. Nur das sachenrechtliche Eigentum erlaubt in diesen Fällen die gebotene überschneidungsfreie Zuordnung im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausschüttungsbeschlusses.
Wenn dieses Verständnis dazu führt, dass bei Cum-/Cum-Gestaltungen in Deutschland effektiv kein Kapitalertragsteueraufkommen erzielt wird, weist das nicht notwendig auf eine missbräuchliche Gestaltung, sondern auf das Grundproblem der unterschiedlichen Behandlung grenzüberschreitender Aktienerträge aus Dividenden und Wertgewinnen hin. Eine symptombezogene Lösung zirkuliert in Gestalt der australischen Antwort auf das Dividendenstripping. Danach setzt die Kapitalertragsteueranrechnungsberechtigung eine Haltedauer von 45 oder sogar 90 Tagen voraus. Ein verzerrungsfreies Steuersystem sieht anders aus. Besser wäre, man würde das Problem an der Wurzel anpacken. Der erste Schritt ist einfach. Jede Dividendenkompensationszahlung muss steuerpflichtig gestellt werden. Der zweite Schritt verlangt mehr Mut. Dividenden und Veräußerungsgewinne müssen im gleichen Umfang der beschränkten Steuerpflicht unterworfen und abkommensrechtlich auch im Quellenstaat erfasst werden. Vielleicht ist nach FATCA, AIA und der Reform der Investmentbesteuerung die Zeit reif für einen Systemwechsel in der grenzüberschreitenden Kapitaleinkommensbesteuerung.
Prof. Dr. Heribert M. Anzinger ist Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Steuerrecht im Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im deutschen, europäischen und internationalen Unternehmens-, Finanz- und Steuerrecht.