Regulierung zwischen Investitions- und Wettbewerbsförderung – eine Zerreissprobe?
von Dr. Bernd W. Pill*
Neuerdings hört man immer wieder, dass Regulierung in der Telekommunikation sich ändern müsse. Sie habe ihre Daseinsberechtigung an vielen Stellen verloren, eine Überführung in das allgemeine Wettbewerbsrecht sei überfällig. Wenn der EG-Gesetzgeber und der nationale Gesetzgeber die Weichen insofern schon nicht richtig stellten, so dürfe man wenigstens erwarten – die Finanzkrise kommt hier gut zupass –, dass jetzt ohne kleinliche Rücksichtnahme auf das Regulierungsziel der Wettbewerbsförderung eine der drängendsten Fragen der Zukunft des Standortes Europa angegangen werde: der flächendeckende Breitbandausbau, der allein sicherstelle, dass Europa und insbesondere auch Deutschland im globalen Standortwettbewerb auch künftig mithalten können. Die Bedeutung des Breitbandausbaus sei hier keinesfalls in Abrede gestellt. Im Gegenteil, die Initiative der Bundesregierung ist es wert, mit Priorität umgesetzt zu werden, und wird sich als nachhaltiges Wachstumsmotiv auch dann noch erweisen, wenn schon längst niemand mehr über die Abwrackprämie spricht.
Bei aller Dringlichkeit sei anhand der Erfahrungen aus der Vergangenheit kurz daran erinnert, wie erfolgreiche Investitionsförderung in den vergangenen zwei Jahrzehnten funktioniert hat. Hier kommt die Wettbewerbsförderung ins Spiel. In Deutschland gibt es vier mobile Kommunikationsinfrastrukturen, zwischen denen der Verbraucher auswählen kann. Der Ausbau der Infrastrukturen ist so weit fortgeschritten, dass man von einer nahezu 100 %igen Bevölkerungsabdeckung sprechen kann. Deren Erfolg ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Regulierungspolitik, die sich bewusst für die Förderung von Infrastrukturwettbewerb eingesetzt hat. Anders als im Mobilfunk musste der Infrastrukturwettbewerb im Festnetz durch eine Zugangsregulierung zum – in über hundert Jahren aufgebauten – Monopolnetz eröffnet werden. Nach anfänglichem Fokus auf Zugang für Weitervertriebsunternehmen („Reseller“) – eine Wettbewerbsform, die für sich allein nicht nachhaltig ist – hat sich mittlerweile auch im Festnetz in einigen Bereichen ein Infrastrukturwettbewerb (etwa im DSL-Geschäft) mit für den Verbraucher innovativen und attraktiven Angeboten etabliert. Die Abhängigkeit von den Vorleistungen des ehemaligen Monopolnetzbetreibers freilich bleibt groß.
In dieser Situation bei der anstehenden technischen Innovation im Festnetz (VDSL, Glasfaser bis ins Gebäude [„Fibre to the Building“]) nach dem Ende der Wettbewerbsförderung zu rufen ist aus Sicht der Zugangsverpflichteten verständlich, führt aber in die Sackgasse, nämlich zurück zum Monopol, zum Ende von Innovationen und in letzter Konsequenz zum Erlöschen des Wachstumsmotors Telekommunikation. Auf der „Zunge zergehen“ lassen muss man sich die Forderung, den Preis für den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung zu erhöhen, dann seien die „weißen Flecken“ der Breitbandversorgung schnell beseitigt, die Breitbandinitiative der Bundeskanzlerin schnell am Ziel. Anders formuliert ist dies die Aufforderung an den Regulierer, die Wettbewerber mögen bitte die Aufrüstung des Monopolnetzes auf Glasfasertechnologie finanzieren, damit weiter eine Monopolrendite abgeschöpft werden kann.
Nein, gerade jetzt in der Krise, zur Verwirklichung der Breitbandinitiative, ist Wettbewerbsförderung gefragt. Auf verschiedenen Ebenen der Netzinfrastruktur stehen potentielle Investoren bereit, in verschiedenste neue Breitbandinfrastruktur zu investieren. Der Regulierer ist gefordert, schnellstmöglich die richtigen Anreize für einen praktikablen Zugang zur Monopolinfrastruktur zu setzen. Und es geht nicht darum, dass Trittbrettfahrer sich auf den Investitionen anderer ein profitables Geschäftsmodell bauen wollen. Letztlich läuft es vor allem auf die Frage hinaus, ob für im Monopol geschaffene Infrastrukturelemente (wie z. B. Leerrohre) die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung der richtige Preis sind oder nicht – eine Frage, die eigentlich längst beantwortet ist.
Man könnte entgegenhalten, dass es mit den Kabelnetzen bereits eine Wettbewerbsinfrastruktur gebe. Zum einen sind die Kabelnetzbetreiber aber – dank der restriktiven Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes – heute noch nicht aufgestellt, deutschlandweit in Wettbewerb zu treten; zum anderen reichen selbst zwei parallele Infrastrukturen nicht aus, einen tragfähigen Wettbewerb sicherzustellen. Auch die enormen Investitionen, die für künftige Telekommunikationsinfrastruktur erforderlich sein werden, können den Verzicht auf Wettbewerb nicht rechtfertigen. Sie stellen den Regulierer „lediglich“ vor die lösbare Aufgabe, im Rahmen des Infrastrukturwettbewerbs innovative Kooperations- oder auch Koinvestitionsmodelle („Co-Investment“-Modelle) zu ermöglichen.
Quintessenz: Investitionsförderung muss mit Wettbewerbsförderung einhergehen, damit die Wirtschaft wächst und der Verbraucher von Breitbandinnovationen profitieren kann.
* | Mitglied der Geschäftsleitung, Vodafone Deutschland. |