Mit der Energiewende auch die „Netzwende“ einläuten
Dr. Nina Scheer, MdB*
In den Anfängen der Energiewende ging es in erster Linie um den Ausbau erneuerbarer Energien – um die Steigerung des prozentualen Anteils regenerativer Energiegewinnung. Für eine bedarfsgerechte Verfügbarkeit und Versorgungsleistung über alle Sektoren hinweg müssen auch die Energienetze auf erneuerbare Energien in ihren fluktuierenden Eigenschaften ausgerichtet werden. Wir brauchen also auch eine „Netzwende“.
Falsch wäre, mit dem Ausbau erneuerbarer Energien so lange zu warten, bis das Netz soweit „fit“ ist. Gesetzliche Regelungen, die dies erzwingen wollten, wie etwa einst in Form der Festlegung von Netzausbaugebieten, in denen nur ein beschränkter Zubau erneuerbarer Energien zulässig war, wurden abgeschafft, zu Recht: Zum einen, da wir uns weder klima- noch ressourcenpolitisch noch wertschöpfungsbezogen leisten können, auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu verzichten, und zum anderen, da uns nur der realisierte Ausbau aufzeigt, wie die Netzwende bzw. der betreffende Transformationsprozess auszugestalten ist. Dem widmet sich die „Ampel“-Koalition mit dem Strommarktdesign und der am 20. Februar 2023 eingerichteten Plattform klimaneutrales Stromsystem (PKNS). Mit vier Arbeitsgruppen, die am 31. März 2023 ihre Arbeit aufnahmen, werden nun Vorschläge erarbeitet, die es in Zwischenetappen gesetzlich umzusetzen gilt. Bereits im Sommer soll ein erster Bericht vorliegen. Mit dem Fokus auf lokale bzw. dezentrale Fragen bzw. Signale, auf Finanzierungsfragen für erneuerbare Energien, auf steuerbare Leistung und auf Flexibilität wird es darauf ankommen, unser Stromsystem den Rahmenbedingungen nach so auszugestalten, dass es die „Netzwende“ entlang der oben aufgezeigten Anforderung sektorübergreifend realisieren lässt.
Ein Augenmerk muss dabei auch auf der Rolle des Staates liegen: Sowohl die Corona-Pandemie als auch die fossile Energiepreiskrise, wie sie bereits vor Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine eingesetzt hatte, bewiesen in eindrücklicher Weise, wie sehr wir auf einen starken Staat angewiesen sind. Für Leistungen der Daseinsvorsorge und damit auch die Energieversorgung sowie Verfügbarkeit von Energie obliegt dem Staat eine faktische Garantenstellung – wie etwa anhand der Entlastungsmaßnahmen mit einem Volumen von insgesamt 300 Milliarden Euro zu erkennen, die in Deutschland in nur einem Jahr bereitgestellt wurden. Sie und weitere Maßnahmen, etwa in Bezug auf die Sicherung von ausreichenden Gasmengen, aber auch gesteigerten Erneuerbare-Energien-Nutzungsmöglichkeiten, stehen für das Maß staatlicher Verantwortung, um verfügbare und bezahlbare Energie zu gewährleisten. Die einzig garantiert bezahlbare und keiner Verknappung ausgesetzte Energie ist dabei erneuerbar.
Die Stärke des Staates spiegelt sich auch in den Beschleunigungsfaktoren zum Umstieg auf erneuerbare Energien. Rahmenbedingungen, die uns umfangreicher an fossile Energien bänden, als sie durch den Mix aus erneuerbaren Energien in Kombination mit Speichern und Netzen zur sektorübergreifenden Nutzbarkeit ersetzt werden können – etwa durch fehlgeleitete Kapazitätsmechanismen –, gilt es dabei zu vermeiden.
* | Obfrau der Bundestagesfraktion der SPD im Ausschuss für Klimaschutz und Energie des Deutschen Bundestages und klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. |