R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
NUR 2020, 1
Ludwigs 

Der privatrechtsgestaltende Verwaltungsakt als trojanisches Pferd für die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts

Prof. Dr. Markus Ludwigs*

Abbildung 1

Das Netzwirtschaftsrecht hat sich in den letzten Jahren als zentrales Referenzgebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts etabliert. Schlaglichtartig seien hier das Regulierungsermessen und die politische Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde genannt. Weniger Aufmerksamkeit fand bislang die in der Entgeltregulierung festzustellende Renaissance des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts. Dies zu Unrecht, ergeben sich hieraus doch weitreichende Folgen für die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts. So hat das BVerwG im Telekommunikations- und Postsektor von der privatrechtsgestaltenden Wirkung einer Fixpreisgenehmigung der Bundesnetzagentur auf ein Klagerecht der Vertragspartner des regulierten Unternehmens geschlossen (N&R 2015, 184, 185 Rn. 18, 191 Rn. 53 [Urt. v. 25.2.2015 – Az. 6 C 37.13]; N&R 2015, 307, 308 Rn. 20 [Urt. v. 5.8.2015 – Az. 6 C 8.14]). Begründend wird auf den mit der Ersetzungsfunktion nach § 37 Abs. 2 TKG bzw. § 23 Abs. 2 S. 1 PostG (siehe auch § 45 Abs. 2 S. 2 ERegG) verbundenen Eingriff in die Vertragsfreiheit rekurriert. Bei objektiver Rechtswidrigkeit der Genehmigung liegt danach zugleich ein abwehrfähiger Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG vor. Auf den Drittschutzcharakter der konkret verletzten Entgeltvorschrift kommt es nicht mehr an.

Die hierin zum Ausdruck kommende Abkehr von der Schutznormtheorie dürfte in Kürze ein Pendant im Luftverkehrsrecht finden. Hintergrund ist das aktuelle Vorabentscheidungsurteil des EuGH zur Flughafenentgeltrichtlinie 2009/12/EG. Im Ausgangsverfahren focht die Lufthansa als Flughafennutzerin die Genehmigung einer neuen Entgeltregelung für den Flughafen Berlin-Tegel durch das Land Berlin an. Das vorlegende BVerwG sprach sich zwar gegen die privatrechtsgestaltende Wirkung der Genehmigungserteilung in § 19b Abs. 1 S. 2 LuftVG und im Ansatz für eine konkrete Entgeltkontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB aus, äußerte aber zugleich Zweifel an der Richtlinienkonformität dieses Befundes (Beschl. v. 12.4.2018 – Az. 3 C 20.16). In seinem Urteil vom 21. November 2019 (in der Rs. C-379/18 [in diesem Heft]) betont der Gerichtshof nun zum einen in stringenter Fortführung der eisenbahnrechtlichen Judikatur (N&R 2018, 50 = ECLI:EU:C:2017:834 [Urt. v. 9.11.2017 – Rs. C-489/15]), dass eine zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle keinen wirksamen Rechtsschutz für die Flughafennutzer sicherstelle. Zum anderen könne das Flughafenleitungsorgan in keiner Weise von einer genehmigten Entgeltregelung abweichen, ohne der entsprechenden Billigung durch die Aufsichtsbehörde ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Das Abweichungsverbot legt die durch richtlinienkonforme Auslegung umzusetzende Anerkennung einer privatrechtsgestaltenden Wirkung der Genehmigung nahe (ebenso Schaub-Englert, juwiss.de/115-2019/). In der Konsequenz wären die Flughafennutzer in Art. 2 Abs. 1 GG betroffen und könnten als materielle (Mit-) Adressaten eine objektive Rechtswidrigkeit der Genehmigung rügen. Der vom BVerwG im Vorlagebeschluss ebenfalls diskutierte, unionsrechtlich überformte Drittschutzcharakter des § 19b LuftVG bliebe unerheblich.

In der Gesamtschau entsprechen diese Rechtsprechungslinien zwar dem Gedanken eines möglichst effektiven Rechtsschutzes. Nicht zu verkennen ist aber, dass die privatrechtsgestaltende Wirkung behördlicher Entgeltgenehmigungen gleichsam einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch begründet (Ludwigs, Die Verwaltung 49 [2016], 261, 280). Indem das ausdifferenzierte System des Drittschutzes im Verwaltungsrecht derart beiseitegeschoben wird, erweist sich der privatrechtsgestaltende Verwaltungsakt als trojanisches Pferd für die traditionell von der Schutznormtheorie beherrschte Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts. Konstrukteur ist freilich weniger der EuGH (in diese Richtung Schaub-Englert, juwiss.de/115-2019/) als vielmehr das BVerwG selbst, waren es doch die Leipziger Richter, die den maßgeblichen Schluss von der Privatrechtsgestaltung auf das Klagerecht propagiert haben.

*

Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Regulierungsfragen (WAR) bei der Bundesnetzagentur.

 
stats