20 Jahre Regulierung der Netzindustrien: Die Balancierung der Regulierungsziele wird zur Daueraufgabe
Prof. Dr. Bernd Holznagel*
Vorrangiges Ziel in der ersten Dekade der Tätigkeit der Bundesnetzagentur war die Öffnung der Monopolmärkte und die dauerhafte Sicherung des Wettbewerbs. Im Telekommunikationssektor gab es ein leistungsfähiges Kupfernetz, das einer effizienteren Nutzung zugeführt werden sollte. Verbraucherbelangen wurde vor allem dadurch Rechnung getragen, dass nun zwischen unterschiedlichen Anbietern und deren Diensten ausgewählt werden konnte.
In der zweiten Dekade haben sich Herausforderungen ergeben, die mit einer auf Wettbewerbssicherung zielenden Regulierungskonzeption allein nicht mehr zu bewältigen waren. Diese Entwicklung und die zukünftigen Perspektiven der Regulierung werden in der jüngst erschienenen Festschrift zum 20jährigen Bestehen der Bundesnetzagentur (Holznagel [Hrsg.], 20 Jahre Verantwortung für Netze, 2018) vertieft analysiert. Eine wichtige Beobachtung ist, dass der Gesetzgeber in den letzten Jahren die Regulierungsziele Schritt für Schritt ausdifferenziert hat. Eine Rangfolge wurde hierbei nicht festgelegt. Auch dem Ziel der Wettbewerbssicherung wird keine Vorrangstellung eingeräumt. Die Folge ist, dass die Balancierung dieser Belange für die Tätigkeit der Bundesnetzagentur, aber auch für den Gesetzgeber zu einer Daueraufgabe wird.
Wie schwierig es ist, diese Aufgabe zu bewältigen, zeigt sich derzeit an der Auseinandersetzung um die verpflichtende Koordinierung von Bauarbeiten nach § 77i Abs. 3 TKG. Wenn bei der Errichtung von Versorgungsleitungen Gräben ausgehoben werden, bietet es sich an, gleichzeitig Glasfaserkabel mitzuverlegen. Eine Pflicht zur Mitverlegung besteht dabei immer dann, wenn es sich um aus „öffentlichen Mitteln“ finanzierte Bauarbeiten handelt. Jeder Bürger darf nämlich davon ausgehen, dass die von ihm erhobenen und in öffentliche Haushalte fließenden Gelder möglichst effizient für Allgemeinwohlbelange eingesetzt werden.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Regelung im Wettbewerbsverhältnis zwischen Telekommunikationsnetzbetreibern oft nicht sachdienlich ist. Zwar wird durch die Mitverlegung der Infrastrukturwettbewerb befördert, was Verbraucherbelangen dient und den Regulierungsbedarf zurückführt. Jedoch lässt sich die Erstinvestition dann oft nicht mehr rentabel betreiben. Anders als bei der Mitnutzung (vgl. § 77n Abs. 3 S. 2 TKG) sind auch die Möglichkeiten für eine finanzielle Kompensation bei der Entgeltfestsetzung beschränkt. Kommunen und ihre öffentlichen Unternehmen müssen daher befürchten, dass sie für den Erstausbau keine Betreiber mehr finden, was ihre Investitionsbereitschaft zunehmend abbremst. Besonders stark sind hier die Effekte in ländlichen Gebieten, wo die Kundenbasis ehedem schmal ist.
Um hier Abhilfe zu schaffen, müssen die widerstreitenden Belange anders als bisher zum Ausgleich gebracht werden. Vorgeschlagen wird, das gegenwärtige Design für den Infrastrukturwettbewerb zu ändern. Anträge sollen insbesondere dann unzumutbar sein, wenn durch die zu koordinierenden Bauarbeiten ein geplantes Glasfasernetz überbaut würde. Zweit- und gar Drittnetze werden hiernach nicht verboten, sondern können auf Grundlage einer freiwilligen Koordinierung der Bauarbeiten verlegt werden. Verbraucherbelange werden zusätzlich dadurch abgesichert, dass in diesen Fällen ein offener und diskriminierungsfreier Netzzugang eingefordert wird. Dies sichert den Dienstewettbewerb. Anlässlich einer Gesetzesnovellierung sollte auch der Anwendungsbereich der Mitverlegungspflicht präzisiert werden. Er ist auf Bauarbeiten zu beziehen, die aus Haushaltsmitteln für öffentliche Aufgaben finanziert werden. Da die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „öffentliche Mittel“ strittig ist, wären sonst langwierige Rechtsstreitigkeiten unvermeidbar.
* | Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM), öffentlich-rechtliche Abteilung, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. |